27.04.2024

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Folge 49-21 vom 10. Dezember 2021 / Östlich von Oder und Neisse / Heimweh, solange eine Aufgabe wartete / Waltraud Simon wurde Ehrenbürgerin ihrer Heimatstadt Jauer – Stiftung rettete Kulturgüter in Schlesien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-21 vom 10. Dezember 2021

Östlich von Oder und Neisse
Heimweh, solange eine Aufgabe wartete
Waltraud Simon wurde Ehrenbürgerin ihrer Heimatstadt Jauer – Stiftung rettete Kulturgüter in Schlesien
Chris W. Wagner

Die 84-jährige Waltraud Simon wurde am Sankt-Martins-Tag – St. Martin ist Schutzpatron von Jauer [Jawor] – zur Ehrenbürgerin ihrer Heimatstadt. Die Ehrenbürgerschaft wurde Simon für ihr Engagement als Vorsitzende der Erika-Simon-Stiftung zum Erhalt der Friedenskirche in Jauer verliehen. Das zum UNESCO-Weltkulturerbe zählende evangelische Gotteshaus gehört zu den drei Schlesischen Friedenskirchen Jauer, Schweidnitz [Świdnica] und Glogau [Głogów]. Letztere überdauerte nicht in unsere Zeit.

Die Schlesischen Friedenskirchen sind die drei einzigen evangelischen Kirchen, die im Westfälischen Frieden von 1648 nach der Rekatholisierung Schlesiens vom Habsburger Kaiser Ferdinand III. den Protestanten zugestanden wurden. Sie durften jedoch nicht aus  Steinen und Ziegeln gebaut werden, sondern nur aus Holz, Lehm und Stroh. Dass es heute überhaupt noch zwei Friedenskirchen gibt, ist nicht zuletzt Menschen wie Simon zu verdanken, die viel Geld in die Sanierung der Kirchen pumpte. In Jauer wurden aus Geldern der Erika-Simon-Stiftung die Taufkapelle, der große Altar und die Kanzel saniert. Simon hat auch die Glocken und die Umgestaltung des Gemeindehauses mitfinanziert.

Erhalt der Friedenskirche Jauer

„Ich konnte nicht nach vorne gucken, habe immer rückwärts geschaut. Alles war mir egal, ich wollte wieder nach Hause. Aber es ging ja nicht. Jetzt weiß ich auch, warum ich so viel Heimweh hatte: Weil ich noch eine Aufgabe zu erledigen hatte“, begründet sie ihr Handeln. Diese Aufgabe war das Engagement in der Heimat, eine Leidenschaft, die sie mit ihrem zweiten Ehemann Gerhard Simon teilte. Der im Waldenburger Bergland geborene Unternehmer hatte 1947 in Rinteln an der Weser die Firma „Schlesische Glashütte & Glasschleiferei“ gegründet. Nachdem er im Ruhestand das erfolgreiche Unternehmen verkaufte, gründete er aus dem Erlös die Erika-Simon-Stiftung. Mit dem Stiftungsgeld wollte er das deutsche Kulturerbe in Schlesien bewahren und zur Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen beitragen. Diese Stiftung ist nach Simons erster Ehefrau Erika benannt und trägt die heilige Hedwig, die Schutzpatronin Schlesiens, im Logo. Seit seinem Tod 2008 leitet Waltraud Simon die Stiftung. Und jetzt tut sie es vom niederschlesischen und zugleich deutschen Görlitz aus, wohin sie ihren Alterssitz verlegte. 

Neben Jauer engagiert sich Simon nahezu in ganz Schlesien, etwa  bei der Sanierung der „Eichendorffmühle“ im  Geburtsort des Romantikers im oberschlesischen Lubowitz [Łubowice]. Sie unterstützt die deutsch-polnische Schule des Vereins Pro Liberis Silesiae in Goslawitz [Gosławice] bei Oppeln oder finanzierte die Rettung der Engler-Orgel in der Klosterkirche Grüssau [Krzeszów]. „Ich lebe sehr viel alleine und muss genau überlegen, was ist jetzt wichtig, was ist jetzt das Nächste an Gebäuden, an Sprache, an Begegnungen. Das motiviert mich“, so Simon.

Weitere Projekte der Stiftung

Simon greift auch Wissenschaftlern und Übersetzern unter die Arme, die das Wissen um die Geschichte ihrer Heimat verbreiten. 2014 wurde die Stiftung mit dem Kulturpreis Schlesien des Landes Niedersachsen ausgezeichnet. Waltraud Simon durfte die Auszeichnung in der Aula Leopoldina der Universität Breslau entgegennehmen, was sie glücklich machte, denn: „Für mich ist Breslau und ganz besonders die Leopoldina das Herzstück aller Schlesier, deutscher und polnischer“, sagte sie. 

Es war damals bereits ein überwältigender Moment für sie, der nur noch von einem getoppt werden konnte, der Ehrenbürgerschaft in Jauer, der Stadt, aus der sie 1946 vertrieben wurde und in der sie nach 75 Jahren am größten polnischen Nationalfeiertag, dem Unabhängigkeitstag, aus den Händen des Jauerer Bürgermeisters Emilian Bera die Urkunde der Ehrenbürgerschaft entgegennahm.