20.04.2024

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Folge 46-21 vom 19. November 2021 / Friedrich List / Die Gründe seines Suizids bleiben im Dunkeln / Vor 175 Jahren nahm sich der Nationalökonom das Leben. Rastlos-umtriebig hatte er sich als Theoretiker und Praktiker auch über Deutschlands Grenzen hinaus für seine bis heute aktuellen Ideen engagiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-21 vom 19. November 2021

Friedrich List
Die Gründe seines Suizids bleiben im Dunkeln
Vor 175 Jahren nahm sich der Nationalökonom das Leben. Rastlos-umtriebig hatte er sich als Theoretiker und Praktiker auch über Deutschlands Grenzen hinaus für seine bis heute aktuellen Ideen engagiert
Erik Lommatzsch

Wichtiger als der Reichtum selbst sei die Kraft, Reichtum zu produzieren. Mit dieser These, der Theorie der produktiven Kräfte, positionierte sich Friedrich List gegen die klassische Werttheorie. Hatte Adam Smith, der Begründer der Politischen Ökonomie, noch „die Frage nach der Natur und den Ursachen des Volkswohlstandes als der Gesamtheit materieller Güter und Werte gestellt“, so verwies List „auf die produktiven Kräfte, welche in einer Nation schlummern und durch Politik und Erziehung geweckt werden können“, wie der Professor für Volkswirtschaftslehre Walter Braeuer in der „Neuen Deutschen Biographie“ schreibt. 

Neben seinem unbestrittenen Rang als Theoretiker und Wegbereiter der Historischen Schule der Nationalökonomie wird List insbesondere mit dem nachdrücklichen Einsatz für den Ausbau des Eisenbahnnetzes sowie für die Beseitigung der innerdeutschen Zollschranken verbunden. Er selbst formulierte: „Der Zollverein und das Eisenbahnsystem sind siamesische Zwillinge, zu gleicher Zeit geboren, körperlich aneinander gewachsen … unterstützen sie sich wechselseitig, streben nach einem und demselben großen Ziel, nach Vereinigung der deutschen Stämme zu einer … Nation.“ 

Rastlos verlief das Leben Lists

List kam in der Freien Reichsstadt Reutlingen zur Welt. Sein Geburtsdatum ist nicht gesichert, getauft wurde er am 6. August des Revolutionsjahres 1789. So unstet er bezüglich seines örtlichen Lebensmittelpunktes war, so nachdrücklich verfolgte er die Propagierung und Umsetzung seiner Ideen. Wechselhaft gestaltete sich seine persönliche materielle Situation, die er jedoch seinen Zielen nachordnete.

Aufgewachsen ist List in wohlhabenden Verhältnissen als Sohn des Betreibers einer Weißgerberei. Dort war er zwei Jahre tätig, bevor er in die württembergische Verwaltung eintrat. Tätig war er unter anderem in Blaubeuren und Ulm. Durch seinen Wirkungsbereich und durch eigene Lektüre geschult, legte er 1811 erstmals eine eigene Ausarbeitung vor, die sich mit der Neuorganisation des Steuerwesens befasste. Im selben Jahr wechselte er zum Oberamt Tübingen. Er besuchte Lehrveranstaltungen der Universität, erwarb aber keinen Abschluss. Selbstbewusst formulierte er 1815 die „Sulzer Adresse“ – ein Text, der bürgerliche Freiheiten fordert und die vom württembergischen König oktroyierte Verfassung zurückweist. Im Folgejahr wurde der inzwischen als Rechnungsrat verbeamtete List Mitherausgeber des „Württembergischen Archivs“. Bis an sein Lebensende sollte neben eigenen Schriften eine Vielzahl von Herausgeberschaften folgen.

Ein Exot unter den Gelehrten

1817 wurde er Professor für Staatsverwaltungspraxis in Tübingen, hatte aber als Exot unter den Gelehrten einen schweren Stand und verzichtete zwei Jahre später auf den Lehrstuhl. Umtriebigkeit blieb sein Kennzeichen. So reiste er im April 1819 zur Messe nach Frankfurt am Main. 70 Kaufleute und Fabrikanten unterstützten dort die von ihm verfasste „Bittschrift an die Bundesversammlung um Aufhebung der Zölle und Mauten im Innern Deutschlands“. Maßgeblichen Anteil hatte List an der Gründung des „Deutschen Handels- und Gewerbevereins“, aus dem 1834 der „Deutsche Zollverein“ hervorgehen sollte. Reutlingen wählte ihn in die württembergische Ständeversammlung, sein Bemühen um eine liberale Verwaltungsreform wurde allerdings als Verleumdung und Übertretung des Gesetzes über die Pressefreiheit gewertet. Er wurde aus dem Parlament ausgeschlossen und zu einer Haftstrafe verurteilt. Zunächst floh er, unter anderem nach Paris, wo er mit Marie-Joseph Motier, Marquis de La Fayette, zusammentraf, der sowohl im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg als auch in der Französischen Revolution eine Rolle gespielt hatte. Mit der Hoffnung auf Haftverschonung kehrte List nach Württemberg zurück, gewährt wurde diese jedoch nicht. Nachdem er einen Teil der Strafe auf der Festung Hohen­-

as­perg verbüßt hatte, wurde er im Februar 1825 entlassen, gegen das Versprechen, nach Amerika auszuwandern.

Zur Auswanderung genötigt

Dort erwarb er eine Farm sowie ein Steinkohlelager. In den USA wurde ihm zum einen die künftige Bedeutung des Eisenbahnwesens bewusst, zum anderen wurde er zu einem Befürworter von Schutzzöllen. Im Gegensatz zu den innerdeutschen Binnenzöllen hielt er zumindest temporäre Außenzölle, sogenannte Erziehungszölle, für geboten, um einer auf wirtschaftlichem Gebiet gegenüber anderen zurückgebliebenen Nation den erfolgreichen Anschluss an die Entwicklung zu ermöglichen. 

Als Staatsbürger der USA und deren Konsul kehrte er nach Deutschland zurück. Den Einsatz für seine Projekte betrieb er unter anderem von Leipzig aus, wo er 1833 ansässig wurde. Dort verfasste er die Denkschrift „Über ein sächsisches Eisenbahnsystem als Grundlage eines allgemeinen deutschen Eisenbahnsystems“. Als Erfolgserlebnis konnte er verbuchen, dass im Mai 1835 innerhalb von zwei Tagen das gesamte Aktienkapital für den Bau der Strecke Leipzig–Dresden von privaten Geldgebern gezeichnet wurde. Er setzte sich daraufhin für eine Erweiterung in Richtung Magdeburg, Berlin und Hamburg ein. Die von ihm angestrebte Leitungsposition bei der Bahn blieb ihm aber verwehrt. Eine seiner weiteren Initiativen war das große „Staatslexikon“, aufgrund vor allem persönlicher Zerwürfnisse fungierte er später jedoch nicht als Herausgeber. List wechselte nach Paris, bevor er in Thüringen wieder bezüglich seiner Eisenbahnanliegen aktiv wurde. 1841 siedelte er nach Augsburg über. In diesem Jahr erschien auch sein Hauptwerk, „Das Nationale System der Politischen Ökonomie“. 

Rückkehr als US-Konsul

Eisenbahnpläne hatte List nicht nur für Deutschland entworfen, sondern auch für Frankreich. Für das Verkehrswesen in Ungarn engagierte er sich und für Manufakturförderung in Österreich. Sich selbst aufreibend zwischen praktisch-organisatorischer und publizistisch-theoretischer Arbeit, setzte er am 30. November 1846 seinem Leben in Kufstein ein Ende. Umstritten blieb, ob er wegen Erschöpfung und Krankheit Selbstmord beging oder aus Enttäuschung über Rückschläge. So war beispielsweise seine Schrift über eine Allianz zwischen Deutschland und England bei den Briten auf Ablehnung gestoßen.

Einfluss und Bedeutung Lists dürften nur schwer zu überschätzen sein. Verwiesen sei nur darauf, dass sein Stufenmodell der volkswirtschaftlichen Entwicklung bis heute Anwendung findet und man sich in Japan vor 150 Jahren ebenso an seinen Ideen orientierte wie unlängst im postkommunistischen China.