29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 44-21 vom 05. November 2021 / Politik / Während Corona wiederkehrt, schweigt Karlsruhe weiter / Noch immer warten die Deutschen auf eine höchstrichterliche Bewertung der Lockdown-Maßnahmen. Dabei müssen Politik und Bürger wissen, was Recht ist

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-21 vom 05. November 2021

Politik
Während Corona wiederkehrt, schweigt Karlsruhe weiter
Noch immer warten die Deutschen auf eine höchstrichterliche Bewertung der Lockdown-Maßnahmen. Dabei müssen Politik und Bürger wissen, was Recht ist
René Nehring

Seit wenigen Wochen steigen die Corona-Zahlen wieder kontinuierlich an. Gab es im Sommer kaum noch Neuinfektionen, so meldet das Robert-Koch-Institut derzeit wieder täglich tausende neue Fälle. 

Somit ist schon jetzt absehbar, dass Corona auch über den bevorstehenden Regierungswechsel hinaus zu den beherrschenden politischen Themen gehören wird. Was wiederum die Frage aufwirft, wie die künftigen Entscheidungsträger zu etwaigen Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie stehen. Bis dato ließen die Verhandler über ein Ampel-Bündnis durchblicken, nicht zur harten Lockdown-Politik zurückkehren zu wollen. 

Umso wichtiger wäre es zu wissen, über welche Instrumente zur Gefahrenabwehr der Staat überhaupt verfügen darf. Hier herrscht auch mehr als anderthalb Jahre nach Verhängung des ersten Lockdowns noch immer Unklarheit – obwohl das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ und die darauf basierenden Verordnungen zum Teil zu massiven Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten geführt haben: von der Schließung von Schulen und ganzer Branchen bis hin zur Einschränkung des Demonstrations- und Versammlungsrechts und zu nächtlichen Ausgangssperren. 

Für diese Maßnahmen gab es viel Verständnis und Zuspruch – aber auch heftige Ablehnung. Die Teilnehmerzahlen bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen gingen in die Zehntausende und lagen damit weit über denen der „Fridays for Future“-Bewegung. Dass die Kritik am Agieren mancher staatlicher Akteure oftmals berechtigt war, zeigt unter anderem ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der im Oktober entschied, dass die von der Münchner Staatsregierung für Bayern erlassenen weitreichenden Ausgangssperren unrechtmäßig waren. 

Karlsruhe sitzt die Sache aus

Umso unverständlicher, dass sich ausgerechnet diejenige Instanz, die vor 70 Jahren gegründet worden ist, um im Streitfall staatliches Handeln auf seine Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen, bislang um ein Grundsatzurteil drückt – das Bundesverfassungsgericht. Trotz hunderter Verfassungsbeschwerden gab es bislang kein Hauptverfahren und entsprechend auch keinen Beschluss des höchsten Gerichts über die Zulässigkeit der staatlichen Eingriffe in die bürgerlichen Freiheiten. 

In Artikel 8 Absatz 1 des Grundgesetzes etwa heißt es: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“ Etwaige Einschränkungen aufgrund eines Gesetzes sieht Absatz 2 des Artikels lediglich für „Versammlungen unter freiem Himmel“ vor. Mit anderen Worten: Solange sich die Bürger friedlich in privaten Räumen treffen, hat der Staat keinerlei Recht zu irgendwelchen Eingriffen. Der Zweck der Zusammenkunft spielt dabei ebenso wenig eine Rolle wie die Teilnehmerzahl. Einen Pandemievorbehalt erwähnt die Verfassung weder bei dieser Norm noch bei einer anderen. 

Als Hauptgrund für das Schweigen Karlsruhes sehen Kritiker den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth, der von 2009 bis 2018 Mitglied des Deutschen Bundestags gewesen war. Harbarth wird unterstellt, als einstiger Parteisoldat der Union nicht frei über die Corona-Politik der Bundesregierung entscheiden zu können. 

Letztlich ist es unerheblich, ob Karlsruhe wegen persönlicher Befangenheit schweigt oder weil sich das Gericht vor der Verantwortung scheut. Sowohl die Entscheidungsträger in der Politik als auch die ausführende Verwaltung müssen wissen, welche Schritte sie in Ausnahmesituationen ergreifen dürfen und welche nicht. Und die Bürger, die – daran kann nicht oft genug erinnert werden – in einer Demokratie den Souverän bilden, müssen Klarheit darüber haben, welche Einschränkungen sie im Notfall ertragen müssen – und welche etwaigen Übergriffe des Staates sie nicht hinzunehmen brauchen. 

Der Anstieg der Corona-Zahlen zeigt, dass dies keine abstrakte Debatte ist.