23.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 40-21 vom 08. Oktober 2021 / Inflation in der EU / EZB befürwortet noch höhere Preisanstiege / Lage in Deutschland: Schon vor der Pandemie war bei den Lebenshaltungskosten die Belastungsgrenze vieler Privathaushalte erreicht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-21 vom 08. Oktober 2021

Inflation in der EU
EZB befürwortet noch höhere Preisanstiege
Lage in Deutschland: Schon vor der Pandemie war bei den Lebenshaltungskosten die Belastungsgrenze vieler Privathaushalte erreicht
Norman Hanert

Die Hyperinflation von 1923, als Löhne täglich ausgezahlt und zum Schluss Bargeld in Wäschekörben und Schubkarren transportiert wurde, hat sich tief in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt.

Entsprechend brisant sind Äußerungen aus dem höchsten Führungsgremium der Europäischen Zentralbank (EZB), die auf den Wunsch nach höheren Inflationsraten schließen lassen. Isabell Schnabel, Mitglied des sechsköpfigen EZB-Direktoriums, hat am 13. September bei dem 

148. Baden-Badener Unternehmergespräch eine Rede gehalten, die „Neue Narrative über die Geldpolitik: das Gespenst der Inflation“ betitelt war. Die 50-Jährige nutzte ihre Rede unter anderem für eine scharfe Kritik an den Medien. Laut der EZB-Direktorin würden „gerade in Deutschland aktuell wieder viele ,Experten‘ und Medien die Ängste der Menschen bedienen, ohne die Ursachen der Preisentwicklungen zu erklären“. 

„Preise eher zu niedrig als zu hoch“

Die Wirtschaftspresse griff die Rede allerdings vor allem aufgrund Schnabels Äußerung auf, wonach „die Inflation momentan weiterhin eher zu niedrig als zu hoch“ sei. In diesem Zusammenhang verwies Schnabel auf die sogenannten Basiseffekte der Pandemie, die berücksichtigt werden müssten. Da viele Preise durch die Pandemieeinschränkungen im Jahr 2020 gesunken waren, fällt nun der Anstieg umso heftiger aus. Für die deutschen Verbraucher wird dieser Effekt noch verstärkt durch die zeitweilig abgesenkte Mehrwertsteuer im zweiten Halbjahr 2020. Diese Argumente sind richtig. 

Eher selten erwähnt wird allerdings, dass das Statistische Bundesamt im Pandemie-Jahr 2020 auch einen Rückgang der Reallöhne um 1,1 Prozent im Vergleich zu 2019 registrierte. Nicht einmal berücksichtigt sind dabei die Einkommensverluste von Selbstständigen und Freiberuflern, denen vergangenes Jahr die Geschäftsgrundlage komplett weggebrochen war.

  Fakt ist auch, dass für einen Teil der Bevölkerung Deutschlands bei den alltäglichen Lebenshaltungskosten schon vor dem Pandemiejahr 2020 die Belastungsgrenze erreicht war. So kam etwa die Industrieländerorganisation OECD bereits 2019 in einem internationalen Vergleich der Rentensysteme zu dem Schluss, dass Vollzeitarbeitnehmer nach einem vollständigen Berufsleben als Rentner nur vergleichsweise niedrige Renten erhalten.

Wie unlängst aus einer Antwort des Bundesarbeitsministeriums hervorging, belaufen sich 82 Prozent der gesetzlichen Renten in Deutschland auf weniger als 1500 Euro monatlich. Laut Daten des Statistischen Bundesamts lagen 15,6 Prozent der Rentner in Deutschland sogar unter der Armutsgefährdungsschwelle, die bei 917 Euro im Monat liegt.

Schon seit Jahren prekär ist auch die Lage vieler Mieter in den deutschen Großstädten. Forscher der Humboldt-Universität Berlin haben durch Auswertung des Mikrozensus für 2018 beispielsweise ermittelt, dass jeder zweite der etwa 8,4 Millionen Haushalte mit einer Mietwohnung in einer deutschen Großstadt mehr als 

30 Prozent des Nettoeinkommens für die Miete aufwendet. Ein Viertel der Großstadthaushalte gab sogar mehr als 40 Prozent des Einkommens für Warmmiete und Nebenkosten aus. Durch diese hohen Belastungen fürs Wohnen bleibt für diese Haushalte weniger Geld für Essen und Kleidung übrig. 

Dementsprechend stark sind die Auswirkungen, wenn dann auch noch bei Nahrungsmitteln, Strom oder Benzin die Kosten hochgehen. Der Sozialverband VdK hatte schon im August angesichts stark gestiegener Preise gewarnt, dass beispielsweise Obst und Gemüse für Geringverdiener und Menschen in Grundsicherung immer mehr zum Luxusgut werden. Im Zuge der schrittweisen Anhebung der Kohlendioxid-Bepreisung droht breiten Bevölkerungsschichten, dass in den kommenden Jahren für sie Strom, Heizung und Individualverkehr einen Luxusstatus erlangen.

Luxusgut Obst und Gemüse

Wie das EZB-Direktoriumsmitglied Schnabel hält auch die US-Zentralbank ihre Voraussage aufrecht, wonach die aktuelle Welle von steigenden Preisen vorübergehend ist. Allerdings wies Schnabel in ihrer Rede selbst auf Faktoren hin, die den Preisdruck möglicherweise langfristig erhöhen.

Die Störungen der Lieferketten und auch die hohen Rohstoffpreise können durchaus länger anhalten. Zudem kündigt sich bei Produkten wie Hartweizen, Kaffee und Baumwolle auf den Weltmärkten bereits Knappheit und damit ein nächster Preisschub an. Bislang kaum thematisiert wird die inflationstreibende Wirkung der nun anlaufenden Konjunkturpakete. Wenn in den USA der Präsident Joe Biden mit 1,9 Billionen Dollar die Wirtschaft ankurbeln will oder die EU-Kommission 750 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds über die EU-Mitgliedsländer ausschüttet, dann hat dies natürlich auch eine preistreibende Wirkung.