Der Impfausschuss der US-Arzneimittelbehörde FDA hat die Empfehlung ausgesprochen, eine Notfallzulassung für den Einsatz des Corona-Impfstoffes von
BioNTech/Pfizer bei Kindern im Alter zwischen fünf und elf Jahren zu erteilen. Währenddessen führt der Vakzin-Hersteller in den USA, Finnland, Polen und Spanien klinische Tests an noch kleineren Kindern ab sechs Monaten durch.
Begründet wird das alles mit der Gefahr von „Long COVID“, also den Spätfolgen einer Corona-Infektion, unter Minderjährigen. In dasselbe Horn bläst der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, wenn er mit Blick auf den bevorstehenden Winter warnt: „Wir werden große Probleme mit Long COVID bei Kindern bekommen.“ Zuvor war auch schon davor gewarnt worden, dass Millionen von Erwachsenen an „Long COVID“ erkranken könnten mit der Folge einer ebenso großen Belastung des Gesundheitssystems wie durch die akuten Infektionen mit dem Virus SARS-CoV-2.
Kein einziger objektiver Biomarker
Dabei herrscht bisher nicht einmal Einigkeit darüber, was „Long COVID“ eigentlich ist. Manche Mediziner assoziieren damit inzwischen rund 200 Symptome, die längere Zeit nach einer COVID-19-Erkrankung fortbestehen oder neu auftreten. Besonders häufig genannt werden in diesem Zusammenhang Müdigkeit, Kurzatmigkeit, Muskelschmerzen, Verlust des Geruchs- oder Geschmackssinns, Konzentrationsschwierigkeiten beziehungsweise Gedächtnisprobleme, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Brust-, Hals- und Bauchschmerzen, Erbrechen und Durchfall, Appetitlosigkeit, Husten sowie depressive Verstimmungen und Fieber. Zur Bestätigung der Diagnose „Long COVID“ besteht kein einziger objektiver Biomarker, sprich kein biologisches Merkmal, das im Blut oder in Gewebeproben gemessen und bewertet werden kann.
ONS-Studie vom 4. Juni
Dies zeigte auch eine Studie des britischen Office for National Statistics (ONS, Amt für nationale Statistik) vom 4. Juni dieses Jahres mit dem Titel „Prävalenz anhaltender Symptome nach einer Infektion mit dem Corona-Virus“, die großes Aufsehen erregte, weil daraus anscheinend hervorging, dass es inzwischen etwa eine Million Kinder und Erwachsene im Vereinigten Königreich gebe, die an „Long COVID“ litten.
Methodische Schwächen
Bei der Diagnose haben sich die Forscher allerdings ausschließlich auf die Auskünfte der Befragten gestützt. Zudem stellen die genannten Symptome durchweg Allerweltsbeschwerden mit vielerlei möglichen Ursachen dar. Des Weiteren wurde kein Unterschied zwischen Personen mit einem positiven SARS-CoV-2-Test und einer tatsächlich diagnostizierten COVID-19-Erkrankung gemacht. Mit anderen Worten: Jemand, der seine (mutmaßliche!) Infektion überhaupt nicht bemerkt hatte, aber nun beispielsweise behauptete, er verspüre Kopfschmerzen und komme schlechter aus dem Bett als früher, wurde als „Long COVID“-Fall gezählt. Dabei erfordert „Long COVID“ ein vorhergehendes COVID. Zu der Horror-Zahl von einer Million kam es schließlich dadurch, dass der ONS von den 26.547 Befragten auf die gesamte britische Bevölkerung hochrechnete.
ONS-Studie vom 16. September
Die methodischen Schwächen der Studie vom Juni gestand die Statistikbehörde inzwischen implizit in Form einer weiteren Veröffentlichung mit dem Titel „Aktualisierte Schätzungen der Prävalenz postakuter Symptome bei Menschen mit Coronavirus (COVID-19) in Großbritannien: 26. April 2020 bis 1. August 2021“ ein, die am 16. September erschien. Darin wurden nun 26.147 Personen mit positivem Corona-Test der gleichen Anzahl negativ getesteter Teilnehmer gegenübergestellt. Die zusammen gut 50.000 Probanden wurden gefragt, ob sie mindestens ein „Long-COVID-Symptom“ an sich selbst festgestellt hätten. Darüber hinaus wurden die Testpositiven zweimal im Abstand von acht und 16 Wochen nach der mutmaßlichen Infektion befragt. Damit gab es zwar immer noch keine Unterscheidung zwischen positiv Getesteten und wirklich Erkrankten, dennoch aber war das Ergebnis aufschlussreich.
Zum Ersten verschwanden die Beschwerden in 95 Prozent aller Fälle nach spätestens 16 Wochen. Zum Zweiten zeigten nur rund drei Prozent aller Kinder mindestens ein „Symptom“ von „Long COVID“. Und zum Dritten unterschieden sich die Werte der testnegativen Kontrollgruppe am Ende sehr wenig von denen der Gruppe der Positiven, was besonders dann der Fall war, wenn es sich bei den Nichtinfizierten um Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen handelte. Hieraus ergibt sich zweifelsfrei, dass „Long COVID“ kaum als Argument für den Nutzen von Impfungen taugt – weder bei Erwachsenen noch bei Kindern.