23.04.2024

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Folge 42-21 vom 22. Oktober 2021 / Tilsit / Der Wunsch nach Rückkehr / Ein Briefwechsel aus dem Jahr 1946 macht die große Sehnsucht und die Ernüchterung deutlich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-21 vom 22. Oktober 2021

Tilsit
Der Wunsch nach Rückkehr
Ein Briefwechsel aus dem Jahr 1946 macht die große Sehnsucht und die Ernüchterung deutlich

Manfred Schukat ist ein Kümmerer, und nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern. Die Jahrestreffen der Landesgruppe in Mecklenburg-Vorpommern werden gerne besucht, nicht zuletzt wegen seiner Herzlichkeit. Das nächste Treffen wird am 24. September 2022 in Schwerin stattfinden. 

Auf einem dieser Treffen wurden Schukat zwei Briefe in einem Kuvert überreicht, die zeigen, wie groß der Wunsch der „Flüchtlinge und Heimatvertriebenen von 1945 gewesen ist, selbst zu Fuß, nach Hause zurückzukehren, wenn halbwegs annehmbare Verhältnisse geherrscht hätten“, so schreibt der Landesvorsitzende Schukat, und weiter: „Umgekehrt waren diejenigen froh, die endlich aus der Königsberger Hölle herauskamen.“

Inhalt des Briefwechsels ist ein Antrag eines Tilsiters im Brandenburgischen Bad Freienwalde vom 15. Mai 1946, in die Heimat zurückkehren zu dürfen. Der Landsmann Ernst Wieck wendet sich direkt an den sowjetischen Oberbürgermeister von Tilsit. „Es ist sehr berührend“, kommentiert Schukat dieses nun 75 Jahre alte Dokument.

Hochinteressant ist die Antwort und der Umstand, dass das selbe Kuvert für die Rücksendung benutzt wurde. Auf der Vorder- und Rückseite findet man die Stempel vom 27. Juli 1946 aus Tilsit, Kenigsbergskoj, CCCP. Musste gespart werden oder gab es einen anderen Grund, aus dem derselbe Umschlag für die Antwort hergenommen wurde?

Um den Lesern der PAZ das Studieren der Briefe einfacher zu machen, hat Schukat sich die Mühe gemacht und die Texte vom Sütterlin in Antiqua transkribiert. Er schreibt dazu: „Im ,Tafelwerk‘ der DDR-Schule gab es ein Sütterlin-Alphabet. Das hat uns bei der Entzifferung so mancher alten Aufzeichnung sehr geholfen.“

Hier nun der Text des Antrags von Ernst Wieck:

„Bad Freienwalde a./O., den 15.05.1946

An den Herrn Oberbürgermeister der Stadt Tilsit

Hiermit möchte ich mir die Anfrage erlauben, ob eine Möglichkeit besteht, nach Tilsit zurückzukehren. Ich wohne seit 1922 in der Stadt Tilsit. Durch meinen Fleiß und Sparsamkeit habe ich mir ein Eigenheim in der Kastanienstraße 15 b erbaut, einen Obstgarten habe ich angelegt, eine Imkerei von 27 Völker habe ich mir angeschafft. Beschäftigt war ich seit 1922 als Zeichner bei dem Wasserbauamt. Parteipolitisch war ich in der S.P.D., freigewerkschaftlich deutscher Verkehrsbund Abteilung Wasserbau und Flößerei, woselbst ich auch Zahlstellenleiter war, darüber könnte auch Parteigenosse und Kollege Dobinsky Auskunft geben. Ich hätte noch gerne gewusst, ob mein Häuschen in der Verlängerten Kastanienstr. 15 b noch vorhanden ist. Auch Genosse Kriwat könnte über mich Auskunft geben. 

Für einen baldigen Bescheid wäre ich sehr dankbar. Vielleicht sehn wir uns an unserem lieben Memelstrom bald wieder. Eine Freimarke liegt bei. 

Hochachtungsvoll

Meine Anschrift: Ernst Wieck

Bad Freienwalde a./O.

Hagenstr. 1“

Wieck sorgt sich um sein Haus und seinen Garten samt Imkerei, und 27 Völker sind wirklich viel. Laut einem Überblick des Deutschen Imkerbundes e.V. hielt jeder Imker im Jahr 2020 im Schnitt 6,6 Bienenvölker; 96 Prozent der Imker hatten bis zu 25 Völker, drei Prozent hatten 26 bis 50 Völker und nur ein Prozent der Imker in Deutschland hatten im Jahr 2020 über 50 Völker. 

Der Tilsiter Zeichner hat auch offenbar Kontakte in der Stadt, verweist er doch auf den Kollegen Dobinsky und den Genossen Kriwat. Am „lieben Memelstrom“ hofft Wieck auf ein baldiges Wiedersehen und bittet den Oberbürgermeister um eine rasche Antwort, ob er nach Tilsit zurückkehren kann.

In jedem Wort steckt die Liebe zur Heimat und der Wunsch, das in Sicherheit zu wissen, was man aufgebaut hat, um es selbst wieder mit Leben füllen zu können.

Aus Tilsit erhält Wieck mehr als zwei Monate später eine Antwort zugeschickt. Sie dürfte den Empfänger nicht sonderlich erfreut haben. 

Brief der Bürgermeisterei

„Tilsit, den 26.7.46

Werter Herr Wieck!

Im Bezug auf Ihr Schreiben kann ich Ihnen leider keine gute Auskunft geben. Das Haus in der Kastanienstr. 15 b steht und ist von russischen Marine-Soldaten z.Zt. bezogen. Von der Imkerei fehlt jede Spur. Das Genosse Hensel in Tilsit ist, ist mir nicht bekannt. 

Die Bürgermeisterei Tilsit“

Allein die Nachricht, dass sein Haus noch steht, könnte ein Weiterhoffen ermöglicht haben. Das Haus wird von russischen Marine-Soldaten bewohnt, das Imkerzubehör und die Völker sind jedoch nicht mehr vorhanden, und es wird ein Genosse Hensel erwähnt, der in Wiecks Brief gar nicht vorkommt. 

Der Leser muss den Eindruck bekommen, dass die Bürgermeisterei keine Zeit für derlei Anfragen hat und möglicherweise Anfragen vermengt. Eine wirkliche Antwort gibt der Brief auch nicht. Wiek erhält „keine gute Auskunft“ und nur zwischen den Zeilen kann man lesen: Das Haus ist besetzt und alles andere ist weg, eine Rückkehr ist daher nicht möglich. 

Was dieser Brief bei Wieck ausgelöst hat, wissen wir nicht. Es bleibt der Wunsch nach Heimat, wie sie gewesen ist.CRS