20.04.2024

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Folge 42-21 vom 22. Oktober 2021 / Autobiographie / Ein Mann, der seine Ideale nie aufgab / Erst vor Kurzem entdeckte der Sohn des jüdischen Verlegers Josef Melzer das Manuskript der bewegenden Lebensgeschichte seines Vaters

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-21 vom 22. Oktober 2021

Autobiographie
Ein Mann, der seine Ideale nie aufgab
Erst vor Kurzem entdeckte der Sohn des jüdischen Verlegers Josef Melzer das Manuskript der bewegenden Lebensgeschichte seines Vaters
Dirk Klose

Wieder einer dieser Lebensläufe, die sich im chaotischen 20. Jahrhundert millionenfach ereigneten und faszinierend wie beklemmend sind. Der in einem jüdischen Schtetl in Galizien geborene Verleger Josef Melzer (1907–1984) hat in seinem bewegten Leben Höhen und Tiefen in extremem Maße erfahren. Seine Erinnerungen hat er, schon todkrank, in fieberhafter Eile geschrieben. Sein Sohn Abraham fand erst kürzlich das Manuskript und hat es nach mühsamer Transkription unter dem Titel „Ich habe neuen Leben gelebt“ veröffentlicht. 

Es ist das typische Auf und Ab eines letztlich wohl heimatlos gebliebenen Menschen: Eine unbeschwerte Kindheit, die der Erste Weltkrieg jäh beendet. Arm und ohne richtige Schulbildung erfolgt die Fahrt nach Berlin, wo sich der junge Mann mit Geschick und vielleicht schon damals durch seine Liebe zu Büchern gerettet über Wasser hält. 1933 erfolgt die fluchtartige Abreise nach Palästina. Mit dem vorherrschenden Zionismus kann er sich so gar nicht anfreunden, weshalb er nach Paris ausweicht („die glücklichste Zeit meines Lebens“), wo er ein florierendes Buchgeschäft betreibt. Zufällig in Polen, überrascht ihn der Zweite Weltkrieg („ich saß in der Falle“). Er flieht in die Sowjetunion, die ihn als deutschen Spion verhaftet und in den Gulag nach Sibirien schickt. Später wird die Verurteilung durch eine Haft im usbekischen Samarkand abgelöst. Mehrfach den Tod vor Augen, kann er 1948 in den jungen Staat Israel emigrieren, wo er aber wieder nicht heimisch wird, weshalb er 1958 in die Bundesrepublik kommt.

Erst in Köln, dann in Darmstadt, gründet er den nach ihm benannten Verlag, der sich auf Judaica und später dezent erotische Literatur spezialisiert. Trotz teilweise großer literarischer Erfolge reüssiert das Unternehmen letztlich nicht. 1971 muss Melzer Konkurs anmelden (eine Neugründung endet endgültig im Jahr 2012). 

Es ist der Lebensweg eines tapferen, seine Ideale nie aufgebenden Mannes, der gegenüber Israel sogar kritischer als gegenüber Deutschland war. Den Zionismus –„eine Abkehr vom wahren Judentum“ – geißelt er als aggressiv und autoritär, ja als „faschistischen Irrweg“. Der Leser zittert mit, ob er die Hölle des sibirischen Gulag aushält, und er empfindet mit ihm Genugtuung, als es gelingt, so prominente Autoren wie Leo Baeck, Charles Bukowski und vor allem Martin Buber zu verlegen. 

Am Ende scheidet Melzer aus der Welt mit großer Skepsis: „Vermutlich wird die Spezies Mensch noch einen langen Weg bis zur wahren Menschwerdung zurückzulegen haben.“

Josef Melzer: „Ich habe neun Leben gelebt. Ein jüdisches Leben im 20. Jahrhundert“, Westend Verlag, Frankfurt/M. 2021, gebunden, 336 Seiten, 24 Euro