19.04.2024

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Folge 48-21 vom 03. Dezember 2021 / Plexit Die Abwanderung von Fachkräften aus den Intensivstationen resultiert in wesentlichem Maße aus dem Unvermögen oder Unwillen der Politik, die Kliniken zu einer angemessenen Personalausstattung zu zwingen / Nicht an Pflegebetten, an Personal mangelt es / In Deutschland kommen auf eine Pflegefachkraft tagsüber zwei und nachts gar drei Intensivpatienten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-21 vom 03. Dezember 2021

Plexit Die Abwanderung von Fachkräften aus den Intensivstationen resultiert in wesentlichem Maße aus dem Unvermögen oder Unwillen der Politik, die Kliniken zu einer angemessenen Personalausstattung zu zwingen
Nicht an Pflegebetten, an Personal mangelt es
In Deutschland kommen auf eine Pflegefachkraft tagsüber zwei und nachts gar drei Intensivpatienten
Wolfgang Kaufmann

Im Zuge der aktuellen Diskussion um die Notwendigkeit der „Nachschärfung“ bei den Corona-Maßnahmen sowie der Einführung einer allgemeinen Impfpflicht spielt die Situation auf den derzeit vorhandenen 1700 Intensivstationen (ITS) eine zentrale Rolle. Dabei mangelt es Deutschland keineswegs an Intensivbetten. Rund 44 davon kommen derzeit auf 100.000 Einwohner. In Norwegen, Dänemark, Großbritannien und den Niederlanden sind es hingegen nur zwischen sechs und acht. 

Wenn die ITS der Bundesrepublik trotzdem schon vor Beginn der Corona-Pandemie regelmäßig zu rund 80 Prozent belegt waren, wie ein Gutachten des Deutschen Krankenhausinstitutes (DKI) in Düsseldorf vom Juni 2017 besagt, dann kann dies nur bedeuten, dass in Deutschland mehr Menschen auf die ITS müssen als in anderen hochentwickelten Indus-triestaaten. Das spricht entweder für eine ungewöhnlich stark angegriffene Volksgesundheit oder aber für ein Streben der Kliniken nach Gewinnoptimierung, denn die Krankenhäuser verdienen mit Intensivbehandlungen deutlich mehr Geld als mit der Hospitalisierung von Patienten auf Normalstationen.

Den Mangel gab’s schon vor Corona

Aus einer im „Deutschen Ärzteblatt“ veröffentlichten aktuellen Studie der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) sowie der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) geht hervor, dass inzwischen 59 Prozent aller Intensivbetten dauerhaft oder „nahezu täglich“ gesperrt sind, weil entsprechende Fachkräfte auf Station fehlen. Bei einer „Blitzumfrage“ des DKI vom Oktober antworteten  86 Prozent der Kliniken, sie könnten ihre ITS mangels geeigneter Mitarbeiter nicht mehr „voll umfänglich betreiben“. Insgesamt sollen nach Schätzungen des ehemaligen DIVI-Präsidenten Uwe Janssens bundesweit zwischen 3500 und 4000 ITS-Pfleger fehlen. 

Derzeit wird nahezu unisono suggeriert, der Mangel resultiere aus einer Kündigungswelle infolge der seit dem Frühjahr 2020 anhaltenden Dauerbelastung des Personals durch die Versorgung von Covid-19-Patienten. Während der aktuellen vierten Corona-Welle liegt die durchschnittliche Belegung der verfügbaren ITS-Plätze aber unter 90 Prozent und damit nicht dramatisch über dem Mittelwert in Vorpandemiezeiten. Zudem waren im Vorjahr nur vier Prozent der ITS-Patienten wegen einer Infektion mit SARS-CoV-2 in Intensivpflege.

Gewinnstreben der Kliniken

Der Blick auf frühere Studien zeigt, dass die derzeit zu beobachtende Abwanderung von ITS-Fachkräften in der Größenordnung von knapp zehn Prozent des Personalbestandes seit Beginn dieses Jahres kein echtes Novum ist. Wie das DKI 2017 feststellte, hatte sich der Anteil der Kliniken mit einer problematischen Zahl von Kündigungen unter ITS-Mitarbeitern zwischen 2009 und 2016 mehr als verdoppelt. Allein 2015 gab jede elfte Pflegekraft in den Intensivstationen der Bundesrepublik ihren Job auf. Dadurch blieben Ende 2016 bereits 3150 Vollzeitstellen auf den ITS unbesetzt. Das führte teilweise zu skandalösen Zuständen, über die Medien wie der Norddeutsche Rundfunk ab 2014 immer wieder im Detail berichteten, ohne dass dies irgendwelche Konsequenzen zeitigte. 

Größtes Ärgernis war dabei schon damals das bis heute bestehende Verhältnis zwischen Pflegefachkräften und Intensivpatienten von tagsüber Eins zu Zwei und nachts Eins zu Drei. Zum Vergleich: In den Niederlanden, Norwegen oder Schweden liegt dieses bei Eins zu Eins. 

Falsches Klinikfinanzierungssystem

Der unablässige Weggang von Fachkräften aus den Intensivstationen resultiert in wesentlichem Maße aus dem anhaltenden Unvermögen oder Unwillen der Politik, die Kliniken zu einer angemessenen Personalausstattung zu zwingen. Das derzeitige deutsche Krankenhausfinanzierungssystem verleitet dazu, möglichst viele Patienten durch möglichst wenige Mitarbeiter versorgen zu lassen. Gleichzeitig wird die Fortbildung der durchaus vorhandenen qualifizierungsbereiten Pfleger zu ITS-Fachkräften schon des Längeren auf Sparflamme betrieben, weil diese sowohl Kosten verursacht als auch Freistellungen vom Dienst erfordert, die angesichts der allgemein zu dünnen Personaldecke unerwünscht sind.

Um zu verhindern, dass künftig noch mehr ITS-Mitarbeiter aus dem Beruf aussteigen, fordern Organisationen wie die DIVI und die Deutsche Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste (DGF) grundlegende Verbesserungen, wie realistischere Personalschlüssel, mehr psychische Unterstützung für die latent vom Burnout bedrohten Pfleger, modernere Arbeitszeitmodelle und eine bessere Vergütung. Dabei scheint die Entlohnung keineswegs der Hauptgrund für den derzeit zu beobachtenden Plexit, sprich den Ausstieg aus dem Pflegeberuf, zu sein. Immerhin zahlen manche große Kliniken dem nichtärztlichen ITS-Personal bereits bis zu 5600 Euro brutto. Aber gerade in diesen Häusern ist die Abwanderungsquote am höchsten, weil das Arbeitsklima besonders stark zu wünschen übrig lässt.