29.03.2024

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Folge 49-21 vom 10. Dezember 2021 / Kulturkampf / Otto von Bismarck gegen Pius IX. / Vor 150 Jahren war der Kanzelparagraph einer der ersten Schachzüge des deutschen Regierungschefs gegen den Papst

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-21 vom 10. Dezember 2021

Kulturkampf
Otto von Bismarck gegen Pius IX.
Vor 150 Jahren war der Kanzelparagraph einer der ersten Schachzüge des deutschen Regierungschefs gegen den Papst
Wolfgang Kaufmann

Vor eineinhalb Jahrhunderten begann ein Machtkampf zwischen dem preußischen und deutschen Regierungschef Otto von Bismarck sowie dem Oberhaupt der katholischen Kirche von 1846 bis 1878, Pius IX. Es wäre jedoch mehr als oberflächlich, den sogenannten Kulturkampf auf einen Streit zwischen zwei alten weißen Männern zu reduzieren. 

Als Folge von Humanismus und Aufklärung und verstärkt durch die Französische Revolution und die Herrschaft des Kaisers der Franzosen Napoleon I. über weite Teile Europas kam es auf dem Kontinent im 19. Jahrhundert parallel mit dem Aufstieg des Liberalismus, dessen Kind der Laizismus ist, zu einer Säkularisierung in Staat und Gesellschaft. Mit der zunehmenden Trennung zwischen Staat und Kirche ging in vielen europäischen Staaten ein Machtkampf zwischen Staat und Kirche einher, ein Abstecken der Claims, eine Teilung der Macht.

Erschwert wurde der Loslösungsprozess von Staat und Kirche durch die Radikalität des konservativen Papstes Pius IX. In dessen Pontifikat beanspruchte die katholische Kirche ein weitgehendes Mitspracherecht in vielen nichtkirchlichen Belangen, basierend auf dem im Jahre 1870 verkündeten Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes und einem sechs Jahre zuvor publizierten „Verzeichnis der Irrtümer“ in geistlicher und weltlicher Hinsicht, denen sich jeder gläubige Katholik zu widersetzen habe. 

Trennung von Kirche und Staat

Das wertete nicht nur der preußische und deutsche Regierungschef als Kriegserklärung an den modernen aufgeklärten säkularen Staat. In seinem Falle kam jedoch zweierlei erschwerend hinzu. Zum einen war Bismarck Protestant und Preußen noch mehr als das Reich protestantisch dominiert, während die beiden von Bismarck als feindlich und gefährlich eingestuften Nachbarnationen im Westen und im Osten, die Franzosen und die Polen, stark katholisch geprägt waren. 

Zum anderen stützte sich Bismarck seit der Indemnitätsvorlage von 1866 auf die Nationalliberalen, und die Trennung zwischen dem Staat, der pluralistisch zu sein habe, auf der einen Seite sowie der Kirche und dem Glauben, der Privatsache sei, auf der anderen, ist vor allem ein Anliegen des Liberalismus. Es war denn auch mit Rudolf Virchow der Vorsitzende einer liberalen Partei, welcher der heftigen Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche 1873 in einer Rede vor dem Preußischen Abgeordnetenhaus die Weihen eines „Kulturkampfes“ verlieh.

Dessen Beginn markierte auf Seiten des deutschen Staates vor eineinhalb Jahrhunderten der sogenannte Kanzelparagraph 130a, der am 10. Dezember 1871 auf Beschluss des Reichstages in das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich eingefügt wurde: „Ein Geistlicher oder anderer Religionsdiener, welcher in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Berufes öffentlich vor einer Menschenmenge, oder welcher in einer Kirche, oder an einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte vor Mehreren Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstande einer Verkündigung oder Erörterung macht, wird mit Gefängniß oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft.“ Dem folgte 1876 eine Ergänzung, durch die auch das Ausfertigen oder Verbreiten von Schriften solcher Art durch Vertreter der Kirche mit derselben Strafe bedroht wurde.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kulturkampf seinen Höhepunkt erreicht. Vorausgegangene Eskalationsstufen waren diverse weitere legislative Regelungen, die wie der Kanzelparagraph in erster Linie gegen die katholische Kirche zielten. Zu nennen sind hier aus dem Jahre 1872 das preußische Schulaufsichtsgesetz, mit dem der Staat den Religionsgemeinschaften die „Aufsicht über alle öffentlichen und Privat-Unterrichts- und Erziehungs-Anstalten“ entzog, und das „Gesetz betreffend den Orden der Gesellschaft Jesu“ aus dem Jahre 1875, das den Jesuiten verbot, sich in Deutschland zu betätigen, die reichsweite Einführung der obligatorischen Zivilehe im „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung“ und das umgangssprachlich auch „Brotkorbgesetz“ genannte „Gesetz, betreffend die Einstellung von Leistungen aus Staatsmitteln für die römisch-katholischen Bistümer und Geistlichen“ sowie aus den Jahren 1873, 1874 und 1875 die sogenannten Maigesetze, welche die Einstellung wie Ausbildung von Geistlichen und mögliche Zwangsmaßnahmen gegen diese regelten sowie die Auflösung weiterer Ordensniederlassungen verfügten. Während des Kulturkampfes wurden rund 1800 katholische Geistliche inhaftiert und Kircheneigentum im Wert von 16 Millionen Goldmark (rund 121 Millionen Euro) eingezogen.

Das harte Vorgehen gegen die Kirche erwies sich allerdings als kontraproduktiv. Zwar konnte der Staat sein weltliches Machtmonopol tatsächlich deutlich ausbauen, jedoch führten die Sanktionen und Diskriminierungen zu einem stärkeren Zusammenhalt unter der katholischen Bevölkerung. Die katholische Zentrumspartei, die sich zu Beginn des Kulturkampfes bei der ersten Reichstagswahl seit der Reichsgründung vom 3. März 1871 noch mit 18,6 Prozent hinter Nationalliberalen und Konservativen mit Platz 3 hatte begnügen müssen, schob sich bei der nächsten Reichstagswahl vom 10. Januar 1874 mit 27,9 Prozent auf Platz zwei vor. Diesen zweiten Platz konnte der politisch organisierte Katholizismus bei der nächstfolgenden Wahl vom 10. Januar 1877 mit 24,8 Prozent halten.

Entscheidungsjahr 1878

Das nachfolgende Jahr war für den Kulturkampf gleich in doppelter Hinsicht von großer Bedeutung. Zum einen leitete Bismarck seine konservative Wende von 1878/79 ein. Statt mit den Nationalliberalen gegen das Zentrum ging es nun mit den Konservativen gegen die Sozialdemokratie. Zum anderen starb Papst Pius IX. Ihm folgte der ungleich konziliantere und liberalere „Arbeiterpapst“ Leo XIII. Das waren gute Rahmenbedingungen für eine Beendigung des Kulturkampfes.  

Dessen sukzessives Ende markierten die drei „Milderungsgesetze“ von 1880, 1882 und 1883 sowie die beiden „Friedensgesetze“ von 1886 und 1887, mit denen viele der Restriktionen wieder aufgehoben wurden. Daraufhin erklärte Leo XIII. am 23. Mai 1887, „der Kampf, welcher die Kirche schädigte und dem Staat nichts nützte“, sei beendet. 

Der Kanzelparagraph blieb allerdings vorerst weiterhin gültig wie auch das Verbot des Jesuitenordens und die Regelungen zur Schulaufsicht und Zivilehe. In der Folgezeit kam es jedoch zunächst zu keinen neuerlichen Verurteilungen wegen eines Verstoßes gegen diese Strafrechtsnorm. Das änderte sich erst mit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten. Nun mussten erneut Geistliche wegen ihrer Predigten ins Gefängnis.

Der Kanzelparagraph überlebte nach dem Kaiserreich und der Weimarer Republik auch das Dritte Reich. In der Bundesrepublik wurde er 1953 durch den Artikel 2 des Dritten Strafrechtsänderungsgesetzes aufgehoben, und in der DDR erst 1968 mit einer Strafrechtsreform ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, nachdem vorher noch Prediger wie Georg Herche oder Reinhold George unter Verweis auf den Paragraphen ins Gefängnis gesteckt worden waren.