25.04.2024

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Folge 42-21 vom 22. Oktober 2021 / Der Terror der RAF und das Schweigen des Staates / Vor 50 Jahren beging die Rote Armee Fraktion ihren ersten Mord. Fast alle Verbrechen der anschließenden Terrorserie sind bis heute nicht aufgeklärt. Neben dem Schweigen der RAF-Mitglieder liegt dies auch am mangelnden Aufklärungswillen mancher Behörden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-21 vom 22. Oktober 2021

Der Terror der RAF und das Schweigen des Staates
Vor 50 Jahren beging die Rote Armee Fraktion ihren ersten Mord. Fast alle Verbrechen der anschließenden Terrorserie sind bis heute nicht aufgeklärt. Neben dem Schweigen der RAF-Mitglieder liegt dies auch am mangelnden Aufklärungswillen mancher Behörden
Michael Buback

Als am 22. Oktober 1971 Mitglieder der Rote Armee Fraktion (RAF) bei einer Schießerei in Hamburg den Polizisten Norbert Schmid töten, ist dies der Auftakt zur größten politischen Mordserie der jüngeren deutschen Geschichte (siehe Seite 10). Über 30 Morde werden in den folgenden zwei Jahrzehnten von der RAF begangen – beziehungsweise ihr zugerechnet. Anders als es der Öffentlichkeit vermittelt wird, ist nur ein einziger Mord, der an dem Dresdner Bank-Vorstandssprecher Jürgen Ponto, aufgeklärt. Hier war allerdings kein besonderer Ermittlungsaufwand nötig, da die Ehefrau des Opfers Tat und Täter von einem Nebenzimmer aus beobachtet hatte. 

Bei allen anderen Verbrechen ist bis heute nicht geklärt, welche Mitglieder der Terrororganisation jeweils am Ort des Geschehens anwesend waren, wer die Taten verübt und wer Beihilfe geleistet hat. Dieser Fakt fällt auf, erschreckt und muss nachdenklich stimmen angesichts der sonst für Morde erreichten Aufklärungsquote von über 90 Prozent. 

Die Ursachen dafür sind zwiespältig. Neben dem eisernen Schweigen der RAF-Mitglieder, die den Angehörigen der Opfer auch nach Jahrzehnten Informationen über die Umstände der Tötung ihrer Ehemänner, Väter und Söhne verweigern und nicht zu ihren Taten bekennen, gehört dazu leider auch eine Reihe von Merkwürdigkeiten im Agieren, beziehungsweise Nicht-Agieren mancher Ermittlungsbehörden, die daran zweifeln lassen müssen, ob diese überhaupt eine genaue Aufklärung der Taten betreiben. 

Die Morde von Karlsruhe

Mit meiner Frau habe ich mich vor allem mit dem Karlsruher Attentat befasst, dem mein Vater, Generalbundesanwalt Siegfried Buback, und seine Begleiter Wolfgang Göbel und Georg Wurster, die keine Personenschützer waren, am 7. April 1977 zum Opfer gefallen sind. Wir waren drei Jahrzehnte lang überzeugt, die Ermittlungen seien bestmöglich durchgeführt worden. Diese Überzeugung geriet ins Wanken nach dem Hinweis des ehemaligen Terroristen Peter-Jürgen Boock, wonach die wegen des Karlsruher Verbrechens als Mittäter Verurteilten Knut Folkerts, Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt nicht unmittelbar tatbeteiligt, also nicht am Tatort gewesen seien. Wir konnten dies zunächst nicht glauben, aber es bestätigte sich. Da nur diese drei als Mittäter verurteilt wurden, bedeutet dies auch, dass die wirklichen Täter für das schwere Verbrechen keinen Tag in Haft waren.

Die Bundesanwaltschaft nannte uns stets drei männliche Täter: Folkerts und Klar sowie Günter Sonnenberg. Obwohl alle Experten Sonnenberg als Karlsruher Mittäter betrachten, wurde er für das Verbrechen nicht angeklagt. Dies wurde mit der vorangegangenen lebenslänglichen Verurteilung wegen versuchten Mordes an Polizisten bei seiner Festnahme sowie derjenigen von Verena Becker Anfang Mai 1977 in Singen begründet.

Offensichtliche Widersprüche

Wer sich mit der Klärung des Karlsruher Attentats befassen will, wird auf viele Widersprüche stoßen. So nennen fünf als seriös eingeschätzte staatliche Stellen unterschiedliche Tätertrios: 

1. Das BKA wusste schnell, dass Sonnenberg das Tatmotorrad, von dem aus die Mörder auf Buback und seine Begleiter geschossen haben, ausgeliehen hatte. Er war zuvor mit Verena Becker und Klar unterwegs, sodass diese drei, wie der taktische Einsatzleiter 2008 im SWR mitteilte, am Tattag beim BKA als Tatverdächtige galten. 

2. Am nächsten Tag wurde vom Leiter der BKA-Abteilung Terrorismus jedoch Folkerts anstelle von Becker als Täter bezeichnet. Folkerts, Klar sowie Sonnenberg gelten für die Bundesanwaltschaft bis heute als die Karlsruher Täter. 

3. Der Verfassungsschutz informierte Generalbundesanwalt Rebmann Anfang 1982 von der Aussage einer RAF-Quelle, bei der es sich um Verena Becker handelte: Sonnenberg habe das Tatmotorrad gefahren, Stefan Wisniewski geschossen und Klar im Fluchtauto gewartet. Gegen Wisniewski wurde daraufhin jedoch von Kurt Rebmann kein Ermittlungsverfahren aufgenommen und der Hinweis auf Wisniewski wurde den 1984 bis 1985 am Prozess gegen Klar und Mohnhaupt beteiligten Richtern, Verteidigern und sogar den Anklägern, also Mitarbeitern der Bundesanwaltschaft, vorenthalten. 

4. Vom Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart wurden Folkerts (1980) sowie Klar und Mohnhaupt (1985) als Karlsruher Täter zu „Lebenslänglich“ verurteilt, Mohnhaupt dabei als Rädelsführerin. Sie war am Tattag in den Niederlanden. 

5. Dagegen zeigen die bei der Verhaftung des Rechtsanwalts Haag Ende November 1976 sichergestellten „Haag-Mayer-Papiere“, dass Sonnenberg, Becker und Wisniewski als Karlsruher Tatkommando eingeplant waren. Und Bundesanwalt Griesbaum äußerte im ZDF: „Die RAF ist planungstreu. Einmal gefasste Pläne werden umgesetzt.“

Erkenntnisse zur Tat

Wer möchte sich angesichts dieses Täter-Wirrwarrs mit dem Fall befassen? Der Senat des OLG Stuttgart erklärte 2012 in seinem Urteil zum Becker-Prozess sogar, für ihn stünden die Karlsruher Tatbeteiligten nicht fest. Dabei erscheint die Klärung nicht schwierig. Sonnenberg und Becker sind die wahrscheinlichste Motorrad-Besatzung. Sie konnten schwere Motorräder fahren und neben der Tatwaffe besaßen sie bei ihrer Verhaftung Anfang Mai 1977 einen Suzuki-Schraubenzieher, wie er als einziges Werkzeug im Bordset des Tatmotorrads fehlte. 

Meine auf Augenzeugen-Hinweisen beruhenden Erkenntnisse fasste ich 2008 in dem Buch „Der zweite Tod meines Vaters“ zusammen. Wie viele meinen, trug das Buch zu der Anklage der Bundesanwaltschaft gegen Verena Becker bei, in der sie 2010 beschuldigt wurde, „gemeinsam mit anderen am 7. April 1977 in Karlsruhe drei Menschen heimtückisch getötet“ zu haben. 

Inzwischen sagten über 20 Personen aus, eine Frau habe hinten auf dem Tatmotorrad gesessen. Ihnen wurde jedoch nie eine Frau gegenübergestellt. Die Augenzeugen des Verbrechens, die in dem Prozess 2010 bis 2012 erstmals aussagen konnten und durchweg von einer Frau auf dem Tatmotorrad sprachen, wurden scharf angegriffen. Warum eigentlich? Die Bundesanwaltschaft hätte doch in den Hinweisen auf eine Frau eine Bestätigung ihrer Anklage sehen können.

Eine Augenzeugin, die nach den ersten Schüssen an das Fenster ihres Dienstzimmers getreten war und uneingeschränkten Blick auf den Tatort hatte, sowie ein Augenzeuge, der das Attentat aus seinem an der Tatortkreuzung wartenden Auto beobachtete, sind überzeugt, dass eine Frau vom Tatmotorrad aus schoss. Die Kreuzung sei bald freigegeben und die vielen Fahrzeuge seien ohne Registrierung von Namen oder Autokennzeichen weitergewinkt worden. Tatsächlich existiert kein am Tatort polizeilich aufgenommener Vermerk. Ebenfalls verschwunden ist die Aussage eines Augenzeugen vom Tattag, mit neunundneunzigprozentiger Sicherheit habe ein Mädchen hinten auf dem Motorrad gesessen.

Gesicherte Fakten

Was bleibt eigentlich noch aufzuklären, werde ich oft gefragt. Sonnenberg und Becker hatten die Tatwaffe, Becker dazugehörige Munition in ihrer Umhängetasche, Sonnenberg hatte das Tatmotorrad ausgeliehen, Becker hatte einen Suzuki-Schraubenzieher bei sich, wie er im Tatmotorrad fehlte. Die Haarspur in einem der Täterhelme stimmt laut eines von BKA-Präsident Herold aufbewahrten Dokuments mit Haaren in Verena Beckers Haarbürste überein, in der sich ihre Haare befanden. Drei Zeugen berichteten, sie hätten von Klar erfahren, Verena Becker habe in Karlsruhe geschossen. Ein Wissenschaftler hatte einem befreundeten Professor sogar mitgeteilt, diese Information direkt von Verena Becker erhalten zu haben.

Die Polizei sicherte am Tattag neben dem Weg vom Abstellort des Tatmotorrads zum Fluchtauto den Gipsabdruck einer einzigen Schuhspur und bat das BKA um Auskunft, ob aus der im Abdruck sichtbaren Zahl „40“ geschlossen werden könne, dass es ein Schuh der Größe „40“ war. Erst knapp eineinhalb Jahre später wurde dies vom BKA bestätigt. Diese Schuhgröße ist ungewöhnlich für einen etwa 1,80 Meter großen Mann, also einen der uns genannten Täter. Nur in den Akten zum abgetrennten Singener Verfahren fand sich die Information, Verena Becker hat bei ihrer Verhaftung Sportschuhe der Größe „40“ getragen. Diese wurden irgendwann amtlich vernichtet. Unglaublich ist auch, dass Verena Beckers Aussage beim Verfassungsschutz auf Tonband aufgenommen, das Band aber überspielt wurde. Der Fluchtwagen der Attentäter ist seit Langem spurlos verschwunden. Wie viele DNA-Spuren hätte man darin identifizieren können, zumal die Täter wohl keine Vorkehrungen gegen diese Analytik getroffen hätten, die ihnen 1977 nicht bekannt war?

Eine skandalöse Enthüllung

Im April 2007 veröffentlichte der „Spiegel“: Verena Becker war geheime Informantin des Verfassungsschutzes. Dieser Kontakt wurde bei der Durchsuchung ihrer Wohnung bestätigt. Er ist zudem durch Aussagen eines ehemaligen Verfassungsschützers sowie des früheren Innenministers Gerhart Baum belegt. Auch der Senat des OLG Stuttgart ist in seinem Urteil von Beckers Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz überzeugt. Diese Kooperation begann vermutlich nicht erst in den frühen 1980er Jahren, wie von offizieller Seite eingeräumt wurde, nachdem das Zusammenwirken publik geworden war. 

Dafür sprechen die Angaben der Kinder von Franz Josef Strauß. Seit 2008 war bekannt, dass Becker eine Wohnung angemietet hatte, von der aus die Familie Strauß Anfang 1977 ausgespäht wurde. Monika Hohlmeier, die Tochter von Strauß, ergänzte 2015, die Ermittler hätten diese Wohnung damals gefunden, aber: „Das wurde im Nachhinein nie bestätigt, weil irgendein Kontakt zu Verena Becker sich dabei herausgestellt hat.“ Zu der Ausspähung gibt es in der Bayerischen Staatskanzlei und im Innenministerium keine Unterlagen von damals. Die Persönlichkeiten, die später im Jahre 1977 ermordet wurden, sowie die für deren Schutz Verantwortlichen erfuhren wohl nichts von dieser Ausspähung.

Von meinem eineinhalbtägigen Plädoyer in dem Verfahren gegen Verena Becker möchte ich nur erwähnen, dass ich keine Strafe für sie gefordert habe, da ich nicht ausschließen könne, dass Frau Becker von dritter, nicht auskunftsbereiter Stelle zu Handlungen gedrängt wurde. Trotz erdrückender Beweislage wurde sie nur wegen Beihilfe zu vier Jahren Haft verurteilt. Sie habe die Karlsruher Täter wissentlich und willentlich in deren Tatentschluss bestärkt, wobei der Senat diese Täter aber gar nicht kennt. Wegen des Rechtsgrundsatzes: „Ne bis in idem“, der eine erneute Anklage in der gleichen Sache ausschließt, ist Verena Becker nun vor Strafverfolgung wegen Mittäterschaft geschützt. Ihr hat das Stuttgarter Verfahren also genützt. Der noch nicht verbüßte Teil der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt und ihr inzwischen erlassen.

Aufklärung wäre möglich

Dabei erscheint die Klärung des Attentats nicht schwierig. Allein die „Haag-Mayer-Papiere“ liefern einen deutlichen Hinweis auf das Tatortkommando. Sie enthalten in einer Tabelle für die elf Teilnehmer am RAF-Treffen im November 1976 die Aufgaben bei der „Aktion Margarine“, dem Karlsruher Attentat. Da dieser einstimmig beschlossene Plan nach Experten-Überzeugung verbindlich war, ergibt sich für die Ermittler der einzigartige Vorteil, mit den „Haag-Mayer-Papieren“ das Drehbuch und mit dem Arbeitsplan die Rollenverteilung, den „Besetzungszettel“, für das Attentat zu besitzen. Am 2. Dezember 1976 sollten mehrere Personen in den Bereitstellungsraum zu dem – vor Haag und Mayers Verhaftung – für Anfang Dezember 1976 geplanten Attentat „abfahren“. Der Begriff „Abfahrt“ steht bei Sonnenberg, Wisniewski und Verena Becker. 

Diese Tatbeteiligung von zwei Männern und einer Frau widerspricht nicht der Feststellung, es seien drei männliche Täter gewesen. Boock sagte aus, es müsse eine vierte Person am Attentat beteiligt gewesen sein, ein „Abdecker“, der als guter Schütze, falls erforderlich, hätte eingreifen können. Neben den beiden Motorradfahrern wären demnach ein „Abdecker“ in Tatortnähe und die im Fluchtwagen wartende Person, vermutlich Klar, am Verbrechen beteiligt gewesen. Einem Zeugen sind am Tattag vormittags auf dem Bahnhof Bietigheim, über den die Flucht wohl führte, vier junge Leute aufgefallen, drei Männer und eine zierliche Frau. 

Das erst 2007 von der Bundesanwaltschaft aufgenommene Ermittlungsverfahren gegen Stefan Wisniewski wurde 2016 eingestellt. Weitere Täter kommen nicht in Betracht, sodass die Karlsruher Attentäter für immer ohne Strafe für dieses schwere Verbrechen bleiben werden. Eine Erklärung für die gescheiterten Ermittlungen dürften die 1973 in Kraft getretenen Richtlinien für die Zusammenarbeit der Geheimdienste mit Polizei und Strafverfolgungsbehörden in Staatsschutz-Angelegenheiten bieten. Sie besagen, dass die Geheimdienste, wenn sie es für geboten halten, die Staatsanwaltschaft und damit auch die Polizei zum Innehalten bei Ermittlungen bewegen können. Insbesondere gelte dies, wenn ein Beschuldigter oder Zeuge geheimer Mitarbeiter der Geheimdienst-Behörden ist oder war. Dies war bei Frau Becker der Fall.

Als Nebenkläger waren wir zwei Jahre lang in einem geradezu absurden Prozess gefangen, bei dem eine von staatlicher Seite als geheime Informantin des Verfassungsschutzes offensichtlich mit Schutzzusagen ausgestattete Person von einer anderen staatlichen Stelle, der Bundesanwaltschaft, als Mörderin angeklagt wurde. Eine Klärung ist da nicht zu erwarten. Es ist nur zu gut verständlich, dass die kaum fassbare Kooperation des Geheimdienstes mit einer Terroristin nicht öffentlich werden soll, zumal gegen diese Frau vor 1980 wegen der Ermordung des Generalbundesanwalts und seiner Begleiter ermittelt wurde und sie 2010 sogar als Mittäterin beim Karlsruher Attentat angeklagt wurde. Aber ist es richtig, den Schutz terroristischer Verbrecher, die mit staatlichen Stellen kooperiert haben, sowohl über den Aufklärungsanspruch der in Erfüllung ihrer Pflicht ermordeten Menschen als auch über den Wunsch der Opferangehörigen und der Öffentlichkeit nach Klärung des schweren Verbrechens zu stellen?

Vergleich mit den NSU-Morden

Nach dem Becker-Prozess war für uns Angehörige überraschend, dass Beate Zschäpe im NSU-Prozess zu „Lebenslänglich“ verurteilt wurde, obwohl es bei ihr keinen Hinweis auf eine unmittelbare Beteiligung an auch nur einem der zehn dem NSU zugerechneten Morde gibt. Verena Becker, bei der es gravierende Hinweise auf ihre Karlsruher Mittäterschaft gibt, wurde dagegen nur milde wegen Beihilfe verurteilt. 

Der Paragraph 129a StGB, die „Bildung terroristischer Vereinigungen“, kann dies erklären. Er ermöglicht die Verurteilung von einzelnen Personen für Straftaten der Vereinigung. Im Urteil gegen Verena Becker gehörte der Paragraph nicht zu den angewandten Vorschriften. Denn dieser Tatvorwurf verjährt nach zehn Jahren. Man hätte 129a aber bis etwa 1987 auf Frau Becker anwenden und sie in Verbindung mit dem Vorwurf des Mordes anklagen können. Das geschah jedoch nicht, im Unterschied zum Vorgehen gegen Folkerts, Klar und Mohnhaupt. 

Zu Paragraph 129a StGB muss man noch wissen, dass eine terroristische Vereinigung mehr als zwei Personen zu umfassen hat, also wenigstens drei. Wenn man die NSU-Verbrechen einer solchen Vereinigung zuordnen wollte, konnten die Täter nicht nur Böhnhardt und Mundlos sein. Mit Frau Zschäpe wird die Mindest-Personenzahl für die terroristische Vereinigung NSU erreicht und sie konnte gemäß Paragraph 129a für alle diesem „NSU-Trio“ zugerechneten Verbrechen angeklagt und verurteilt werden.

Staatsräson contra Wahrheitsfindung

Die Staatsräson scheint der Wahrheitsfindung beim Karlsruher Attentat im Wege zu stehen. Auch als Angehörige haben wir keine Chance, die Klärung voranzubringen. Ein Problem besteht darin, dass Unfassbares geschehen ist. Kooperationen von Geheimdiensten und Terroristen können die Verbrechensaufklärung behindern oder sogar verhindern. Sie sind ohne wirksame Kontrolle ein Urübel. Die am Karlsruher Attentat beteiligten Terroristen können es als Triumph empfinden, dass sie den Generalbundesanwalt und seine Begleiter ermordet haben und dafür dauerhaft straffrei bleiben.

Trotz der enormen Strapazen bereuen es weder meine Frau noch ich, Nebenkläger im Stuttgarter Prozess gewesen zu sein. Wir haben nun ein klares und widerspruchsfreies Bild von Tat und Tätern. Der Prozess gegen Verena Becker ist in unserem Buch „Der General muss weg!“ detailliert geschildert. Darin enthalten sind auch 80 Seiten zum Werdegang meines Vaters. Er wurde Anfang 1941 als 21-Jähriger einberufen, war sechs Jahre in Krieg und Kriegsgefangenschaft und schloss seine Ausbildung 1950 im Bereich des OLG Celle mit dem 2. Staatsexamen ab. Erwähnt werden seine großen Fälle: das „Spiegel“-Verfahren, das Steiner-Wienand-Verfahren, die Prozesse zum Soldatenmord in Lebach und zur Sidewinder-Rakete, die gestohlen und in Einzelteilen per Post nach Moskau geschickt wurde, das Guillaume-Verfahren und der Baader-Meinhof-Prozess.

Die Guillaume-Affäre führte meinen Vater an seinem ersten Tag als Generalbundesanwalt ins BKA. Mit dem Justizminister war er der letzte offizielle Besucher von Willy Brandt, bevor dieser seinen Rücktritt einreichte, wobei er Brandt nicht zu diesem Schritt riet. Mein Vater sagte, Guillaume werde nur über seine Leiche ausgetauscht. So kam es dann ja auch. Welchen Belastungen mein Vater ausgesetzt war, zeigt ein Brief, in dem er 1977 an einen Freund schrieb: „Natürlich bin ich nach wie vor um eine positive berufliche Bilanz bemüht. Dies wird allerdings von Monat zu Monat schwerer, und der Zeitpunkt, an dem ich mit dem Rücken zur Wand stehen werde, ist abzusehen.“ 

Trotz vieler Widrigkeiten hat mein Vater stets versucht, seine Pflicht nach Maßgabe von Strafprozessordnung und Strafgesetzbuch zu erfüllen. Ich will nicht ausschließen, dass die Zahl ungeklärter RAF-Morde und damit verknüpfter blinder Flecke sehr viel kleiner wäre, wenn er am Leben und Generalbundesanwalt geblieben wäre.






Prof. Dr. Michael Buback war Professor für Technische und Makromolekulare Chemie an der Georg-August-Universität in Göttingen. Er ist der Sohn des am 7. April 1977 von der Roten Armee Fraktion ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback. 2008 veröffentlichte er das Buch „Der zweite Tod meines Vaters“ (Droemer Knaur). 2019 erschien „,Der General muss weg!‘ Siegfried Buback, die RAF und der Staat“ (Osburg).





Schwierige Suche nach der Wahrheit

Am Gründonnerstag 1977 wird Generalbundesanwalt Siegfried Buback in Karlsruhe ermordet, mit ihm sein Fahrer Wolfgang Göbel und der Justiz-beamte Georg Wurster. 2007 wird Sohn Michael Buback zugetragen, dass für das Attentat die Falschen verurteilt wurden. Seine Recherchen führen 2010 zum Prozess vor dem Oberlandesgericht Stuttgart, in dem das frühere RAF-Mitglied Verena Becker wegen dreifachen Mordes angeklagt wird. „Der 

General muss weg!“ ist das akribische, erschütternde Protokoll der Verhandlungen vor dem OLG Stuttgart – aus der Feder von Michael Buback und seiner Ehefrau Elisabeth, beide Nebenkläger des Verfahrens. In diesem bestätigt sich, dass Becker Informantin des Verfassungsschutzes gewesen ist. Mehr noch als das Ergebnis ist es der Verlauf der Verhandlungen, der die beklemmende Frage aufwirft: Wie weit geht der Staat in der Verteidigung seiner Interessen?

Michael und Elisabeth Buback „Der General muss weg!“ Siegfried Buback, die RAF und der Staat Osburg Verlag 2019, gebunden, 404 Seiten, 15 Abbildungen, ISBN: 978-3-95510-211-1,  26 Euro