26.04.2024

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Folge 50-21 vom 17. Dezember 2021 / Sowjetunion / Eine „geopolitische Katastrophe“? / Vor 30 Jahren hörte mit der UdSSR eine der beiden Supermächte auf zu existieren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-21 vom 17. Dezember 2021

Sowjetunion
Eine „geopolitische Katastrophe“?
Vor 30 Jahren hörte mit der UdSSR eine der beiden Supermächte auf zu existieren
Wolfgang Kaufmann

Am 31. Dezember 1991 hörte die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, die am 30. Dezember 1922 auf Betreiben der Bolschewiki gegründet worden war, offiziell auf zu existieren. Dem ging ein mehrjähriger Zerfallsprozess voraus, der im Augustputsch des Jahres 1991 kulminierte. Nach diesem Versuch kommunistischer Betonköpfe, das Auseinanderdriften der einzelnen Teile des Sowjetreiches aufzuhalten, gab es kein Zurück mehr. 

Zunächst unterzeichneten die Präsidenten Russlands, der Ukraine und Weißrusslands, Boris Jelzin, Leonid Kraw­tschuk und Stanislaus Schuschkewitsch am 8. Dezember 1991 den sogenannten Vertrag von Minsk beziehungsweise die Vereinbarungen von Beloweschskaja Pusch­tscha, mit denen der Unionsvertrag von 1922 außer Kraft gesetzt und die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) begründet wurde. Dann bestätigten die Staatsoberhäupter der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) und zehn weiterer Unionsrepu­bliken diese Beschlüsse in der Alma-Ata-Deklaration vom 21. Dezember 1991. Anschließend dauerte es noch ganze fünf Tage bis zur Hinterlegung der entsprechenden Ratifikationsurkunden, die das Schicksal der UdSSR endgültig besiegelte.

Einschätzung Wladimir Putins

Reichlich 13 Jahre später, im April 2005, äußerte der nunmehrige Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, der Zerfall der Sowjetunion sei „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ gewesen. Und tatsächlich löste der Kollaps des sozialistischen Imperiums Schockwellen aus, die fast die ganze Welt erschütterten und noch heute Nachwirkungen zeitigen.

Wenn ein Vielvölkerreich wie die UdSSR zerbricht, sind die Auswirkungen fast immer dramatisch. Hier kam erschwerend hinzu, dass die Bolschewiki wie die Zaren wenig zimperlich gewesen waren, wenn es darum ging, nichtrussische Ethnien unter ihre Fuchtel zu zwingen. Mit dem Wegfall des Drucks von oben kam es zu territorialen Streitigkeiten und Übergriffen gegen nationale wie religiöse Minderheiten. Daraus resultierten zahlreiche bewaffnete Konflikte und Bürgerkriege wie in Bergkarabach, Transnistrien, Abchasien, Tadschikistan, Kirgisien und der Ostukraine, die das weltpolitische Klima vergifteten, weil hinter jeder Partei ausländische Unterstützer standen. Außerdem wurde der islamische Terrorismus gestärkt. 

Als geopolitisch nachteilige Folge der Entstehung von 15 Nachfolgestaaten der Sowjetunion erwies sich darüber hinaus, dass Russland ein Gefühl der Einkreisung entwickelte, weil es nicht gelang, alle Länder an der Peripherie der ehemaligen UdSSR zu Vasallen Moskaus zu machen. Vielmehr orientierten sich manche nach dem Westen, worauf der Kreml mit wachsender Aggressivität reagierte. Sieben der ehemaligen UdSSR-Teilrepubliken entwickelten sich zu Diktaturen, deren Politik ganze Regionen zu destabilisieren vermag. Dabei gießt Russland nicht selten noch Öl ins Feuer, wie im Falle des aktuellen Konflikts zwischen Weißrussland und der Europäischen Union.

Möglicherweise ging es Putin auch darum, die Sowjetunion und deren Bürger nachdrücklicher als „Opfer der Geschichte“ präsentieren zu können. Immerhin ging es mit den GUS-Staaten zunächst recht steil bergab. So sank das Bruttoinlandsprodukt der Russischen Föderation bis 1996 um vier Zehntel, während die Armut im Lande wuchs. Dadurch verringerte sich die durchschnittliche Lebenserwartung auf knapp 64 Jahre. Ähnlich sah es in anderen ehemaligen Teilrepubliken aus. Dies hatte jedoch weniger mit Geopolitik zu tun als mit den Nachwirkungen der jahrzehntelangen sowjetischen Misswirtschaft. 

Die von Putin mehrfach groß herausgestrichene Tatsache, dass der Zerfall der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken 25 Millionen Russen zu Ausländern machte, stellte kein entscheidendes geopolitisches Faktum dar. Aber sie unterminierte das russische Selbstbewusstsein ebenfalls. Wieder wurde die Schuld beim Westen verortet. Dabei hatte der es niemals darauf angelegt, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zu Fall zu bringen. Schließlich waren die Risiken eines solchen Staatszerfalls auch für ihn unkalkulierbar.

Beginn einer unipolaren Ordnung

Zu den geopolitischen Folgen des Zusammenbruchs der einen Supermacht gehört nicht zuletzt eine unipolare Weltordnung, in welcher der verbliebenen Supermacht die alleinige Führungsrolle zufiel, was die vermeintliche Siegerin des Kalten Krieges zunächst triumphierend begrüßte, bis es zu einer Überforderung der US-amerikanischen Ressourcen durch den immer mehr ausufernden „Krieg gegen den Terror“ kam. 

Mit dem Kalten Krieg endete 1991 die relative Berechenbarkeit der Politik. In dieser Hinsicht ist es in gewissem Maße gerechtfertigt, von einer geopolitischen Katastrophe zu sprechen. Allerdings hat Russland die Phase der US-Dominanz und dessen kräftezehrender Weltpolitik genutzt, um ein gutes Stück weit zur alten Stärke der früheren Sowjetunion zurückzufinden und sich erneut als Gegenspieler der NATO in Stellung zu bringen. Insofern ist es höchst fraglich, wer am meisten durch den Zusammenbruch der Sowjetunion Schaden genommen hat: Russland als anfänglich gedemütigter Verlierer des Kalten Krieges oder der Westen, der zwar 1991 triumphierte, aber jetzt von einer schweren Krise zur nächsten taumelt. 

Schließlich bewirkte der Zerfall der UdSSR, dass vielen Entwicklungsländern nun klar wurde, dass das sowjetische Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell kein Vorbild für die eigene Zukunft sein konnte. Denn das Riesenreich brach ja nicht zuletzt wegen seiner Plan- und Misswirtschaft im Verein mit starren Kommandostrukturen sowie der daraus resultierenden Unzufriedenheit landauf landab zusammen. Das bedeutete das Ende vieler sozialistischer Experimente rund um den Globus. Ebenso verebbten mit dem Kalten Krieg auch die meisten Stellvertreterkriege in der Dritten Welt. Insofern ist statt einer geopolitischen Katastrophe eher das Gegenteil festzustellen.