25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 41-21 vom 15. Oktober 2021 / Eu-Politik / „Polexit“ aus Versehen? / Verfassungsgericht stellt polnisches über EU-Recht – Harsche Reaktionen aus Brüssel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-21 vom 15. Oktober 2021

Eu-Politik
„Polexit“ aus Versehen?
Verfassungsgericht stellt polnisches über EU-Recht – Harsche Reaktionen aus Brüssel
Norman Hanert

Nachdem Polens Verfassungsgericht der Europäischen Union bescheinigt hatte, die Kompetenzen zu überschreiten, spitzt sich der Konflikt zwischen Warschau und Brüssel zu. 

Am 7. Oktober hatten die polnischen Verfassungsrichter entschieden, dass EU-Recht nicht prinzipiell über dem Recht des Landes steht. In ihrem Urteil werteten die Richter den „Versuch des Europäischen Gerichtshofs, sich in das polnische Justizwesen einzumischen“, als Verstoß gegen die Regel des Vorrangs der Verfassung und gegen die Souveränität, die auch im Prozess der europäischen Integration bewahrt bleibe. In Brüssel fielen die Reaktionen auf das Urteil teils drastisch aus. Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley, drohte Polen bereits mit finanziellen Konsequenzen.

Barley droht mit Konsequenzen

Barley sagte, die Europäische Kommission dürfe „diesen Dammbruch nicht durchgehen lassen“. Die Kommission dürfe „keine europäischen Corona-Milliarden nach Warschau geben und muss auch sonstige Fördergelder sperren“, so die SPD-Politikerin. Genau so häufig wie Sanktionsforderungen sind Warnungen zu hören, mit dem Urteil der polnischen Verfassungsrichter habe der „Polexit“ begonnen. Zumindest offiziell streben weder Brüssel noch Warschau einen Austritt des Landes an.

Regierungschef Mateusz Morawiecki schrieb nach dem Urteil auf Facebook: „Polens Platz ist und bleibt in der europäischen Völkerfamilie.“ Zuvor hatte schon der Vorsitzende der Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, beteuert, seine Partei sehe die Zukunft Polens eindeutig in der EU: „Es wird keinen Polexit geben“, so Kaczynski vor dem Urteil.

Tatsächlich müsste die Regierungspartei PiS bei dem Vorhaben, Polen gezielt aus der EU zu führen, einen drastischen Zustimmungseinbruch befürchten. Mit über 80 Prozent ist die Zustimmung der Polen zur EU so hoch wie in kaum einem anderen Land. Tatsächlich haben die Polen seit dem Beitritt zur EU stark von Zahlungen aus den Brüsseler Finanztöpfen profitiert. Das Land ist mit Abstand der größte Nettoempfänger von EU-Geldern. Seit dem Beitritt im Mai 2004 bis zum Jahr 2020 sind insgesamt 127 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt nach Polen geflossen. Der Geldstrom hat starken Anteil daran, dass das Durchschnittseinkommen in Polen mittlerweile auf 75 Prozent des EU-Durchschnitts angestiegen ist. Allein aus dem Wiederaufbaufonds der EU könnten in den kommenden Jahren zusätzlich zu den Agrar- und Fördermitteln nochmals 57 Milliarden Euro nach Warschau fließen.

Bereits im Streit um Erklärungen von polnischen Kommunen und Regionen, die sich gegen die LGBT-Ideologie richten, hat die EU-Kommission die Auszahlung von Mitteln aus dem Wiederaufbaufonds an Bedingungen geknüpft und Auszahlungen teilweise auf Eis gelegt. Forderungen wie die von Barley, Polen finanziell noch stärker die Daumenschrauben anzuziehen, könnten allerdings eine Eigendynamik entwickeln, die letztendlich doch zum Polexit oder aber zu einer politischen Lähmung der EU führt.

Zustimmung Polens im EU-Rat nötig

Wie besonders auf dem Balkan zu beobachten ist, versuchen potente Geldgeber Einflussmöglichkeiten auf die EU zu bekommen. Dass Polen sich Russland zuwendet, ist nur schwer vorstellbar. Anders könnte dies aussehen, wenn Chinas Führung gegenüber Warschau Avancen macht. Bedenken müssen EU-Kommission und der auf eine harte Haltung drängende Teil der EU-Abgeordneten zudem, dass es im EU-Rat auch künftig immer wieder Entscheidungen geben wird, die Einstimmigkeit erfordern und damit auch die Zustimmung Polens. 

Auch innenpolitisch könnte massiver finanzieller Druck auf Polen eine Wirkung entfalten, die Brüssel eigentlich nicht beabsichtigt. Der Wunsch nach finanzieller Bestrafung und Unterordnung Polens könnte im Land nämlich eine Trotzstimmung heranreifen lassen, die von Politikern wie etwa dem Justizminister Zbigniew Ziobro („Solidarisches Polen“) schnell aufgegriffen werden könnte. Argumente für eine EU-kritische Kampagne hat die EU-Kommission in den vergangenen Jahren selbst mehrfach geliefert. Beispielsweise, indem sie einigen Ländern Regelverstöße einfach durchgehen ließ und nicht ahndete. Als Frankreich und Italien etwa im Jahr 2014 mit ihren Haushaltsentwürfen gegen die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts verstießen, entschied der damalige Kommissionschef Jean-Claude Juncker, dies nicht zu sanktionieren: „Die Länder mögen die Lektionen nicht, die aus Brüssel kommen“, so der Luxemburger.

Das Gefühl, innerhalb der EU Bürger eines Landes zweiter Klasse zu sein, mehr noch aber der Eindruck, als Nation erneut fremdbestimmt zu sein, könnte bei vielen Polen noch immer einen sehr empfindlichen Nerv treffen.