29.03.2024

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Folge 47-21 vom 26. November 2021 / Populismus Während linke Parteien in Europa seit Langem etabliert sind, galten rechte Kräfte als Randfiguren des Politikbetriebs. Anders als in Deutschland hat sich dies in den vergangenen Jahren vielerorts geändert / Der Wandel einstiger Schmuddelkinder / Ein Überblick über die Lage in verschiedenen europäischen Ländern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-21 vom 26. November 2021

Populismus Während linke Parteien in Europa seit Langem etabliert sind, galten rechte Kräfte als Randfiguren des Politikbetriebs. Anders als in Deutschland hat sich dies in den vergangenen Jahren vielerorts geändert
Der Wandel einstiger Schmuddelkinder
Ein Überblick über die Lage in verschiedenen europäischen Ländern
Robert Mühlbauer

Der Umgang mit rechten Konkurrenzparteien spaltet nach wie vor die europäischen Parteien. In Deutschland sitzt nun zum zweiten Mal die Alternative für Deutschland im Bundestag. Die etablierten Parteien versuchen sie mit einem scharfen Ausgrenzungskurs zu schwächen und zu isolieren. Die Rhetorik ist scharf, unversöhnlich auf beiden Seiten. In einer bemerkenswerten Formulierung hatten sowohl CSU-Chef Markus Söder als auch der gescheiterte CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet gesagt, man müsse die AfD „bis aufs Messer“ bekämpfen. Gemeinsame parlamentarische Initiativen oder Absprachen sind völlig tabu, zumindest in Westdeutschland. In Mitteldeutschland könnte die Abgrenzung indes bald erodieren.

Österreich

Ein Blick ins europäische Ausland zeigt, dass dort die Schwesterparteien von CDU/CSU keineswegs alle die dortigen sogenannten Rechtspopulisten ausgrenzen. Einige haben sogar zeitweilig Koalitionen mit ihnen geschlossen, wie etwa die Österreichische Volkspartei (ÖVP) mit der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), bevor dieses Bündnis nach der Ibiza-Affäre zerbrach. Andere ließen Regierungen dulden oder kooperieren punktuell, manche nähern sich inhaltlich den Rechten oder „Rechtspopulisten“ an, wie man gerade beim Nachbarn westlich des Rheins beobachten kann.

Frankreich

Die extreme Ausgrenzung in Frankreich scheint zu Ende. Früher war dort die Rede von einem „cordon sanitaire“ – wörtlich: Seuchenabwehrgürtel –, der um den Front National gelegt werden sollte. Doch diese Strategie hat sich nicht bewährt und wird gelockert. Der rechte TV-Journalist Éric Zemmour, der vor einem „großen Austausch“ der Bevölkerung durch islamische Zuwanderer warnt, hat als (noch nicht offiziell erklärter) Präsidentschaftskandidat einen kometenhaften Aufstieg in Umfragen geschafft und zieht viele Blicke auf sich. Plötzlich gilt Marine Le Pen nicht mehr als die „extreme Rechte“, sondern wird schon als die „Moderatere“ wahrgenommen.

Die Rechte beherrscht in Frankreich nach einem Jahrzehnt mit blutigen islamischen Terroranschlägen und Aufständen in den Ghettos der Vorstädte den nationalen Diskurs über Einwanderung, Islam und Identität. Das hat zur Folge, dass die wichtigsten Kandidaten von „Les Républicains“, der Partnerpartei der deutschen CDU/CSU, einen scharf immigrationskritischen Kurs eingeschlagen haben. Michel Barnier, früher EU-Kommissar und Brexit-Unterhändler, verlangt ein mehrjähriges Moratorium, also einen temporären Stopp für außereuropäische Zuwanderung. „Frankreichs Mitte-Rechts tanzt nach Zemmours Immigrationspfeife“, titelte jüngst die Londoner Wirtschaftszeitung „Financial Times“. Wer nächstes Jahr gegen Präsident Emmanuel Macron in die Stichwahl kommt, ist unklar, aber sowohl Le Pen also auch Zemmour haben gute Chancen.

In Skandinavien haben sogenannte rechtspopulistische Parteien schon seit drei Jahrzehnten die nationale politische Landschaft aufgewühlt und verändert. In Kopenhagen, Oslo und Helsinki nahmen sie in den letzten Jahren direkt oder indirekt Einfluss auf Regierungen und haben inhaltlich den Kurs mitgeprägt. Besonders deutlich ist das in Dänemark, wo die regierenden Sozialdemokraten die Einwanderungs- und Integrationspolitik inzwischen weitgehend den Forderungen der rechten Dänischen Volkspartei angepasst haben. Auch wenn die Volkspartei bei der Folketing-Wahl 2019 Federn ließ, hat sie inhaltlich doch viel bewegt.

Skandinavien

Bemerkenswert ist die Entwicklung in Schweden. Viele Jahre wurden die Schwedendemokraten (SD), die einst Wurzeln im harten rechtsextremen Lager hatten, von den anderen Parteien komplett ausgegrenzt, doch dieser Damm ist löchrig geworden. Die eskalierende Bandenkriminalität treibt die Wähler in die Arme der Partei (siehe Artikel unten). SD-Chef Jimmie Åkesson ist es im Frühjahr erstmals gelungen, eine gemeinsame Initiative mit den Liberalen, Konservativen (Moderate Sammlungspartei) und Christdemokraten für ein strengeres Einwanderungsgesetz zu schmieden. Damit hat er erstmals die Ausgrenzungsfront durchbrochen.

Italien

In Südeuropa kamen in Italien Vertreter rechter und sogenannter rechtspopulistischer Parteien in den 90er Jahren in die Mitte-Rechts-Kabinette von Silvio Berlus-coni, dessen Forza Italia wie die CDU/CSU im Parteienbündnis der Europäischen Volkspartei Mitglied ist. Die italienischen Rechten gelten nicht mehr als „Schmuddelkinder“, die am Rande stehen, sondern haben sich im Zentrum der Debatten festgesetzt, während die alte Christdemokratie nach Korruptionsskandalen implodierte. 

Gegenwärtig liefern sich die Lega des ehemaligen Innenministers Matteo Salvini, die in der Draghi-Regierung Minister stellt, und die oppositionellen Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) von Giorgia Meloni einen Kampf um die Vorherrschaft im rechten Lager. Beide liegen in Umfragen knapp an der 20-Prozent-Marke. Die blonde Ex-Jugendministerin Giorgia Meloni, 44 Jahre alt und in deutschen Medien schon mal schaudernd als das „Engelsgesicht des Postfaschismus“ vorgestellt, zählt zu den beliebtesten Politikern des Landes. Vor wenigen Wochen hat Berlus-coni Salvini und Meloni in seine römische Villa Grande an der Via Appia eingeladen und dort das Bündnis der drei Parteien bekräftigt. Die nächste Parlamentswahl muss spätestens im März 2023 stattfinden. Manche sprechen davon, Meloni könnte die erste weibliche Ministerpräsidentin Italiens werden.

Spanien

Anders als in Italien ist in Spanien eine sogenannte rechtspopulistische Partei ein noch junges Phänomen. Erst Ende 2013 – also kurz nach der AfD – gründete sich Vox (Stimme), doch ist der Partei ein bemerkenswerter Aufstieg gelungen. Bei der Wahl Ende 2019 kam sie unter der Führung von Santiago Abascal auf 15 Prozent. Gegründet wurde Vox von Abtrünnigen der Partido Popular (PP, Volkspartei), dem spanischen CDU-Pendant. Während der PP-Vorsitzende Pablo Casado zu Vox Abstand hält, regiert die Partei auf regionaler Ebene, beispielsweise in Madrid mit ihrer beliebten Regionalpräsidentin Isabel Ayuso, mit Stimmen von Vox. Erste Medien spekulieren schon dar-über, dass auch auf nationaler Ebene Bündnisse denkbar erscheinen.

Ostmitteleuropa

Ganz anders als in Deutschland ist die parteipolitische Landschaft in den meisten Staaten Ostmitteleuropas, besonders in Polen und Ungarn, wo nationalkonservative Parteien seit Jahren die Szene dominieren. Ungarns Ministerpräsident Victor Orbán sagt, mit seinem strikten Ablehnungskurs gegen Einwanderer aus islamischen Ländern verteidige er das Abendland. Bis zum endgültigen Bruch in diesem Frühjahr saß Orbáns Fidesz-Partei in der EVP-Fraktion neben den Abgeordneten von CDU und CSU. Nächstes Jahr muss Orbán in einer Wahl seine Mehrheit verteidigen. Er ist derzeit ein zentraler Anziehungspunkt für viele Rechte in Europa – Le Pen, Zemmour und Meloni umwerben ihn, vor wenigen Tagen war Abascal in Orbáns Büro im Karmeliterkloster auf der Burg zu Besuch. Über Jahre war auch die CSU Orbán-freundlich, bevor sie unter Söder einen Linksschwenk machte.

Der europäische Überblick zeigt, dass christdemokratische oder konservative Parteien häufiger als gedacht mit sogenannten rechtspopulistischen Kräften kooperieren. Die Ausgrenzung der AfD muss nicht für die Ewigkeit sein. AfD-Parteiveteran Alexander Gauland sagte vor wenigen Tagen, sein Ziel sei es, „in die Union den Spaltpilz“ zu tragen, indem seine Partei Anträge stelle, die auch von einem bestimmten Kreis von CDU-Leuten stammen könnten. In der Opposition gegen die sich formierende Ampel-Regierung könnten Anknüpfungspunkte entstehen. „Wir müssen langfristig an eine Zusammenarbeit mit einer anderen Partei denken“, sagte Gauland. „Das kann nur die Union sein.“