19.04.2024

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Folge 43-21 vom 29. Oktober 2021 / Ampelkoalition / Mögliche Tricks gegen die Schuldenbremse / Eine Fortsetzung des Corona-bedingten Aussetzens der Bremse ist ebenso denkbar wie ein Missbrauch der staatseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-21 vom 29. Oktober 2021

Ampelkoalition
Mögliche Tricks gegen die Schuldenbremse
Eine Fortsetzung des Corona-bedingten Aussetzens der Bremse ist ebenso denkbar wie ein Missbrauch der staatseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau
Hermann Müller

Bereits vor dem Beginn der Sondierungs- und Koalitionsgespräche für eine „Ampel“ stand fest, dass Steuern, Schulden und die Besetzung des Finanzressorts zu den härtesten Brocken der Verhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP gehören würden.

Geht es nach den Vorstellungen der Grünen und der Sozialdemokraten, dann soll der Staat in den kommenden Jahren viel Geld für „Klimaschutz“, Digitalisierung und Bildung in die Hand nehmen. Kern des grünen Wahlprogramms war sogar ein 500 Milliarden Euro schweres, über neue Staatsschulden finanziertes Investitionsprogramm. Der grüne Co-Vorsitzende Robert Habeck hatte zu den Plänen im August erklärt, die niedrigen Zinsen für eine günstige Verschuldung nutzen zu wollen. Diesen Plänen steht bislang die Schuldenbremse im Grundgesetz im Wege. Laut einer entsprechenden Regelung ist die Höhe der Kredite, die der Bund aufnehmen darf, auf maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzt. Wegen der Corona-Krise wurde die Schuldenbremse für die Jahre 2020 und 2021 ausnahmsweise außer Kraft gesetzt. 

50 Milliarden Euro pro Jahr

Vorstellbar ist, dass eine Ampel-Koalition versucht, die Ausnahmeregel auf 2022 auszuweiten. Dies wäre allerdings nur ein kleiner Schluck aus der „Schuldenpulle“, denn Olaf Scholz hatte als Finanzminister im Mai signalisiert, er wolle die Schuldenbremse ab 2023 wieder einhalten.

Mittlerweile wird in Berlin ein Weg diskutiert, über den sich die Schuldenbremse im Grundgesetz möglicherweise längerfristig außer Kraft setzen ließe. Bei diesen Überlegungen spielt die staatliche Förderbank KfW eine Hauptrolle. Wenn die Bank, deren Kapital zu vier Fünfteln vom Bund und zu einem Fünftel von den Ländern gehalten wird, beispielsweise Investitionen in „Klimaschutz“ über Kredite finanziert, würde sich dies offiziell nicht auf die Staatsverschuldung auswirken. Eine Ampel-Koalition könnte sich so im Bundestag ein Scheitern bei dem Versuch ersparen, eine Zweidrittelmehrheit zur Abschaffung oder Änderung der Schuldenbremse zusammenzubekommen. Gleichzeitig erlaubt die KfW-Option der FDP, zentrale Wahlversprechen wie etwa das Festhalten an der Schuldenbremse und den Verzicht auf Steuererhöhungen einzulösen.

 Angesichts der Dimensionen der Investitionspläne der Grünen – pro Jahr immerhin 50 Milliarden Euro – kann das Einspannen der KfW auf lange Sicht ein Risiko für die Steuerzahler darstellen. Entpuppen sich die von der KfW ausgereichten Kredite an Windparks, Solaranlagen und Batteriefabriken als wirtschaftliche Flops, dann sind es die Steuerzahler, die für etwaige Misserfolge haften. Gerade bei Banken, die einem starken Einfluss der Politik unterliegen, besteht die Gefahr, dass bei den Geschäften nicht nüchtern genug kalkuliert wird. 

So kostete in Nordrhein-Westfalen der Kollaps der WestLB im Jahr 2012 die Steuerzahler geschätzte 21 Milliarden Euro. Als die landeseigene Bankgesellschaft Berlin sich um die Jahrtausendwende bei Immobiliengeschäften schwer verhob, stand das Land Berlin sogar kurz vor dem finanziellen Abgrund.

Rückenwind aus der EU

Das Risiko von Fehlinvestitionen könnte in den kommenden Jahren durch eine Entwicklung in der Europapolitik sogar noch wachsen. Nur wenige Wochen nach der Bundestagswahl hat die EU-Kommission eine offizielle Debatte um die Reform der Haushaltsregeln eröffnet. Bislang sehen Maastricht-Kriterien und Stabilitätspakt vor, dass die jährlichen Haushaltsdefizite der EU-Staaten drei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung nicht übersteigen und die Staatsschulden insgesamt auf 60 Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzt bleiben. Letztgenannte Vorgabe hält die Hälfte der EU-Mitgliedstaaten mittlerweile nicht mehr ein. Griechenland mit 209 Prozent, Italien mit 160 Prozent und Portugal mit 137 Prozent haben sogar schon die Hundert-Prozent-Marke weit hinter sich gelassen.

Während Länder wie Dänemark und Schweden allenfalls kleine Änderungen wollen, fordern die Regierungen Frankreichs und Italiens eine grundlegende Reform des Regelwerks. Der italienische EU-Währungskommissar Paolo Gentiloni stellte klar, es dürfe bei der Diskussion um neue Haushaltsregeln „keine Tabus“ geben. Ein Zurück zum Sparkurs der Eurokrise will der Italiener erklärtermaßen verhindern. Die Regierungen in Rom und Paris ventilieren derzeit die Idee, Investitionen in den „Green Deal“ der EU-Kommission oder bestimmte Industriezweige nicht mehr unter die Maastricht-Kriterien fallen zu lassen. Frankreich könnte seine EU-Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2022 nutzen, um bei der Änderung der Haushaltsregeln „Nägel mit Köpfen“ zu machen.