29.03.2024

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Folge 51-21 vom 24. Dezember 2021 / Deutschland / Ein Strafrecht für das ganze Land / Das Reichsstrafgesetzbuch trat vor 150 Jahren in Kraft – In teils originaler, teils abgewandelter Form gilt es noch heute

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-21 vom 24. Dezember 2021

Deutschland
Ein Strafrecht für das ganze Land
Das Reichsstrafgesetzbuch trat vor 150 Jahren in Kraft – In teils originaler, teils abgewandelter Form gilt es noch heute
Wolfgang Kaufmann

Nach der Gründung des Norddeutschen Bundes unter preußischer Führung im Jahre 1867 erhielt der Geheime Oberjustizrat im Berliner Justizministerium Heinrich Friedberg den Auftrag, das preußische Strafgesetzbuch dergestalt zu überarbeiten, dass es als Strafgesetzbuch für den nördlich der Main-Linie gelegenen Bund fungieren konnte. Diesen Auftrag erledigte der tatkräftige Jurist mit für die damaligen Verhältnisse großer Schnelligkeit, sodass das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund schon am 31. Mai 1870 Gültigkeit erlangte. Kurz darauf erfolgte die Proklamierung des deutschen Kaiserreiches. Im Anschluss hieran verordnete Kaiser Wilhelm I. am 15. Mai 1871 nach erfolgter Zustimmung des Bundesrates und des Reichstages die Neueinführung eines Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich (RStGB) auf der Basis des bisherigen Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund zum 1. Januar 1872.

Das Reichsstrafgesetzbuch gehörte zu den ersten Gesetzeswerken mit Geltung im ganzen Reich und bildete somit einen wichtigen Meilenstein auf dem Wege der Beendigung von Kleinstaaterei und politisch-juristischer Zersplitterung in Deutschland. In teils originaler, teils abgewandelter Form ist es auch heute noch in Kraft.

Von Anbeginn an bestand das Reichsstrafgesetzbuch aus zwei Hauptabschnitten, dem Allgemeinen Teil zur Regelung grundsätzlicher Fragen rund um Themen wie Vorsatz und Fahrlässigkeit, Schuldfähigkeit, rechtfertigende Umstände, Strafarten sowie Verjährung und dem speziellen Teil mit der kompletten Auflistung aller möglichen Straftatbestände. 

Typisch für das Reichsstrafgesetzbuch in seiner Urfassung war die Unterteilung der Straftaten in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen. Als Verbrechen galten sämtliche Handlungen, auf die der Tod oder Zuchthaus beziehungsweise Festungshaft von mehr als fünf Jahren stand. Dahingegen zählten Taten als Vergehen, wenn weniger als fünf Jahre Festung, Gefängnis oder Geldstrafen von über 50 Talern drohten. Übertretungen wurden im Allgemeinen mit kleineren Geldbußen geahndet.

Erste Reformen des Reichsstrafgesetzbuches erfolgten ab 1923 durch Neuerungen wie die Einführung des Jugendgerichtsgesetzes. Nach deren „Machtergreifung“ nahmen die Nationalsozialisten gravierende Veränderungen vor, indem sie zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln einführten. Dazu kam die Würdigung der Taten auf der Basis des sogenannten gesunden Volksempfindens. Diese Perversionen des Rechts wurden durch die alliierten Kontrollratsgesetze Nr. 11 und 55 vom 30. Januar 1946 und 20. Juni 1947 sowie das bundesdeutsche Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951 rückgängig gemacht. Ansonsten gilt in der Bundesrepublik das Reichsstrafgesetzbuch als Strafgesetzbuch (StGB) im Wesentlichen fort.

In der DDR wurde das Reichsstrafgesetzbuch durch das Strafrechtsergänzungsgesetz vom 1. Februar 1958 reformiert, ehe am 1. Juli 1968 ein eigenständiges Strafgesetzbuch der DDR in Kraft trat. Dessen Gültigkeit endete zum 3. Oktober 1990 mit der deutschen Vereinigung. Zuvor hatte der Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der DDR und der Bundesrepublik vom 18. Mai 1990 bereits geregelt, dass zahlreiche Paragraphen aus dem Bereich der politischen Straftaten ersatzlos zu streichen seien.

Heute umfasst das Strafgesetzbuch, dessen Allgemeiner Teil im Zuge der Großen Strafrechtsreform zum 1. Januar 1975 vollkommen neue Formulierungen erhielt, insgesamt 358 Paragraphen zu Sachverhalten von „Abgabenüberhebung“ bis „Zuhälterei“. Mit Ausnahme des angedrohten Strafrahmens haben die Rechtsnormen teilweise bereits seit 150 Jahren Gültigkeit. Das gilt beispielsweise für die einschlägigen Abschnitte des Strafgesetzbuches zu Delikten wie Hausfriedensbruch, Beleidigung, Verleumdung, Diebstahl, Raub, Betrug und Sachbeschädigung. 

Es verschwanden aber auch Regelungen zur Strafbarkeit von Handlungen. Darunter fallen unter anderem das Duell-Verbot von 1872 und der Paragraph 175 über die „Unzucht zwischen Männern“. Ebenso finden sich im bundesdeutschen Strafgesetzbuch seit 1949 keine Hinweise auf die Todesstrafe mehr, die laut Paragraph 13 des Reichsstrafgesetzbuches durch Enthauptung vollzogen werden sollte, was insofern ein Novum darstellte, als dadurch andere traditionelle Hinrichtungsarten wie Rädern, Verbrennen und Erhängen nicht mehr zur Anwendung kamen.

Andererseits machte der technische Fortschritt über die Jahrzehnte die Einfügung einer Vielzahl neuer Paragraphen nötig. So sind nun beispielsweise auch Flugzeugentführungen, Computersabotage und das Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie strafbar. Darüber hinaus wurde vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Pandemie die Neufassung des Paragraphen 277 „Unbefugtes Ausstellen von Gesundheitszeugnissen“ beschlossen. Dadurch kann seit dem 24. November dieses Jahres das Fälschen von „Impfnachweisen oder Testzertifikaten betreffend übertragbare Krankheiten“ mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug geahndet werden.