29.03.2024

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Folge 45-21 vom 12. November 2021 / Bezirksbürgermeister / „Fortschrittskoalitionen“ gegen die CDU / Bruch mit früherer Praxis: Zählgemeinschaften verhindern Unionskandidaten trotz deren relativer Mehrheit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-21 vom 12. November 2021

Bezirksbürgermeister
„Fortschrittskoalitionen“ gegen die CDU
Bruch mit früherer Praxis: Zählgemeinschaften verhindern Unionskandidaten trotz deren relativer Mehrheit
Norman Hanert

Etablierte Parteien verwerfen bewährte Spielregeln der Demokratie nicht erst seit dem Aufkommen der AfD aus kurzfristigen taktischen Erwägungen. Um die damalige PDS kleinzuhalten, hatten in Berlin CDU und SPD Ende der 1990er Jahre eine bewährte Regelung zur Wahl der Bezirksbürgermeister abgeschafft. Die Berliner CDU bekommt nun die Folgewirkungen des eigenen Vorgehens zu spüren. Bei der Berlin-Wahl am 26. September schnitt die Union in drei Bezirken als stärkste Kraft ab. Anders, als früher in solchen Fällen üblich, stellen die Christdemokraten jedoch in keinem der drei Rathäuser nun den neuen Bürgermeister.

Im Bezirk Marzahn-Hellersdorf wählten die Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und Tierschutzpartei den SPD-Politiker Gordon Lemm zum neuen Bürgermeister. Mit knappem Vorsprung vor den Sozialdemokraten hatte eigentlich die CDU in dem Bezirk die meisten Stimmen geholt. Auch in Steglitz-Zehlendorf bildeten Grüne, SPD und FDP eine Zählgemeinschaft, um die Grüne Maren Schellenberg zur Bezirksbürgermeisterin zu küren. Die bisherige Amtsinhaberin von der CDU verliert damit ihr Amt, obwohl ihre Partei mit rund 27 Prozent die Wahl im Bezirk klar gewonnen hatte. Auch in Reinickendorf, jahrzehntelang eine CDU-Bastion, sorgten die Ampel-Parteien dafür, dass die SPD und nicht mehr die CDU als eigentlicher Wahlsieger den Rathaus-Chef stellt. 

Nur noch Stadtratsposten übrig

Der bisherige Amtsinhaber Frank Balzer wertete diese Entwicklung als Missachtung des Wählerwillens: „Die Reinickendorfer haben die CDU zur deutlich stärksten Kraft im Bezirk gewählt, weil sie sich eine CDU-geführte Kommunalpolitik wünschen“, so Balzer. In einer gemeinsamen Erklärung mit SPD und Grünen sprach Reinickendorfs FDP-Bezirksvorsitzende Sybille Meister dagegen von der Absicht, den Bezirk „in einer Fortschrittskoalition voranzubringen“.

Als Folge dieser stadtweiten Entwicklung ist nun nicht nur die Berliner Landesregierung in rot-grüner Hand, sondern auch die Rathäuser der Bezirke. Die CDU muss sich bei dieser Entwicklung damit begnügen, lediglich Stadtratsposten zu besetzen. Diese werden proportional zum Wahlergebnis verteilt. Die Stadträte können bei ihrer Arbeit durchaus eigene Akzente setzten, wie gerade Sarah Nagel, die designierte Linken-Stadträtin für Ordnung in Berlin-Neukölln bewiesen hat. Noch bevor die neue Chefin des Ordnungsamtes ihre Arbeit aufnahm, hatte die Politikerin Razzien in Shisha-Bars infrage gestellt, die sie als „stigmatisierend“ bezeichnete.

Trotz der Spielräume der Stadträte in deren Amtsführung wird die große Linie der Bezirkspolitik von den Bürgermeistern bestimmt. Die Hauptstadt-CDU muss nun zur Kenntnis nehmen, dass sie vor längerer Zeit selbst die Grundlage dafür geschaffen hat, mit der sie nun trotz ihrer Wahlsiege in drei der zwölf Berliner Bezirke bei den Bürgermeisterwahlen durch „Fortschrittskoalitionen“ ausgebootet wird.

Ende der 90er Jahre sorgten CDU und SPD als Große Koalition nämlich für eine Änderung im Bezirksverwaltungsgesetz. Seitdem besteht für die Partei mit den meisten Stimmen im Bezirksparlament kein Anspruch mehr, tatsächlich auch den Bürgermeister zu stellen. Im Blick hatten die beiden Parteien dabei insbesondere, durch sogenannte Zählgemeinschaften der Zweit- und Drittplatzierten in den östlichen Bezirken die Wahl von Bürgermeistern der PDS verhindern zu können.

Paradoxerweise hat die damalige Abänderung der Spielregeln in diesem Jahr nicht nur ermöglicht, die CDU in der einstigen PDS-Hochburg Marzahn-Hellersdorf bei der Besetzung des Bürgermeisteramtes zu übergehen. Im Bezirk Pankow hat die Linkspartei die Möglichkeit einer Zählgemeinschaft geschickt genutzt, um ihren eignen Kandidaten Sören Benn statt der Grünen Cordelia Koch zum Bürgermeister zu machen. 

Linke-Anwärter mit AfD-Stimmen?

Die Grünen hatten die Bezirkswahl eigentlich deutlich vor der Linkspartei und ihrem bisherigen Amtsinhaber Benn gewonnen. Bei der Bürgermeisterwahl im Bezirksparlament siegte dann jedoch erneut der Kandidat der Linkspartei. Linkspartei und SPD, die Benns Kandidatur unterstützten, kommen im Bezirksparlament zusammen auf 23 Stimmen.

Gewählt war Benn jedoch mit 29 Ja-Stimmern. Nach der Wahl reklamierte dann die AfD-Fraktion prompt für sich, den Linken mitgewählt zu haben. Die Fraktionschefin der Berliner Grünen im Abgeordnetenhaus, Bettina Jarasch, sprach nach der Wahl von einem „Dammbruch“. Jarasch warf Benn vor, in die Bürgermeisterwahl ohne eine eigene Mehrheit gegangen zu sein. 

Damit habe er riskiert, dass die AfD ihn ins Amt wähle oder zumindest behaupten könne, dass sie das getan habe, so die Grüne. Benn wies Vergleiche mit der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten im Februar 2020 zurück. Nach Angaben des Linkspartei-Politikers sei seine Wahl zum Pankower Bezirksbürgermeister mit Unterstützung der CDU zustande gekommen.