25.04.2024

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Folge 41-21 vom 15. Oktober 2021 / Geschichte / Betrachtung der Stämme in Deutschland / Der Historiker und Anthropologe Andreas Vonderach geht der Geschichte der Deutschen und der Frage nach, inwieweit die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe in der Gegenwart noch eine Rolle spielt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-21 vom 15. Oktober 2021

Geschichte
Betrachtung der Stämme in Deutschland
Der Historiker und Anthropologe Andreas Vonderach geht der Geschichte der Deutschen und der Frage nach, inwieweit die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe in der Gegenwart noch eine Rolle spielt
Peter Götz

Andreas Vonderach, Jahrgang 1964, lässt in seinem Buch „Die deutschen Stämme“ einen renommierten Kollegen zu Wort kommen: „Die Stämme sind wesentlich älter als das deutsche Volk und Reich und bis zur Gegenwart – trotz allen gesellschaftlichen Wandels – bewusstseinsbildend geblieben.“ So der Historiker Friedrich Prinz (1928–2003), zuletzt Professor für Vergleichende Landesgeschichte an der Universität München. 

Bei der Überfülle historischer Darstellungen ist das heute ein eher selten behandeltes Thema. Das mag an der fachübergreifenden Eigenart des Themas liegen. Daher ist der freiberuflich tätige Historiker, Anthropologe und Ethnologe Vonderach der ideale Autor für diese Thematik. Und um es gleich zu sagen: Der Verlag hat bei der Zusammenarbeit mit diesem Autor eine glückliche Hand bewiesen. Denn Vonderach veröffentlichte dort schon das anthropologische Buch „Anthropologie des früheren Ostdeutschlands (vor 1945). Ethnische Schichtung und Sozialbiologie“. 

Gibt es noch heute ein Stammesbewusstsein in Deutschland? Der Autor bejaht es teilweise in der Einleitung: „Von den deutschen Stämmen ist heute nur noch selten die Rede. Am häufigsten wohl noch im Freistaat Bayern, wo besonders die Baiern und die Franken in der Landespolitik miteinander konkurrieren. Ein ausgeprägtes Stammesgefühl gibt es wohl auch noch bei den Schwaben. Allgemein sind die Stämme im Süden Deutschlands noch lebendiger als im Norden. Es gibt wohl auch noch ein vages Stammesgefühl der Thüringer, der Westfalen und der Niedersachsen. Ein starkes Stammesgefühl haben auch die Sachsen, allerdings in der Regel ohne dafür das Wort Stamm zu gebrauchen.“  

Das Buch ist übersichtlich gegliedert. Daher konnte auf ein Register verzichtet werden. Die insgesamt zehn Hauptkapitel sind teilweise vielfach in Unterkapitel aufgeteilt. Den weiten, fachübergreifenden Blick des Autors zeigt Kapitel IV: Die Wissenschafts- und Geistesgeschichte der deutschen Stämme.

August Grisebach (1881–1950) war ein Heidelberger Kunsthistoriker, der 1937 wegen seiner jüdischen Ehefrau aus dem Staatsdienst entlassen wurde. Er konnte 1946 in Wien ein maßgebliches Buch zu den Stämmen in der Kunstgeschichte herausgeben. Dem Psychologen, Neurologen und Politiker Willy Hellpach (1877–1955) hingegen war die stammesbetonte Physiognomik von Bedeutung. 1942 erschien seine Deutsche Physiognomik. Damals, mitten im Krieg, ein unbeachtetes Thema? Keineswegs: „Wie stark damals das öffentliche Interesse an dem Thema war, zeigt die Tatsache, dass die erste Auflage seines Buches bereits am ersten Tag vergriffen war. Eine zweite, ergänzte Auflage erschien 1949.“ 

Ist es nun eine Betrachtung überholter ethnischer Gliederungen? Keineswegs: „Heute sind die deutschen Stämme schon lange keine geschlossenen ethnischen Gruppen wie die Stämme der Ethnologie mehr (…) Auch wenn sie die fachethnologischen Kriterien für eigene Stämme nicht mehr erfüllen, gibt es keinen Grund, nicht an dem eingebürgerten Begriff der deutschen Stämme festzuhalten und in ihnen einen lebendigen Bestandteil der föderalen deutschen Identität und einen legitimen Gegenstand der deutschen Volkskunde zu sehen.“ 

Das Inhaltsverzeichnis verlockt an sich zum weiteren Zitieren, etwa aus Kapitel VIII: Die Ursachen der Stammescharaktere. Dem folgen acht Unterkapitel, die einzelne Stammescharaktere beschreiben, von den Niederdeutschen bis hin zu den Volksdeutschen in Osteuropa. Karten- und Bildmaterial sowie 232 Anmerkungen begleiten und vertiefen den Text. 

Staunen lässt das umfangreiche Literaturverzeichnis auf knapp 25 Seiten. Es enthält Belege und Quellen, die vom 19. bis in unser 21. Jahrhundert reichen. Mit einem Werk von Johannes Cochläus wird eine „Kurze Beschreibung Germaniens. Brevis Germanie Descriptio“ von 1512 einbezogen (Nachdruck Darmstadt 2010).  Ein Glücksfall von Sachbuch im 21. Jahrhundert. 

Andreas Vonderach: „Die deutschen Stämme“, Lindenbaum Verlag, Beltheim-Schnellbach 2021, broschiert, 207 Seiten, 19,80 Euro