25.04.2024

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Folge 48-21 vom 03. Dezember 2021 / Euro / Der unterschätzte Treibsatz der Inflation / Die Erzeugerpreise steigen rapide – ein Ende ist nicht abzusehen. Was EZB-Chefin Lagarde verschweigt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-21 vom 03. Dezember 2021

Euro
Der unterschätzte Treibsatz der Inflation
Die Erzeugerpreise steigen rapide – ein Ende ist nicht abzusehen. Was EZB-Chefin Lagarde verschweigt
Konrad Badenheuer

Diese Zahl ging vielen unter die Haut: 5,2 Prozent Inflation vergangenen Monat. Dabei verdichten sich die Hinweise, dass die Preise bald noch viel schneller steigen könnten. Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, übt sich noch in Zweckoptimismus, hat aber vorsichtig ihre Tonlage angepasst. Ein möglicher Treibsatz der Inflation wird merkwürdigerweise immer noch übersehen.

„... nach und nach anpassen ...“

Notenbankchefs müssen ihre Worte sorgfältig abwägen. Ein einziger unbedachter Satz kann an den Finanzmärkten Turbulenzen auslösen. Weil das so ist, muss man die Äußerungen von Notenbankern genau lesen – beispielsweise das lange Interview, das Lagarde nun der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“) gegeben hat. „Wir haben in den vergangenen Quartalen unsere Inflationsprognosen nach und nach anpassen müssen“, gab sie offen zu, und weiter: „Ich würde sagen, wir haben daraus gelernt: Wir müssen unser Basisszenario immer wieder prüfen und es gegebenenfalls anpassen.“

Leider ließ die EZB-Chefin offen, worin das jetzige „Basisszenario“ der EZB besteht. Naheliegend ist, dass die Verantwortlichen für den Euro einfach meinen, sie könnten die Geldmenge auch langfristig schneller wachsen lassen als das Güterangebot, ohne dass die Preise steigen. 

Eine „Anpassung“ des Szenarios bestünde dann schlicht und einfach in der Rückkehr zu dem, was seit Generationen bis ins 21. Jahrhundert hinein Konsens der Ökonomen war: Wächst die Geldmenge schneller als die Wirtschaftsleistung, dann steigen gleichsam mit Naturnotwendigkeit die Preise. Es kann zwar Umstände geben, unter denen diese Reaktion erst mit jahrelanger Verzögerung eintritt, doch dann ist die Anpassung umso heftiger.

Dass wir diesen Punkt erreicht haben, dafür spricht eine Zahl, die das Statistische Bundesamt vor zwei Wochen bekanntgegeben hat. Um sage und schreibe 18,4 Prozent lagen die Erzeugerpreise im Oktober höher als ein Jahr zuvor. Gegenüber der PAZ erklärt der Münchner Ökonom Gerald Mann den Zusammenhang so: „Langfristig entwickeln sich die Verbraucherpreise fast genau parallel zu den Erzeugerpreisen.“ Einen dämpfenden Effekt könnten allenfalls sinkende Importpreise haben, aber davon sei nun am allerwenigsten zu sehen: „Mit einer Jahresrate von zuletzt 21,7 Prozent sind diese sogar noch stärker gestiegen als die inländischen Erzeugerpreise.“ Deswegen, so Mann, wären in naher Zukunft noch deutlich höhere Inflationsraten keine Überraschung.

Die gefürchtete Eigendynamik

Zu den wenigen Top-Ökonomen, die schon seit Längerem auf Inflationsgefahren hinweisen, gehört der frühere Chef des Ifo-Instituts Hans-Werner Sinn. Aktuell befürchtet er, dass steigende Inflationserwartungen zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden können. „Die Leute bekommen Angst, dass es teurer wird. In Erwartung von Preissteigerungen in der Zukunft kaufen sie vorher“, warnte Sinn jetzt in der „Welt“ vor zusätzlicher Nachfrage nach „Autos, Waschmaschinen, Kühlschränken, deren Kauf man vorzieht, oder auch Häusern und Wohnungen. Die höhere Nachfrage treibt dann die Preise von Neuem.“ 

Was Sinn bei Waschmaschinen und Autos befürchtet, ist bei einigen Rohstoffen schon Realität. Die Unternehmen reagieren auf Knappheit bei Vorprodukten, indem sie versuchen, Lager aufzubauen. Die direkte Folge: Noch mehr Knappheit am Markt und steigende Preise.

Ein Wort, das Sinn in dem oben zitierten Interview so wenig in den Mund nahm wie wenige Tage nach ihm Lagarde, lautet „Umlaufgeschwindigkeit des Geldes“. Tatsächlich ist es genau die Variable, die bei stabilen Preisen den Unterschied zwischen Geldmengen- und Wirtschaftswachstum ausmacht. Wenn im Laufe mehrerer Jahre sich die Geldmenge vervierfacht, die Wirtschaftsleistung aber nur verdoppelt und dennoch die Preise nicht gestiegen sind, dann impliziert das mit mathematischer Notwendigkeit einen Rückgang der Umlaufgeschwindigkeit um genau die Hälfte. Es macht eben für die Preise einen großen Unterschied, ob Geld auf Konten ruht oder ob es eilig „Jagd auf Güter“ macht. 

Die Problematik bei der Sache: Bei sinkenden Inflationsraten und Zinsen verlangsamt sich die Umlaufgeschwindigkeit, bei steigenden Preisen, aber auch bei hohen oder steigenden Zinsen nimmt sie wieder zu. Sind die Zinsen nahe Null und die Preise steigen kaum, dann kann man ohne viel zu verlieren Geld einfach auf dem Konto liegen lassen oder größere Summen langfristig zu Minizinsen festlegen. Ein ähnliches Phänomen: In den Industrieländern sparen Hunderte Millionen Menschen, um angesichts der Schieflage der Rentensysteme im Alter ihren Lebensstandard halten zu können. Sinken die Zinsen, dann sparen sie sogar eher noch mehr, um bis zum Rentenantritt dennoch ein bestimmtes Sparziel zu erreichen. Auch dieses Verhalten hat die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes auf historische Tiefststände fallen lassen. 

Ohne diesen Effekt ist nicht zu erklären, warum die Politik des Gelddruckens seit der Finanzkrise von 2009 nicht längst zu höheren Preisen geführt hat. Die große Problematik, an sich Grundwissen aller Ökonomen: Dieser Effekt wirkt auch in der umgekehrten Richtung und kann dann zum eigentlichen Treibsatz der Inflation werden.