24.04.2024

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Folge 43-21 vom 29. Oktober 2021 / „Pandemische Lage“ / Taktische Kehrtwende / Der Bundesgesundheitsminister will den Corona-Ausnahmezustand beenden – Doch der Schein trügt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-21 vom 29. Oktober 2021

„Pandemische Lage“
Taktische Kehrtwende
Der Bundesgesundheitsminister will den Corona-Ausnahmezustand beenden – Doch der Schein trügt
Wolfgang Kaufmann

Am 18. Oktober jubelte die „Bild“-Zeitung: „Spahn will Corona-Notstand beenden. Lockdowns bald nicht mehr möglich! Das ist der Wendepunkt der Corona-Politik!“ Auslöser dieser Euphorie war eine Äußerung des CDU-Bundesgesundheitsministers gegenüber seinen Länderkollegen, angesichts der aktuellen Impfquote könne der Bundestag darauf verzichten, die momentan noch bis zum 24. November geltende „Epidemische Lage von nationaler Tragweite“ erneut zu verlängern. Damit ließe sich der seit nunmehr fast 19 Monaten bestehende „Ausnahmezustand“ beenden. 

Tatsächlich räumte die formelle Feststellung der „Epidemischen Lage“ gemäß Paragraf 5 des Infektionsschutzgesetzes dem Staat in Gestalt der Bundesregierung beziehungsweise der Landesregierungen weitreichende Befugnisse ein, verfassungsmäßige Grundrechte auszuhebeln und Verordnungen an den Parlamenten sowie dem Bundesrat vorbei zu erlassen. Seitdem gibt es nun heftigen Streit darüber, ob man dem Vorschlag Spahns folgen solle, wobei die Bevölkerung mehrheitlich dafür ist. 57 Prozent der Bundesbürger würden es laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov begrüßen, wenn der Ausnahmezustand endet – sofern die Hygiene-, Abstands- und 3G-Regeln weiter gelten. 

Dabei liegt die Zustimmung bei jungen Erwachsenen, Männern und Menschen im Osten mit 79, 62 und 61 Prozent besonders hoch. Beifall für Spahns Aussagen kam zudem vom Deutschen Städte- und Gemeindebund, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Vertretern der Ärzteschaft sowie der FDP und den Grünen. 

Allerdings gibt es auch Gegner des Auslaufens der „Epidemischen Lage“. Heftige Kritik an Spahns Vorstoß äußerte unter anderem der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach: Das sei „die falsche Ankündigung der falschen Person zur falschen Zeit“, denn Deutschland stehe jetzt „vor einem schweren Winter“. 

Unterstützung erhielt er dabei vom Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie der Universität Düsseldorf, Tom Lüdde, sowie von der Deutschen Stiftung Patientenschutz und dem Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste. Der Schutz besonders vulnerabler und noch nicht geimpfter oder unimpfbarer Bevölkerungsgruppen erfordere zwingend eine Verlängerung der bestehenden Regelungen – alles andere wäre verantwortungslos. 

Vom Saulus zum Paulus

Ebenso wenig begeistert zeigten sich auch der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), dessen bayerischer Amtskollege Markus Söder (CSU) und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sowie mehrere Ländergesundheitsminister.

Außerdem sind da noch jene, die dem Bundesgesundheitsminister keinen Meter weit über den Weg trauen. So meinte die FDP-Politikerin Christine Aschenberg-Dugnus, welche im Gesundheitsausschuss des Bundestages sitzt, Spahn habe noch im August für eine Verlängerung der epidemischen Lage geworben und „jetzt tut er so, als sei er vom Saulus zum Paulus geworden. Diese politische Inszenierung kaufen wir ihm nicht ab.“ 

Und dazu haben die Freien Demokraten tatsächlich auch allen Grund. Denn wie sich mittlerweile herausstellte, sandte der Noch-Ressortchef drei Tage vor seinem Vorstoß vom 18. Oktober einen Brief an die Spitzen von SPD, Grünen und FDP, in dem er Ratschläge erteilte, wie man die Corona-Restriktionen künftig weiter aufrechterhalten könne. Beispielsweise empfahl Spahn den voraussichtlichen AmpelKoalitionären, eine Änderung des Paragrafen 28a des Infektionsschutzgesetzes in die Wege zu leiten, damit die vom Staat verfügten Einschränkungen nicht mehr an die offizielle Feststellung der „Epidemischen Lage“ durch das Parlament geknüpft sein müssen, womit die Regierungen von Bund und Ländern dauerhaft freie Hand hätten.

Außerdem, so Spahn, biete das Infektionsschutzgesetz auch die Handhabe, „Epidemische Lagen“ auf Landesebene auszurufen. Angesichts dieser Äußerungen urteilte der Augsburger Staatsrechtler Josef Franz Lindner über den Vorschlag des Bundesgesundheitsministers vom 18. Oktober: „Hier wird den Bürgern ein X für ein U vorgemacht.“