20.04.2024

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Folge 44-21 vom 05. November 2021 / Leitartikel / Wer verteidigt Europa?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-21 vom 05. November 2021

Leitartikel
Wer verteidigt Europa?
René Nehring

Lange hat es gedauert, bis ein führender Politiker der Europäischen Union (EU) die Dinge beim Namen nannte. In der vergangenen Woche unterstützte der Chef der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) Manfred Weber polnische Forderungen nach EU-Hilfen für den Ausbau der Grenzanlagen zu Weißrussland mit dem Argument, dass an der Grenze zwischen Weißrussland und Polen ein „hybrider Krieg“ stattfindet. 

In der Tat trägt das Agieren des weißrussischen Diktators Alexander Lukaschenko Züge einer verdeckten Kriegsführung. Seine Ankündigung, Migranten nicht mehr an der Weiterreise nach Polen – und damit nach Mitteleuropa – zu hindern, wurde von diesen umgehend als Einladung verstanden, ihre Routen über das osteuropäische Land zu verlegen. Im Ergebnis steigt seit Monaten die Zahl der illegalen Einreisen von Weißrussland nach Polen und von dort nach Deutschland. 

Minsker Kriegserklärung

Die aktuellen Ereignisse werden vielfach mit der Migrationswelle von 2015 verglichen. Eines ist freilich anders: Diesmal wurde die Welle nicht von dubiosen Hinterleuten gesteuert – sondern von einem ausländischen Staatschef angekündigt und vorsätzlich herbeigeführt. Die Ankündigung des Minsker Diktators darf somit durchaus als eine Kriegserklärung verstanden werden (die freilich als Antwort auf die vorherige Unterstützung der EU für die weißrussische Opposition sowie Sanktionen gegen sein Land erfolgte). 

Umso erstaunlicher das bisherige Agieren der EU-Institutionen: Obwohl die Minsker Kriegserklärung nicht Warschau galt, sondern Brüssel, tun die dortigen Verantwortlichen bislang überwiegend so, als ob das tausendfache unrechtmäßige Eindringen in den EU-Raum eine bilaterale Angelegenheit zwischen Polen und Weißrussland sei. Zwar wirkt die Union seit wenigen Tagen auf internationale Fluggesellschaften ein, ihre Flüge nach Weißrussland zu reduzieren oder gar einzustellen, damit die Asylbewerber gar nicht erst dort einreisen können. Doch an der entscheidenden Stelle, der Sicherung der polnischen Ostgrenze – die zugleich die Außengrenze der Europäischen Union ist (!) –, unternimmt Brüssel nicht nur nichts, sondern fällt Warschau mit der Verweigerung von Zuschüssen für den Grenzschutz sogar in den Rücken. 

Dabei spielt sicherlich eine Rolle, dass die EU an anderer Stelle gerade einen Konflikt mit Polen führt: über die Frage, ob das Recht der Union über demjenigen der Mitgliedsstaaten steht oder nicht. Dahinter steckt sowohl der jahrzehntelange Traum europäischer Eliten von einer „immer engeren Union“ als auch die faktische Sogwirkung des Brüsseler Apparats, immer weitere Kompetenzen an sich zu ziehen. Das Ziel beider Bestrebungen ist, den bisherigen Staatenbund souveräner europäischer Nationen sukzessive in einen Bundesstaat umzuwandeln. 

Verweigerung elementarer Aufgaben

Doch was wäre das für ein Staat, der seinen elementaren Aufgaben – zu denen die Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit an erster Stelle gehört – nicht nachkommt und seine Mitglieder im Ernstfall sogar offen im Stich lässt? Die Mitgliedsländer der EU, für deren Mehrzahl die Union abseits aller Schönwetterfloskeln seit Jahrzehnten vor allem eine große Zuwendungsgeberin ist, werden sich genau ansehen, wie wenig Brüssel den Polen gerade beisteht. Und sie werden ihre Schlüsse daraus ziehen, wie sehr sie in ähnlichen Situationen auf die EU zählen können. Dies dürfte auch für diejenigen Polen gelten, die seit geraumer Zeit darüber nachdenken, ob ihr Land in der EU verbleiben soll oder nicht. 

Wie die Ignoranz der vitalen Interessen einer selbstbewussten europäischen Nation ausgehen kann, hat vor fünf Jahren das Referendum der Briten über den „Brexit“ gezeigt. Es scheint, als ob Brüssel aus jenem Desaster nichts gelernt hat.