29.03.2024

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Folge 49-21 vom 10. Dezember 2021 / Politik / Ein Machtwechsel, der Anlass zur Skepsis gibt / Deutschland hat eine neue Regierung. Ob der versprochene Aufbruch tatsächlich kommen wird, darf mit guten Gründen bezweifelt werden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-21 vom 10. Dezember 2021

Politik
Ein Machtwechsel, der Anlass zur Skepsis gibt
Deutschland hat eine neue Regierung. Ob der versprochene Aufbruch tatsächlich kommen wird, darf mit guten Gründen bezweifelt werden
René Nehring

Der Advent ist die Zeit der Vorfreude, der Vorfreude auf das nahe Weihnachtsfest. Wörtlich bedeutet Advent „Ankunft“, gemeint ist die bevorstehende Ankunft des Herrn. Der Advent 2021 bringt den Deutschen eine Ankunft ganz besonderer Art – den Amtsantritt einer neuen Bundesregierung. Gut zehn Wochen nach der Bundestagswahl wurde der Sozialdemokrat Olaf Scholz am Mittwoch zum neunten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. 

„Mehr Fortschritt wagen“ zu wollen haben er und das von ihm geführte „Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ – so der Untertitel des von SPD, Grünen und FDP vereinbarten Koalitionsvertrags – angekündigt. „Fortschritt“, „Gerechtigkeit“ und „Nachhaltigkeit“ gehören zu jenen Floskeln, bei denen stets Vorsicht geboten ist. Zum einen, weil jene, die diese für sich reklamieren, Andersdenkende für „unfortschrittlich“, „ungerecht“ und „nicht nachhaltig“ erklären. Zum anderen, weil die meisten, die mit derartigen Vokabeln den Anbruch einer neuen Zeit verkündeten, im Alltag lediglich vermochten, alte Ordnungen zu zerschlagen. Für eine neue Welt, die tatsächlich besser war als die bestehende, reichte dann meist die Kraft nicht mehr. Oder das Können. 

Die neue Bundesregierung hat sich viel vorgenommen. Sie will unter anderem die „Infrastruktur, öffentliche Räume und Netze modernisieren und dafür Planung, Genehmigung und Umsetzung deutlich beschleunigen“. Das ist gut und notwendig. Problematisch wird es hingegen, wenn „die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen, (…) oberste Priorität“ haben soll und dafür „Hürden für den Ausbau der Erneuerbaren Energien aus dem Weg geräumt“ werden sollen. Das klingt nach dem alten Spruch „Not kennt kein Gebot“, mit dem sich noch jede Form der Unfreiheit begründen ließ. 

Erinnerungen an 1998

Bedenklich muss auch die Gewichtung der Themen stimmen. So rangiert das Kapitel „Freiheit und Sicherheit, Gleichstellung und Vielfalt in der modernen Demokratie“ im Koalitionsvertrag nicht nur vor den Kapiteln „Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt“ sowie „Zukunftsinvestitionen und nachhaltige Finanzen“, es ist auch fast doppelt so lang wie das letztgenannte Kapitel. 

Skeptisch stimmt auch die Erinnerung an das Jahr 1998, als zuletzt ein Sozialdemokrat Kanzler wurde. Damals hatte der Kandidat Schröder im Wahlkampf versprochen, „nicht alles anders, aber vieles besser“ machen zu wollen. Nach Amtsantritt brauchte die neue Regierung dann nur wenige Monate, um Deutschland zu einem Einwanderungsland umzubauen. Das wirft die Frage auf, ob die neue Regierung in Migrations- und Einwanderungsfragen ähnlich forsch agieren wird. 

Schmerzhaft war Ende der 1990er Jahre die Zerschlagung der traditionellen ostdeutschen Kulturförderung. Kernlande der preußischen und deutschen Geschichte wie Ostpreußen, Pommern und Schlesien wurden damals erinnerungspolitisch in ein imaginäres „östliches Mitteleuropa“ ausgelagert – mit der Folge, dass nach dem weitgehenden Aussterben der Erlebnisgeneration die Länder östlich von Oder und Neiße heute für die meisten Deutschen eine Terra incognita sind. Immerhin hatte die Regierung Schröder mit der Agenda 2010 Deutschland grundlegend reformiert und wirtschaftlich vorangebracht. 

Ein wesentlicher Unterschied zu 1998 ist die FDP. Es wird entscheidend sein, ob die Liberalen mit dem Finanzminister Christian Lindner neben der Kanzlerpartei SPD den Ton angeben werden – oder die Grünen mit ihrem „Transformationsminister“ Robert Habeck und der selbsternannten Völkerrechtlerin Annalena 

Baerbock. Für eine Dominanz der Grünen spricht, dass sie seit Jahrzehnten ohnehin den Zeitgeist prägen; für die Liberalen, dass sie mit Finanzen, Verkehr und Digitales, Justiz sowie Bildung und Forschung echte Gestaltungsressorts besetzen. 

Viel Zeit zum Eingewöhnen bleibt der neuen Regierung jedenfalls nicht. Die Zeiten sind stürmisch – und der Berg an Aufgaben riesig.