25.04.2024

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Folge 43-21 vom 29. Oktober 2021 / NSU-Trio / „Dieses sehr, sehr unwohle Gefühl“ / Zehn Jahre nach dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sind immer noch viele Fragen offen. Etliche Ungereimtheiten lassen die Zweifel an der öffentlichen Darstellung der Mordserie nicht verstummen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-21 vom 29. Oktober 2021

NSU-Trio
„Dieses sehr, sehr unwohle Gefühl“
Zehn Jahre nach dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sind immer noch viele Fragen offen. Etliche Ungereimtheiten lassen die Zweifel an der öffentlichen Darstellung der Mordserie nicht verstummen
Norman Hanert

Fast 14 Jahre hatten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in der Illegalität gelebt, als sie am 4. November 2011 tot in einem Wohnmobil aufgefunden wurden, das in einem Eisenacher Wohngebiet abgestellt war. Beate Zschäpe stellte sich Tage später der Polizei in Jena. Nach dem Auffliegen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) kam es vor dem Münchner Oberlandesgericht zu einem Mammutprozess gegen Beate Zschäpe und Helfer des NSU-Trios. Diesem wurden zehn Morde, 15 Überfälle auf Banken und einen Supermarkt sowie zwei Sprengstoffanschläge zur Last gelegt. 

Der Bundestag und auch diverse Landtage setzten NSU-Untersuchungsausschüsse ein. Trotz dieser enormen Aufklärungsbemühungen sind bis heute zum Teil sehr wichtige Fragen noch immer unbeantwortet. Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, wies unlängst bei einer Diskussionsveranstaltung in Berlin darauf hin, das beispielsweise das Motiv für den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter noch immer unklar sei. Die 22-Jährige war am 25. April 2007 auf der Theresienwiese in Heilbronn durch einen Kopfschuss getötet worden. In der Mordserie, die dem NSU zugeschrieben wird, nimmt Kiesewetter als Opfer eine Sonderrolle ein. Die neun Mordopfer vor ihr waren alle Kleinunternehmer mit Immigrationshintergrund. Ausländerhass scheidet als Mordmotiv bei der Polizistin aber aus. Im Zuge der Ermittlungen wurden zudem DNA-Spuren an Kiesewetters Kleidung gefunden, die weder zu Böhnhardt noch zu Mundlos passte. Auch keines der Phantombilder der mutmaßlichen Täter wies eine Ähnlichkeit mit den beiden auf. 

Die auffällig fehlenden DNA-Spuren

Aufgrund der vielen Ungereimtheiten im Heilbronner Fall sind auch im Untersuchungsausschuss des Bundestags starke Zweifel laut geworden, ob die NSU-Täter in Heilbronn allein gehandelt haben. Generell auffällig ist, dass die Ermittler an keinem der 27 Tatorte, die mit dem NSU in Verbindung gebracht werden, DNA-Spuren von Mundlos, Böhnhardt oder Zschäpe sicherstellen konnten. Im Bundestagsuntersuchungsausschuss bewertete dies im Jahr 2016 ein Experte des Bundeskriminalamts als nicht „super ungewöhnlich“, andererseits sei es „schon nicht einfach“, einen Tatort DNA-frei zu halten oder wieder zu machen. 

Ein völlig gegenteiliges Bild bot sich am 4. November 2011 in dem Wohnmobil, in dem Mundlos und Böhnhardt tot aufgefunden wurden. Laut den Ermittlungsunterlagen muss das angemietete Fahrzeug mit Material, welches das NSU-Trio belasten, regelrecht vollgestopft gewesen sein. Gleiches gilt für die Zwickauer Wohnung, die am Nachmittag des 4. November von Beate Zschäpe in Brand gesteckt wurde. Erst die Funde in Wohnmobil und Wohnung brachten die Ermittler dazu, einen Zusammenhang zwischen dem NSU und dem Polizistenmord von Heilbronn herzustellen.

Haldenwang wies auf der Diskussionsveranstaltung zudem auf die unklare Rolle des V-Mann-Führers Andreas Temme hin. Wie sich im Zuge der Ermittlungen ergab, hielt sich der damalige Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes zur Tatzeit in dem Kasseler Internetcafé auf, in dem am 6. April 2006 dessen Betreiber Halit Yozgat durch zwei Kopfschüsse getötet wurde. Temme, der zeitweise selbst als Verdächtigter ins Visier geriet, bestritt, den Mord bemerkt zu haben. Selbst als er das Café verließ, will er nicht gesehen haben, dass hinter dem Verkaufstresen ein verblutender Mensch lag.

Die Rolle des Andreas Temme

Anwälte der Angehörigen Yozgats erhoben den Vorwurf, Temme habe vorab „konkrete Kenntnisse von der geplanten Tat, der Tatzeit, dem Tatopfer und den Tätern“ gehabt. Die Anwälte stützten sich dabei auf Mitschnitte von Telefonaten Temmes. Wegen seiner Anwesenheit am Tatort war Temmes Telefon zeitweise von der Polizei abgehört worden. In einem der mitgehörten Gespräche sagte einen Monat nach der Tat der damalige Geheimschutzbeauftragte beim hessischen Landesamt für Verfassungsschutz zu Temme: „Ich sag’ ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren!“ Der Kasseler Mordfall wirft noch weitere Fragen auf. Yozgat war das neunte und letzte Todesopfer der sogenannten „Döner-Morde“ an Kleinunternehmern mit Immigrationshintergrund. Bis heute ist unklar, warum mit dem Mord in Kassel diese Serie plötzlich abriss, obwohl das NSU-Trio erst im November 2011 enttarnt wurde. 

Nicht geklärt ist auch, warum speziell diese neun Gewerbetreibenden ins Visier des NSU-Trios geraten sind. Ebenso offengeblieben ist, wie die Tatorte ausgekundschaftet wurden. Als sicher kann gelten, dass dies nicht durch das NSU-Trio allein erfolgt sein kann. Als die Ermittler die umfangreiche Adresssammlung des NSU auswerteten, stand am Ende eine sogenannte „10.000er Liste“ mit Namen und Objekten möglicher Anschlagsziele. Wer im einzelnen Mundlos und Böhnhardt vor Ort geholfen hat, die Tausenden Informationen zusammenzutragen, ist noch immer eine offene Frage. 

Gerade in linken Kreisen wurden in diesem Zusammenhang Mutmaßungen über ein riesiges bundesweites Helfernetzwerk angestellt. Erkenntnisse aus den NSU-Untersuchungsausschüssen lassen an solchen Spekulationen über eine riesige Unterstützerszene stark zweifeln. So betrug etwa die Zahl der Aktiven in der NS-Gruppierung „Blood&Honour“ bis zum offiziellen Verbot im Jahr 2000 in ganz Deutschland nur rund 200 Personen. 

Die verdächtige Aktenvernichtung

Für den NSU spielte „Blood&Honour“ eine wichtige Rolle, weil einzelne „B&H“-Mitglieder ihn nach seinem Abtauchen in die Illegalität unterstützten. Im Rückblick bemerkenswert ist, dass die Verfassungsschutzämter über diese Unterstützeraktivitäten zumindest in der ersten Zeit nach dem Abtauchen des Trios im Januar 1998 durch Berichte von V-Leuten recht gut im Bilde waren. Im Zuge von Ermittlungen gegen die Rockband „Landser“ stand die Szene ohnehin unter intensiver Beobachtung. 

Gegen wichtige Unterstützer der drei Untergetauchten, etwa Jan Werner, liefen beispielsweise fortlaufend Abhörmaßnahmen und sogar Observationen durch mehrere Verfassungsschutzämter. Bei der Berliner Diskussionsveranstaltung behauptete Haldenwang mit Blick auf den NSU, dass seinerzeit verschiedene Behörden in Bund und Ländern „zum Teil auf den ihnen vorliegenden Informationen“ gesessen hätten, daher seien Verbindungen damals nicht erkannt worden. 

Das trifft nur zum Teil zu. Wie die Befragung eines früheren Verfassungsschützers durch den Untersuchungsausschuss des Brandenburger Landtags ergab, war es bereits zur damaligen Zeit Routine, dass die Verfassungsschutzbehörden der Länder alle von V-Leuten gelieferten Informationen an das Bundesamt für Verfassungsschutz weiterleiteten. Der Umstand, dass unmittelbar nach dem Auffliegen des NSU beim Bundesamt eine umfangreiche Vernichtung von Akten mit möglichen NSU-Bezügen erfolgte, erhöht das Unbehagen. Tatsächlich räumte Haldenwang in Berlin auch ein, dass während der NSU-Morde und der Aufarbeitung der Mordserie Fehler begangen worden seien. „Am Ende bleibt dieses sehr, sehr unwohle Gefühl“, so das Resümee des Verfassungsschutzchefs.