29.03.2024

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Folge 45-21 vom 12. November 2021 / Politik / Inmitten zweier Krisen steht Deutschland führungslos da / Während sich die Lage an der polnisch-weißrussischen Grenze verschärft und die Corona-Zahlen steigen, erlebt unser Land bleierne Tage des Interregnums

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-21 vom 12. November 2021

Politik
Inmitten zweier Krisen steht Deutschland führungslos da
Während sich die Lage an der polnisch-weißrussischen Grenze verschärft und die Corona-Zahlen steigen, erlebt unser Land bleierne Tage des Interregnums
René Nehring

Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.“ Nach diesem alten Pazifistenwahlspruch scheint Bundeskanzlerin Angela Merkel dieser Tage das Migrationsproblem an der polnisch-weißrussischen Grenze aussitzen zu wollen. Obwohl nach polnischen Berichten inzwischen mehr als tausend Migranten täglich versuchen, in die EU einzudringen, und obwohl es das erklärte Ziel fast aller Asylbewerber ist, nach Deutschland weiterzureisen, unternimmt Berlin praktisch nichts (siehe auch das Interview auf Seite 6). 

Nur zur Klarstellung: Es war die Kanzlerin selbst, die in den vergangenen Monaten wiederholt den weißrussischen Diktator Alexander Lukaschenko öffentlich kritisierte und ihm während des EU-Gipfels in Brüssel im Oktober sogar „staatlichen Menschenhandel“ vorwarf. Insofern darf man davon ausgehen, dass Merkel ein klares Bild von der Lage vor Ort hat. 

Umso erstaunlicher, dass sie – jenseits der starken Kritik an dem Minsker Herrscher – die Hände wieder einmal in den Schoß legt und jedes Handeln unterlässt. Weder gibt es verbale oder gar materielle Unterstützung für Polen und dessen Bemühungen, seine östliche Staatsgrenze abzusichern, noch einen Appell an die Europäische Union, die Polen bei ihren eigenen Anstrengungen materiell und politisch nicht allein zu lassen. Obwohl inzwischen fast alle Kommentatoren auf nahezu allen Ebenen von einer „hybriden Kriegsführung“ durch Minsk sprechen, die unmittelbar auch gegen Deutschland gerichtet ist, tut die Führung in Berlin so, als lebten wir in ruhigen Zeiten.

Zaudern, bis es zu spät ist

Das aktuelle Nicht-Agieren der Kanzlerin reiht sich ein in eine lange Phalanx von Ereignissen ihrer Amtszeit, bei denen sie Lösungen so lange verzögerte, bis die deutsche Politik zur Getriebenen der Umstände wurde: Zuletzt etwa das Ignorieren der Entwicklungen in Afghanistan und Merkels entblößendes Statement, dass „die Dinge anders gelaufen sind, als wir uns das vorgestellt haben“. Oder das Versagen bei der Beschaffung der Corona-Impfstoffe, die Merkel aus Symbolgründen und zur Vermeidung des Vorwurfs eines angeblichen „Impfnationalismus“ lieber der EU übertrug – obwohl diese gar keine Institutionen für diese Aufgabe hat, sodass andere Länder deutlich schneller einen in Deutschland entwickelten Impfstoff bekamen als die Deutschen selbst. Oder die Migrationswelle des Jahres 2015, als es Merkel wichtiger war, „ein freundliches Gesicht“ zu zeigen, als mit Verbündeten wie Ungarn eine Lösung zu finden. 

Anderes Thema, ähnliche Lage: Seit mehreren Wochen steigen in Deutschland die Corona-Zahlen wieder stark an, schon warnen Ärzte und Pfleger vor einem Notstand in den Krankenhäusern. Doch von der Kanzlerin ist auch hier wieder nichts zu hören: keine Aussage zur Lage des Gesundheitswesens und schon gar kein Gedanke dazu, wie man die Skeptiker doch noch dazu bewegen könnte, sich freiwillig impfen zu lassen. Zwar sind die Regierungschefin und ihre Minister seit der Konstituierung des neuen Bundestags nur noch „geschäftsführend“ bis zur Wahl eines neuen Kanzlers im Amt, doch nimmt ihnen dieser Status keinerlei Kompetenzen zur Gefahrenabwehr. 

Ob sich unter einer neuen Regierung die Dinge verbessern werden, darf indes bezweifelt werden. Denn vom mutmaßlich nächsten Kanzler Olaf Scholz ist derzeit ebenso wenig zu hören. Natürlich ist Scholz angesichts stockender Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP gut beraten, sowohl hinter den Kulissen als auch in der Öffentlichkeit vermittelnd aufzutreten. Doch hätte er mit einigen klaren Aussagen die Gelegenheit, auch ohne Amt natürliche Führungsstärke zu zeigen und bereits vor seiner Wahl zum Kanzler deutlich zu machen, bei wem künftig die Richtlinienkompetenz in diesem Lande liegt. 

Fairerweise muss man sagen, dass Scholz die Wahl gewonnen hat, weil er von allen Kanzlerkandidaten am glaubhaftesten für ein ruhiges „Weiter so!“ gestanden hat. Insofern bekommen die Deutschen das, was sie gewählt haben.