19.04.2024

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Folge 47-21 vom 26. November 2021 / Alexander Dubček / „Vater des Prager Frühlings“ / Vor 100 Jahren kam der Slowake zur Welt, der dem Sozialismus ein menschliches Antlitz geben wollte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-21 vom 26. November 2021

Alexander Dubček
„Vater des Prager Frühlings“
Vor 100 Jahren kam der Slowake zur Welt, der dem Sozialismus ein menschliches Antlitz geben wollte
Manuel Ruoff

Der sogenannte Vater des Prager Frühlings entstammte einer kommunistischen Familie. Vier Jahre nach der Geburt des Tischlersohns vor 100 Jahren, am 27. November 1921, im nordwestslowakischen Uhrovec zog die Familie erst nach Kirgisien und dann nach Zentralrussland, um in der Sowjetunion beim Aufbau des Sozialismus mitzuwirken. Nach der Rückkehr in die Tschechoslowakei trat der gelernte Maschinenschlosser der Kommunistischen Partei der Slowakei (KPS) bei.

Nach dem Zweiten Weltkrieg machte der Teilnehmer des Slowakischen Nationalaufstandes in der Kommunistischen Partei Karriere. 1955 bis 1958 absolvierte er an der Parteihochschule der KPdSU ein Studium. In Moskau erlebte er die dortige Entstalinisierung mit und bemühte sich nach seiner Rückkehr um eine entsprechende Entwicklung in seiner Heimat. Darüber geriet er in Konflikt mit dem damaligen starken Mann der Tschechoslowakei, dem Tschechen Antonín Novotný, der seit 1953 Erster Sekretär der KP und seit 1957 auch Staatspräsident der Tschechoslowakei war. 

Wirklich nur ein Unfall?

1963 wurde Dubček Erster Sekretär des Zentralkomitees der slowakischen Kommunisten. Damit konnte er in der Slowakei wenigstens schon einmal mit einer Liberalisierung beginnen, die sich von der Gesamtentwicklung in der immer noch von Novotný beherrschten Tschechoslowakei abhob. Das verschärfte den Konflikt zwischen den beiden. 

1968 löste Dubček Novotný im Amt des Ersten Sekretärs der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPČ) ab. Nun konnte der Reformkommunist seinen in der Slowakei zaghaft begonnenen Kurs auf den gesamten Doppelstaat übertragen. Unter seiner Leitung begann nun der Versuch, einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ aufzubauen. Noch im selben Jahr wurde dieser „Prager Frühling“ durch einen Einmarsch der Bündnispartner im Warschauer Vertrag niedergeschlagen. Dubček wurde von den Invasoren verhaftet und nach Moskau verschleppt. Dort sah er sich gezwungen mit einer tschechoslowakischen Delegation das von den Sowjets diktierte Moskauer Protokoll zu unterzeichnen. In diesem schworen die Reformkommunisten ihrem „tschechoslowakischen Weg zum Sozialismus“ ab und legitimierten das Verhalten der Invasoren.

Es folgte Dubčeks Demontage. 1969 verlor er den Parteivorsitz, 1970 das Parteibuch. Bis zur Pensionierung 1986 arbeitete er auf einem unpolitischen, subalternen Posten im Forstwesen.

1989 wendete sich noch einmal das Blatt. Es erfolgte die sogenannte Samtene Revolution. Der Hoffnungsträger von 1968 wurde rehabilitiert. Allerdings stand der Slowake diesmal im Schatten des Tschechen Václav Havel. Dubček blieb nur der Posten des Parlamentspräsidenten. 

Nach dem ersten Jubel über den Sieg über die Sowjetkommunisten nahm die Teilung der Tschechoslowakei in einen tschechischen und einen slowakischen Teil immer mehr Gestalt an. Damit zeichnete sich für Dubček die zumindest theoretische Möglichkeit ab, neben einem tschechischen Präsidenten Havel dessen slowakisches Pendant zu werden. 

Doch bevor es zur Auflösung des Doppelstaates kam und damit zu der skizierten Lösung hätte kommen können, erlitt Dubček auf der Autobahn von Brünn nach Prag in der Nähe des mährischen Städtchens Humpolec einen schweren Autounfall, an dessen Folgen er am 75. Jahrestag der Oktoberrevolution, am 7. November 1992, starb. Ob jemand nachgeholfen hat und gegebenenfalls wer, wird wohl nie endgültig geklärt werden. 

Ein verhinderter Staatspräsident?

Ähnlich unklar wird wohl bleiben, ob Dubček ohne den Unfall der erste Präsident der Slowakischen Republik geworden wäre. Auf der einen Seite genoss der Hoffnungsträger seiner Landsleute von 1968 auch nach der Samtenen Revolution noch viele Sympathien. Auf der anderen Seite ist nicht auszuschließen, dass er wie ein anderer Reformkommunist jener Zeit, Michail Gorbatschow, letztlich gescheitert wäre. 

Was für viele Staaten des Ostblocks galt, galt für die Tschechoslowakei mit ihrer vergleichsweise leistungsfähigen Industrie im Besonderen. Nach der Befreiung vom Sowjetkommunismus wurde weniger ein anderer Weg zum Sozialismus oder ein sogenannter Dritter Weg gesucht denn der Weg zur westlichen Marktwirtschaft, um an die Erfolge der Zwischenkriegszeit anzuknüpfen.