29.03.2024

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Folge 47-21 vom 26. November 2021 / Kolumne / Entspannung an der Grenze?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-21 vom 26. November 2021

Kolumne
Entspannung an der Grenze?
Florian Stumfall

Nachdem sich die Lage an der weißrussisch-polnischen Grenze über Wochen teils dramatisch verschärft hatte, scheint inzwischen eine Beruhigung eingetreten zu sein. Die Zustände waren längst untragbar geworden, unzumutbar für die Menschen und zunehmend kompromittierend für die weißrussische Regierung in Minsk. Diese hatte denn auch beschlossen, das Lager an der Grenze aufzulösen. 

Am 20. Novem­ber meldete der weißrussische Grenzschutz, ein weiterer Aufenthalt der Migranten, darunter auch Kinder, wäre angesichts der sinkenden Temperaturen und der verheerenden Versorgungslage lebensbe­drohend geworden. Tags zuvor waren erst gegen 800 Menschen, dann aber alle der nach Tausenden zählenden Migranten in ein Logistikzen­trum verbracht worden, das sich in der Grenzstadt Bruzgi befindet. Nun haben die Menschen ein Unterkom­men, wenn auch provisorisch, warme Mahlzeiten, Heizung, für den Winter geeignete Kleidung und medizinische Hilfe. 

Noch wenige Tage zuvor hatten die Migranten, die hauptsächlich aus dem Irak, Syrien und Afghanistan kommen, teilweise mit Gewalt versucht, die weißrussisch-polnische Grenze zu überwinden und so in die EU zu gelangen. Die polnischen Grenzsicherungskräfte waren gezwungen, verschärfte Mittel dagegen anzuwenden, so auch Tränengas, Wasserwerfer und Schlagstöcke. In die Gegenrichtung flogen Steine, durch die ein polnischer Polizist einen Schädelbruch erlitt. Er blieb freilich nicht der einzige Verletzte. Polen durfte sich auch im Spiegel der westlichen Presse als der Schutz­schild der EU fühlen, der Europa davor bewahrt, von unkon­trollierbaren Menschenmassen überschwemmt zu werden. Als im Jahre 2015 als erster der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán genau dasselbe unternommen hatte, wurde er dafür beschimpft und verächt­lich gemacht. 

Polen und Ungarn

Heute gilt die Kritik der weißrussischen Regierung und somit vorzüg­lich ihrem Chef Alexander Lukaschenko. Er habe, so der Vorwurf der west­lichen, in der Hauptsache der deutschen Medien, die Leute aus dem Nahen und Mittleren Osten gezielt eingeflogen, um sie als Mittel der Erpressung gegenüber der EU zu verwenden. 

Das erinnert an eine ähnliche Lage an der Küste der Ägäis, wo sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan demselben Verdacht ausgesetzt gesehen hat. Doch bei ihm, als dem Chef eines NATO-Staates, ging die Rechnung auf. Ankara ließ und lässt sich ein moderates Verhalten in der Migrationsfrage mit einigen Milliarden vergelten und ist aus den einschlägigen Schlagzeilen verschwunden. Dabei war es nicht allein Weißrussland, das die jüngste Welle von Zuwanderern eingeflogen hat. Die Türkei war an dem Geschäft ebenso beteiligt, was spätestens offenbar wurde, als beide Länder gelobten, solche Transporte einzustellen. 

Weißrussland und die Türkei

Der augenblickliche Brennpunkt im Osten Europas fordert allerdings einen Vergleich mit der ständigen Einwanderung aus Afrika über das Mittelmeer heraus. Im Zusammenhang mit dem polnisch-weißrussi­schen Konflikt wird in den Medien der Eindruck verbreitet, aus moralischer Warte stelle die Zuwanderung nach Europa ein Hochfest der Menschlichkeit dar, derjenige aber, der es verursacht hat, Lukaschenko, sei ein Unhold. Es geht hier jedoch nicht darum, den Minsker Machthaber zu klassifizieren, sondern um eine gleiche Beurteilung vergleichbarer Umstände. 

Diejenigen nämlich, die afrikanische Migranten mit Schiffen übers Mittelmeer holen, gewohnheitsmäßig und organisiert, Gutmensch-Gruppen, Nichtregierungsorganisationen und Kirchen, die alle nicht verhindern können, dass sie das Geschäft von professionellen, kriminellen Schleusern begünstigen, diese also erfreuen sich hohen Ansehens in Europa und werden wegen ihrer Humanität gepriesen. Doch rein funktional ist schwer festzustellen, was ihr Tun und Treiben von dem Lukaschenkos unterscheidet. Genau betrachtet sollten sich die Regierungen der EU-Länder oder sollte sich gar die EU selbst zu einer Erklärung in dem Sinne durchringen, ob man nun die unbeschränkte Zuwanderung befürworte oder aber nicht. Doch ein Bekenntnis dazu scheut man, denn in diesen Dingen fürchtet die Obrigkeit immer noch den Souverän – vorerst noch. 

Lukaschenko und die Gutmenschen

Bei aller Bemühung, die Dinge nicht nach ihrer Art, sondern nach der eigenen politischen Präferenz zu beurteilen, tritt eine wichtige Frage in den Hintergrund, nämlich diejenige nach dem rechtlichen Status der ungezählten Tausende, die in Europa Einlass begehren. In den Medien werden sie gerne als Asylanten oder Flüchtlinge bezeichnet. Beide Begriffe sind falsch in einer weit überwiegenden Zahl der Fälle. 

Wer das Asylrecht erlangen will, muss sich in unmittelbarer, persönlicher Gefahr befinden, wegen seines Glaubens, seiner politischen Überzeugung oder Ähnlichem verfolgt zu werden. Die unmittelbare Gefahr besteht dann nicht, wenn jemand aus einem sicheren Drittland kommt, was bei so gut wie allen, die nach Europa wollen, der Fall ist. Auch Weißrussland gilt völkerrechtlich als sicheres Drittland. Was den Flüchtlingsstatus der Genfer Konvention angeht, so ist auch dieser gebunden an eine Gefahr der unberechtigten Verfolgung – gilt also nicht beispielsweise bei Kriminellen. Auf der Grundlage eines der beiden Rechtstitel den Anspruch auf Asyl oder Aufenthaltsrecht abzuleiten, dürfte in den allermeisten Fällen aussichtslos sein. 

Auf der anderen Seite fällt auf, dass fast alle Migranten aus Ländern kommen, in denen NATO-Staaten Krieg führen oder – wie in Afghanistan – geführt haben. Wollte man also Fluchtgründe mindern, so täte man gut daran, weniger Länder mit Bombardements und Raketenangriffen zu überziehen. Das betrifft den ganzen breiten Gürtel vom Maghreb über Nahost bis nach Pakistan, wobei Afghanistan noch lange eine Folgelast darstellen dürfte. 

Und noch ein Zweites lockt die Tausende: das soziale Netz, mühelos erreichbar, sobald man den Fuß ins Land gesetzt hat, vor allem in Deutschland. Dieses wird so lange seine Anziehungskraft ausüben, bis der Unterschied zwischen hier und den Herkunftsländern eingeebnet sein wird.

Der Autor ist ein christsoziales Urgestein und war lange Zeit Redakteur beim „Bayernkurier“.