24.04.2024

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Folge 40-21 vom 08. Oktober 2021 / Humangenetik / „Ewige Jugend“ – zum Greifen nah? / Wissenschaftler wollen das Altern stoppen oder beträchtlich verlangsamen. Einige der reichsten Männer der Welt geben ihnen dafür gewaltige Forschungsmittel in die Hand

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-21 vom 08. Oktober 2021

Humangenetik
„Ewige Jugend“ – zum Greifen nah?
Wissenschaftler wollen das Altern stoppen oder beträchtlich verlangsamen. Einige der reichsten Männer der Welt geben ihnen dafür gewaltige Forschungsmittel in die Hand
Wolfgang Kaufmann

Junge Menschen träumen davon, reich zu sein – und reiche Menschen davon, jung zu sein, sagt der Volksmund. Dabei scheint es mittlerweile so, als ob Geld bei der Erfüllung des letzteren Traumes behilflich sein kann. Das resultiert nicht zuletzt aus einer Entdeckung des US-amerikanischen Molekularbiologen Jan van Deursen von der Mayo Clinic in Rochester (Minnesota). Wie dieser 2011 herausfand, altern Organismen schneller, wenn sie viele „seneszente“ Zellen enthalten, also Zellen, die sich nicht mehr teilen. Seitdem sucht van Deursen nach Möglichkeiten, den menschlichen Körper von solchen Zellen zu befreien, um altersbedingte Krankheiten zu heilen und perspektivisch auch eine deutliche Lebensverlängerung zu erreichen. 

Zum Einsammeln des hierfür erforderlichen Kapitals gründete der Forscher die Firma Unity Biotechnology. Und tatsächlich fanden sich diverse solvente Investoren wie ARCH Venture Partners in Chicago, Venrock in Palo Alto (Kalifornien) und das chinesische Pharmaunternehmen WuXi Biologics. Außerdem stieg 2018 auch noch der Gründer des Onlineversandhändlers Amazon, Jeff Bezos, ein. Der mittlerweile 57-Jährige, welcher mit einem Vermögen von über 198 Milliarden US-Dollar als reichster Mensch der Welt gilt, zeigt seit Jahren ein starkes Interesse an Techniken, die geeignet sind, das Altern aufzuhalten oder gar zu stoppen. 

Neue „jungfräuliche“ Stammzellen

So zitierte er in einem Schreiben an die Aktionäre von Amazon den einflussreichen britischen Wissenschaftsphilosophen Richard Dawkins mit den Worten: „Den Tod abzuwehren ist eine Sache, an der man arbeiten muss.“ Und die beste Möglichkeit, dabei zum Erfolg zu kommen, besteht laut Bezos eben darin, die biologische Uhr des Menschen gezielt zurückzudrehen.

Ganz ähnlich sieht dies offenbar auch der Mitentwickler der Internet-Suchmaschine Google, Larry Page, welcher in der Rangliste der Superreichen derzeit mit knapp 121 Milliarden Dollar an sechster Stelle steht. Der hob 2013 die Firma Calico Labs aus der Taufe, nachdem es Manuel Serrano vom nationalen spanischen Krebsforschungszentrum in Madrid gelungen war, Mäuse dergestalt gentechnisch zu verändern, dass sie sogenannte Yamanaka-Faktoren produzieren. Hierbei handelt es sich um vier Gene namens Oct-4, Sox-2, Klf-4 und c-Myc, welche es tatsächlich ermöglichen, gealterte Körperzellen in quasi „jungfräuliche“ embryonale Stammzellen zurückzuverwandeln. Dieses Verfahren der Reprogrammierung von Körperzellen basiert auf einer Entdeckung des japanischen Mediziners Shin’ya Yamanaka von der Universität Kyoto aus dem Jahre 2006, für die der Stammzellforscher 2012 gemeinsam mit dem britischen Entwicklungsbiologen Sir John Gurdon den Nobelpreis zuerkannt bekam.

Wie aus Veröffentlichungen von Wissenschaftlern von Calico Labs um Antoine Roux und Chunlian Zhang von Anfang dieses Jahres hervorgeht, haben diese inzwischen weitere Fortschritte bei der Umkehrung „einiger Merkmale des Alterns in Säugetierzellen“ erzielt. Dabei erhielten sie aber keine fachliche Unterstützung von Yamanaka, denn der ist in die Dienste eines anderen solventen Brotherrn getreten, nämlich des im April im US-Bundesstaat Delaware gegründeten Unternehmens Altos Labs. 

50 Jahre zusätzlich

Das lockt einschlägige Spezialisten mit Gehältern vom Fünf- bis Zehnfachen des Branchenüblichen, finanzieller Erfolgsbeteiligung und maximaler Freiheit beim Forschen ohne lästiges Verfassen von Förderanträgen. Dem Ruf von Altos Labs, an dem Bezos nach mehreren übereinstimmenden Pressemeldungen ebenfalls in maßgeblicher Weise finanziell beteiligt sein soll, obwohl er dies bisher weder bestätigen noch dementieren wollte, folgten neben Yamanaka, der nun als Chefwissenschaftler fungiert, auch noch Kapazitäten wie Juan Carlos Izpisua Belmonte, Steve Horvath, Wolf Reik und Peter Walter.

Der Spanier Belmonte, welcher bislang am Salk Institute for Biological Studies in La Jolla (Kalifornien) arbeitete, hatte dadurch Berühmtheit erlangt, dass er menschliche Stammzellen in Affenembryonen injizierte und so Mensch-Affen-Schimären schuf. Er hält es für möglich, die Lebensspanne unserer Spezies um rund 50 Jahre zu verlängern.

Horvath wiederum ist der Erfinder der epigenetischen Uhr, die es ermöglicht, das biologische Alter des Menschen mit großer Genauigkeit aus einer Zellprobe zu bestimmen. Dies ist von zentraler Bedeutung für die Forschung zur Lebensverlängerung, denn nur durch den Einsatz von Horvaths Uhr lässt sich zweifelsfrei ermitteln, ob die verwendeten Verfahren tatsächlich zu einer Verjüngung geführt haben. Der deutsch-amerikanische Humangenetiker forschte ab 2000 an der University of California in Los Angeles.

Warnung vor Nebenwirkungen

Von hier kam auch der aus West-Berlin stammende Biochemiker Peter Walther, welcher als begnadeter Zellbiologe und Nobelpreiskandidat gilt. Und der fünfte Neueinkauf von Altos Labs, Reik, zählt ebenfalls zu den führenden Spezialisten für die Reprogrammierung von Zellen und war bis vor Kurzem Direktor des Babraham-Instituts an der britischen University of Cambridge. 

Derzeit hat das von Yamanaka entdeckte und bei Calico Labs weiterentwickelte Verfahren allerdings noch einen gewaltigen Haken: Nicht immer führen die zellulären Manipulationen zu einer erwünschten Form der Verjüngung, manchmal entstehen auch überaus hässliche embryonale Tumore, sogenannte Teratome beziehungsweise „Wundergeschwülste“. Deshalb halten einige Experten wie Alejandro Ocampo von der Universität Lausanne das Ganze für „riskant und noch weit von der Umsetzung … am Menschen entfernt“. 

Doch diese Warnungen fruchten wenig – es obsiegt eher die Haltung von Martin Borch Jensen, dem Chefwissenschaftler von Gordian Biotechnology im kalifornischen San Francisco, einem Konkurrenzunternehmen von Unity, Calico Labs und Altos Labs: „Wenn man in der Ferne etwas sieht, das wie ein riesiger Haufen Gold ausschaut, sollte man sich beeilen.“ Und andere Biologen haben, so Antonio Regalado von der „MIT Technology Review“, bereits sogar die Hoffnung geäußert, dass die heutigen Zeitgenossen die Letzten seien, welche noch sterben müssen.