20.04.2024

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Folge 49-21 vom 10. Dezember 2021 / Unbekannte Mitarbeiter / Das Geheimste des Geheimen bei der Stasi / UMA waren selbst vielen Mitarbeitern des MfS unbekannt. Die Suche nach ihren Personalakten war bisher erfolglos. Offensichtlich wurden diese Akten rechtzeitig vernichtet, was auf die Brisanz dieser Personengruppe hinweist

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-21 vom 10. Dezember 2021

Unbekannte Mitarbeiter
Das Geheimste des Geheimen bei der Stasi
UMA waren selbst vielen Mitarbeitern des MfS unbekannt. Die Suche nach ihren Personalakten war bisher erfolglos. Offensichtlich wurden diese Akten rechtzeitig vernichtet, was auf die Brisanz dieser Personengruppe hinweist
Heidrun Budde

Einen durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Asyl gab es in der DDR nicht. Die Aufnahme von Ausländern richtete sich nach dem politischen Nutzen für die SED-Funktionäre. Die aufgenommenen Personen konnten in einem streng geheimen innerstaatlichen Untergrundsystem verschwinden, von dem selbst viele Mitarbeiter der Staatssicherheit nichts wissen durften. In der DDR gab es kein rechtsstaatliches Asylverfahren. Der Öffentlichkeit blieb völlig verborgen, nach welchen Kriterien genehmigt oder abgelehnt wurde. Auch einen Klageweg gab es nicht. Heute zeigen die Akten auf, dass es eine zutiefst politisch geprägte Entscheidung war, denn die Abteilung Internationale Verbindungen beim Zentralkomitee (ZK) der SED hatte eine Schlüsselstellung in diesem Prozess. Daneben war immer das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) eingebunden. Die Koordinierung der Abstimmung übernahm das Ministerium des Innern (MdI), denn Asylanträge wurden oft in den Volkspolizeikreisämtern (VPKA) gestellt. 

Dass diese Entscheidungen innerhalb von wenigen Stunden getroffen wurden, belegt der Antrag des türkischen Staatsbürgers Hasan I. Am 8. April 1980 beantragte er beim VPKA Hagen für sich und seine Ehefrau politisches Asyl. Er war Mitglied des Progressiven Jugendvereins (IGD), einer Vorfeldorganisation der Kommunistischen Partei der Türkei (TKP), und gab zu Protokoll, politisch verfolgt zu sein. Um 9.45 Uhr informierte die Polizei die Abteilung Internationale Verbindungen beim ZK der SED in Berlin. Von dort kam die Anweisung, bis zur Rückäußerung nichts zu unternehmen. Um 15.50 Uhr desselben Tages teilte ein Mitarbeiter des ZK „kein Interesse“ an der Aufnahme mit. Daneben wurde nur noch Kontakt mit dem Verbindungsoffizier der Staatssicherheit aufgenommen, der um 16.15 Uhr darüber informierte, dass ebenfalls die „Meinung auf Ablehnung“ bestand. Damit war das Verfahren noch am Tag der Antragstellung beendet. Hasan I. musste wieder ausreisen, aber man suggerierte ihm, dass er einen schriftlichen Antrag stellen könne und dass dann in einem ordentlichen Verfahren eine Entscheidung getroffen werde. Das war absolut gelogen, diente aber der Wahrung des internationalen Ansehens, was dem SED-Staat sehr wichtig war.

UMA waren MfS-Berufsoffiziere

Der Asylantrag von Hasan I. wurde so abgearbeitet, wie es Innenminister Friedrich Dickel in seiner Dienstvorschrift Nr. 041/77 vom 20. Dezember 1976 als vertrauliche Verschlusssache vorgegeben hatte. Hier heißt es unter Punkt 1.5.8.: „Erfolgt eine Ablehnung des Ersuchens, ist diese der Person nicht mitzuteilen. Sie ist aufzufordern, einen schriftlichen Antrag beim MdI zu stellen.“

Besonders interessant ist diese Regelung in seiner Dienstvorschrift unter Punkt 2.1.: „Der Aufenthalt aus anderen politischen Gründen kann Personen gewährt werden, bei denen keine Asylgründe vorliegen, jedoch der Aufenthalt in der DDR wegen ihres Eintretens für den gesellschaftlichen Fortschritt erforderlich wird bzw. aus anderen politischen Gründen, die im staatlichen oder gesellschaftlichen Interesse der DDR oder anderer sozialistischer Staaten liegen.“

Jeder international gesuchte Terrorist konnte in der DDR Unterschlupf finden, wenn die SED-Funktionäre der Meinung waren, dass der „gesellschaftliche Fortschritt“ die kriminellen Machenschaften rechtfertigte oder wenn das im „Interesse anderer sozialistischer Staaten“ war. Die Aufnahmeentscheidung war absolut willkürlich.

Besonders brisante Personen konnten in einem innerstaatlichen Untergrundsystem verschwinden, in das nur wenige eingeweiht waren. Die Staatssicherheit verfügte über eine Struktureinheit, die als eine besondere Geheimgesellschaft innerhalb des Geheimdienstes bezeichnet werden kann. Aufgenommene Ausländer mit Spezialwissen, beispielsweise zu westlichen Waffensystemen und militärischen Strukturen, konnten als sogenannte Unbekannte Mitarbeiter (U-Mitarbeiter, UMA) der Staatssicherheit rekrutiert werden.

Diese hauptamtlich für die Staatssicherheit tätigen Personen unterlagen der höchsten Geheimhaltungsstufe, was sich aus einer erhalten gebliebenen U-Mitarbeiter-Ordnung Nr. 10/86 vom 22. April 1986 ergibt, die als geheime Verschlusssache erlassen wurde. Unter Punkt 2.1. ist zu lesen:

„U-Mitarbeiter sind Angehörige von Diensteinheiten der Abwehr und Aufklärung des MfS, die aufgrund der durch sie zu lösenden speziellen politisch-operativen bzw. operativ-technischen Aufgaben besonderen Anforderungen zur Gewährleistung der Konspiration und Geheimhaltung unterliegen. Ihre Zugehörigkeit zum MfS ist außerhalb des MfS und gegenüber anderen Angehörigen des MfS dauerhaft zu legendieren, wenn erforderlich durch ein Scheinarbeits- bzw. -dienstverhältnis.“

U-Mitarbeiter führten ein gründlich abgesichertes Scheindasein in unterschiedlichen zivilen Berufen. Sie hatten sich strikt gegenüber dem sonstigen MfS-Apparat abzugrenzen, und es war ihnen streng untersagt, Gebäude der „offiziellen“ Staatssicherheit ohne Genehmigung zu betreten. Sie lebten gemäß ihrer Identitätslegende völlig unauffällig mitten unter der DDR-Bevölkerung, und sie wurden dafür mit allen notwendigen Dokumenten, wie Schul-/Studienabschlüsse, Sozialversicherungsausweise und Mitgliedsausweise für Partei und Gewerkschaft versorgt. Diese gefälschte Identität kann bis heute Bestand haben.

468 UMA im September 1986

Die Suche nach Personalakten von U-Mitarbeitern, die interessante Auskünfte zu deren Herkunft, Ausbildung und Verwendung hätten geben können, war bisher erfolglos. Offensichtlich wurden diese Akten rechtzeitig vernichtet, was auf die Brisanz dieser Personengruppe hinweist.

Die Forschung geht davon aus, dass U-Mitarbeiter für heimliche Beobachtungen eingesetzt wurden, aber was sich konkret hinter „speziellen politisch-operativen bzw. operativ-technischen Aufgaben“ verbarg, ergibt sich aus den noch vorliegenden Akten nicht.

U-Mitarbeiter arbeiteten in „Unbekannten Objekten“ (U-Objekten), die eine Deckbezeichnung für die Öffentlichkeit bekamen. Restakten weisen beispielsweise eine U-Basis „Gartenhaus“ in der Berliner Chaussee 3 in Frankfurt an der Oder aus, legendiert als „Forschungsinstitut für die Erkundung und Förderung von Erdöl-Erdgas Außenstelle Kartographie“, eine U-Basis „Waldesruh“ in Müllrose-Landungen, abgedeckt als VEB Kombinat Baukema Arbeitsgruppe Marktforschung, und eine U-Basis „Kiefernhain“ in Frankfurt an der Oder Güldendorf, abgedeckt als VEB Geophysik Leipzig Außenstelle III Gruppe Auswertung. Es war ein perfekt inszeniertes, streng geheimes Untergrundsystem.

Wenn ein aufgenommener Ausländer oder Bundesbürger international gesucht wurde und untertauchen musste, so war das U-System ein absolut sicherer Ort. Er bekam eine neue Identität, nur ausgewählte Angehörige des Geheimdienstes wussten, um welche Person es sich handelte, und man konnte ihnen Aufgaben im Verborgenen übertragen.

Wer diesen besonderen „Schutz“ der Staatssicherheit bekam, ist völlig unbekannt. Wurden Aussteiger der RAF mit Hilfe dieses U-Systems versteckt? Einige wurden in der DDR enttarnt, doch nach Daniela Klette, Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg wird bis heute gefahndet. Falls diese RAF-Mitglieder mit einer Scheinidentität als U-Mitarbeiter im Untergrund der Staatssicherheit verschwanden, wird es sehr schwer werden, sie zu finden, denn alle Akten wurden offensichtlich rechtzeitig und gründlich vernichtet.






Dr. Heidrun Budde (geboren 1954 in der DDR) war von 1992 bis März 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock. Zu ihren Büchern gehört „Verstorbene Babys in der DDR? Fragen ohne Antworten“ (tredition 2020)