28.03.2024

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Folge 42-21 vom 22. Oktober 2021 / Motorrad-Design / Aus dem Sudentenland kamen die Längsten / Über drei Meter lang sind die Böhmerland-Motorräder – aber dafür nicht sehr kurvenschnittig

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-21 vom 22. Oktober 2021

Motorrad-Design
Aus dem Sudentenland kamen die Längsten
Über drei Meter lang sind die Böhmerland-Motorräder – aber dafür nicht sehr kurvenschnittig
Markus Bauer

Es gilt als das bis heute längste Serienmotorrad der Welt: die von dem Automechaniker und Fabrikanten Albin Hugo Liebisch (1868–1965) entwickelte und im böhmischen Schönlinde von 1925 bis 1939 gebaute Böhmerland, die an tschechische Kunden als „Čechie“ ausgeliefert wurde. Von den damals gebauten Maschinen existieren noch zirka 75, davon ein guter Teil in Museen beziehungsweise bei Sammlern in Tschechien. In Schönlinde [Krásná Lípa] findet – zu normalen Zeiten – jährlich im August ein großes Böhmerland-Treffen statt.

Der Böhmerland-Schöpfer Liebisch hatte das Fahrradmechaniker-Handwerk im nordböhmischen Warnsdorf erlernt. Im Ersten Weltkrieg wurde er in Russland verwundet und arbeitete von 1916 bis 1919 als Werkmeister für Kraftfahrzeugbau in Nesselsdorf (Kreis Neutitschein) bei den späteren Tatra-Werken. 

Um 1920 fand der Motorradkonstrukteur Beschäftigung und Förderung in Schönlinde (Kreis Rumburg) durch Alfred Hielle, den Verwaltungsleiter der Firma Hielle & Dittrich. Hier konstruierte Liebisch 1922 den ersten Liebisch-Motor und den typischen überlangen Motorradrahmen. Drei Jahre später gründete er in Schönlinde sein Böhmerland-Motorenwerk, 1931 übersiedelte er mit der Firma ins nahe Kunnersdorf.

Der Motor (Einzylinder-Viertakt) mit einem Hubraum von 600 Kubikzentimeter leistete 16 und später 25 PS. 1937 kam ein „Volksmodell“ mit 350 Kubikzentimetern, Zweitakt und zwölf PS auf den Markt. Der lange Rahmen bildete die Basis für ein fast alle Dimensionen sprengendes Motorrad: Bis zu 3,17 Meter misst die Böhmerland. Der lange Radstand (2,23 Meter) bringt Platz für einen zweisitzigen Sattel, hinter dem ein dritter Sitz angebracht werden kann. Mit Beiwagen kann die Böhmerland/Čechie locker fünf Personen transportieren.

Böhmerland jetzt auch mit E-Motor

Das ungewöhnliche Motorrad wartet noch mit weiteren Besonderheiten auf: Bei den ersten Modellen vermisst man den Tank, die Kraftstoffbehälter sind rechts und links neben dem Hinterrad angebracht. Man hatte dadurch freien Blick auf die Ventil-Kipphebel des Motors, die sich zwischen den Knien des Fahrers befanden. Bei späteren Varianten wurde ein Pseudo-Tank angebaut. Zu erwähnen sind die gegossenen Aluminium-Scheibenräder. Einen Blickfang bildet ferner die nicht alltägliche Vorderradgabel mit guten Federqualitäten – ebenso den schlechten Straßen geschuldet.

Die fünf zwischen 1925 und 1939 gebauten Modelle variieren geringfügig in der Länge, es gab auch ein Kurzmodell für nur zwei und eine Langversion für vier Personen, letztere für militärische Zwecke. Außerdem wurde eine Rennversion angefertigt, die 160 Kilometer die Stunde schnell sein sollte. Die „Normal-Version“ schaffte etwa 95 Stundenkilometer.

Im Jahr 1939 musste wegen der Umstellung der Wirtschaft auf Kriegszwecke die Motorradproduktion eingestellt werden. 80 Jahre später gibt es neue Motorräder dieses Namens. Unter dem Namen „Böhmerland 21“ fertigt Peter Knobloch im Nordosten Tschechiens in kleiner Serie Custombikes mit Elektro- als auch Verbrennungsmotoren.