26.04.2024

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Folge 51-21 vom 24. Dezember 2021 / Krise im Gesundheitswesen / Wie mein Kind um ein Haar dem Pflegenotstand zum Opfer gefallen wäre / Die Krankenhäuser waren schon lange vor Corona am Anschlag. Die Pandemie und politische Fehlentscheidungen haben aber alles noch schlimmer gemacht: Die Mutter eines Zweijährigen berichtet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-21 vom 24. Dezember 2021

Krise im Gesundheitswesen
Wie mein Kind um ein Haar dem Pflegenotstand zum Opfer gefallen wäre
Die Krankenhäuser waren schon lange vor Corona am Anschlag. Die Pandemie und politische Fehlentscheidungen haben aber alles noch schlimmer gemacht: Die Mutter eines Zweijährigen berichtet
Christiane Rinser-Schrut

An einem Mittwoch im Oktober erlitt mein Sohn mit nicht ganz zwei Jahren einen Krampfanfall. Ich dachte, dass er stirbt. Mein Mann wählte im ersten Schock die 110 und erinnerte sich dann an die 112. Der Zeitverlust des Wählfehlers oder nicht Weiterleitenlassens war jedoch nichts im Vergleich zur Ankunftszeit des Krankenwagens. 20 Minuten hat er gebraucht. Wir wohnen mitten in Hamburg, aber der Rettungswagen braucht 20 Minuten. 

Nach einer Elefantendosis krampflösenden Medikaments ging es dann mit dem Krankenwagens in Krankenhaus. Dort war die erste Frage: „Geimpft?“, die ich bejahen konnte. Mein kleiner Junge lag wächsern neben mir, kein Strahlen in den Augen, kein Handkuss, keine Aufforderung, das Bus-Lied zu singen. Christopher hatte keinen Fieberkrampf, er hat gekrampft, weil sein Natriumspiegel im Keller gewesen ist. Bei diesem niedrigen Spiegel hätte jeder gekrampft. 

Aber anstatt ihn gleich an eine salzige Infusion anzuschließen, wurde uns offenbart, dass kein Bett vorhanden sei und wir vermutlich das Krankenhaus noch einmal wechseln müssten. Die frohe Botschaft kam dann einige Minuten später, dass doch noch ein Bett frei geworden sei und wir bleiben könnten. Also einmal durchatmen. Das galt aber nur für mich. Christopher hat, da der Natriumspiegel immer noch unten war, einen weiteren Krampf erlitten. Anstatt auf die Station ging es in den OP. Aufgrund der massigen Gabe des krampflösenden Mittels konnte Christopher nicht mehr selbstständig atmen und musste intubiert werden. 

Der Kleine rief „Papa“ und weinte

Was wäre aber gewesen, wenn wir in ein anderes Krankenhaus geschickt worden wären? Hätten wir den Mageninhalt gut herausgebracht? Hätten wir die Atmung gegen den Krampf und gegen die krampflösenden Mittel erhalten können? Vermutlich nicht. 

Gott sei Dank geht es ihm wieder gut. Er wurde im Krankenhaus gut versorgt – und ich auch. Corona machte den Aufenthalt natürlich nicht besser. Der Blick durch die Fensterscheibe, als mein Mann einen Koffer mit frischer Wäsche brachte, aber er nicht zu uns durfte und wir nicht zu ihm durften, brach Christopher fast das Herz. Immer wieder lief er zum Fenster, winkte, rief „Papa“ und weinte. Wie er sich auf den Deckenhaufen kuschelte, ihn streichelte und dabei „Papa“ sagte, das war der Höhepunkt an Corona-Traurigkeit für uns.

Nach ein paar Tagen des Bangens, des Weinens, Betens und Hoffens ging es wieder nach Hause, allerdings mit einem unguten Gefühl. Passiert das wieder? Bemerken wir es rechtzeitig, wenn er wieder krampfen sollte, dass wir selbst ins Krankenhaus fahren können und nicht auf den Rettungswagen warten müssen?

Nur ein Wochenende später nahm die Sorge überhand. Der kleine Mann fieberte, hustete und war einfach nur schlapp. Mit dem nun bereitstehenden Klinikkoffer ging es los in die Notaufnahme, um den Natriumspiegel zu messen. Ein Hausarzt, Rettungssanitäter oder die Notfallambulanz kann diesen Wert nicht messen. Schön wäre es, gäbe es einen kleinen Apparat wie beispielsweise ein Blutzuckermessgerät, nur eben nicht für den Blutzucker, sondern für Natrium. Dann könnten wir im Zweifel mal eben schnell pieken. 

Immer ein Intensivbett frei

Beim also erneuten Besuch der Notaufnahme – der Spiegel war niedrig, aber im Normalbereich –, fragte ich die Schwester, was ich denn machen könne, damit wir im Krankenhaus versorgt und nicht aufgrund von Bettenmangel weitergeschickt würden. Sie schaute mich mit großen Augen an und berichtete dann, dass die Krankenhäuser immer ein Bett auf der Intensivstation frei hätten. Ist das letzte Bett belegt, dürfe das Krankenhaus nicht mehr angefahren werden. So kam es in Hamburg schon des Öfteren zu der absurden Situation, dass Kinder aus Hamburg nach Eutin oder Plön gefahren wurden, weil alle Hamburger Kinderkrankenhäuser nicht mehr angefahren werden durften.

Und woran liegt das? An Bettenmangel aufgrund der personellen Situation. Betten sind da, Geräte auch, wenn auch nicht immer die neuesten, aber Pflegepersonal ist nicht im genügenden Maße vorhanden. Die Schwester empfahl mir, nach der bereits abgeschickten Mail an das Bundesgesundheitsministerium einen Brief an die Geschäftsleitung des Krankenhauses zu schreiben. 

Täglich erfolgt eine Triage

Dessen Geschäftsführer Henning David-Studt antwortete prompt: „Das Wilhelmstift und mit uns wohl die allermeisten Kinderkliniken leiden unter einem extremen Mangel an Pflegepersonal. Offen gesagt, würde ich sofort 50 Kinderkrankenpflegekräfte einstellen, wenn es sie denn geben würde. So aber müssen wir täglich entscheiden, welche Patienten wir akut aufnehmen müssen, welche Patienten wir anderweitig unterbringen können und welche langfristig geplanten Operationen wir leider absagen müssen. Unsere Pflegekräfte arbeiten gerade in Stoßzeiten oft über ihre Kräfte hinaus. Die Lage ist in den anderen Kinderkliniken im Norden Deutschlands leider auch keine andere. Fast täglich werden auch wir um die Aufnahme von Patienten gebeten.“ 

Es erfolgte eine Triage, täglich und schon lange vor Corona. So zeigt es nicht nur das Ärzteblatt 116 von vor zwei Jahren an. In dem Artikel „Pädiatrie: Gefangen zwischen Ethik und Ökonomie“ werden Daten von 1991 bis 2017 genutzt, da sprach noch keiner von dieser Krankheit.

Hamburg mit seinen drei Kinderkrankenhäusern ist hier kein Einzelfall. Im vergangenen Jahr berichtete der Deutschlandfunk über abgemeldete Krankenhäuser bei der Rettungsleitstelle und wie Kinder von München nach Nürnberg transportiert werden mussten. „Bei uns ist es zum Beispiel so, dass jetzt im Winter fast jeden Tag jemand ausfällt durch Erkrankung. Das führt dazu, dass auch jede Pflegekraft quasi jeden Tag angerufen und gefragt wird, ob sie einspringen kann. Und das zusammen mit den Arbeitsbedingungen und der chronischen Überlastung, die diesem Personal zugemutet wird, was noch da ist, führt dazu, dass immer weniger Leute in diesen Job gehen und auch bleiben“, so der Münchener Oberarzt Florian Hoffmann seinerzeit gegenüber dem Deutschlandfunk. 

Hoffmann bedauert, dass in manchen Kinderkliniken dauerhaft Betten leer stünden, „weil Krankenschwestern und Pfleger fehlen“. So seien auf der Intensivstation im Münchener Haunerschen Kinderspital nur elf von 16 Betten einsatzbereit. Und das Kinderkrebszentrum der Berliner Charité konnte vor knapp einem Jahr wegen Personalmangels keine neuen Patienten mehr aufnehmen.

Große Zahlen vom Ministerium

Zurück nach Hamburg: Der Antwortbrief des Bundesgesundheitsministeriums ist ein Standardschreiben mit ganz großen Zahlen, welche die nun ehemalige Bundesregierung als Geldmittel in die Pflege investiert habe. Es wurde demnach ein Pflegestellen-Förderprogramm eingerichtet, „das bis zum 31. Dezember 2018 über drei Jahre Mittel in Höhe von insgesamt bis zu 660 Mio. Euro zur Verfügung stellte … Seit dem 1. Januar 2020 werden die Pflegepersonalkosten unabhängig von Fallpauschalen vergütet und über ein sogenanntes Pflegebudget finanziert … Finanzmittel aus dem Pflegezuschlag, der mit Beginn des Jahres 2017 den Versorgungszuschlag abgelöst hat, wurden für das Jahr 2020 in Höhe von rund 200 Millionen Euro in die Landesbasisfallwerte überführt … Seit dem Jahr 2018 können Krankenhäuser für einen bestehenden erhöhten Pflegeaufwand bei pflegebedürftigen Patientinnen und Patienten eine zusätzliche Vergütung von den Kostenträgern erhalten … Zudem wird der Einsatz von Pflegekräften und anderen Beschäftigten in Krankenhäusern, die durch die Versorgung von mit dem Coronavirus infizierten Patientinnen und Patienten besonders belastet waren, finanziell anerkannt. Krankenhäusern, die während der ersten Monate der Corona-Pandemie verhältnismäßig viele mit dem Coronavirus infizierte Patientinnen und Patienten zu versorgen hatten, werden insgesamt 100 Millionen Euro für Prämienzahlungen zur Verfügung gestellt.“ Trotzdem fehlt Personal und deshalb werden Betten gesperrt.

Wohin ging das viele Geld?

David-Studt äußerte sich zum Umgang der Politik mit den Pflegekräften während der Corona-Zeit sehr enttäuscht: „Ich weiß nicht, welche Gelder der Bundesregierung in die Pflege geflossen sind. Finanziert werden die laufenden Kosten durch die Kostenträger (Krankenkassen und Selbstzahler). Vom Bund kam lediglich eine sogenannte Corona-Prämie. In der ersten Runde sind wir leer ausgegangen. In der zweiten Runde hat eine Pflegekraft in Vollzeit einen Betrag von weniger als 300 Euro erhalten. Das war auch nur möglich, weil die Ärzteschaft auf ihre Corona-Prämie verzichtet hat.“ 

In der ersten Welle wurden die Kinderkrankenhäuser für die Prämie nicht berücksichtigt, vielleicht weil Kinder nicht so schwer an dem Virus erkrankten. Vergessen werde dabei, so der Geschäftsführer des Wilhelmstifts, dass jeder, auch die Begleitpersonen, bei der Aufnahme aus Gründen der Sicherheit bis zum Vorliegen eines Testergebnisses wie ein mit  Corona Infizierter behandelt werden musste, auch wenn der Patient wegen einer gebrochenen Hand behandelt wird. 

Papierkrieg verdrängt Pflege

Auch bei den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst hat eine Pflegekraft nicht mehr tarifliche Corona-Prämie erhalten als zum Beispiel ein Mitarbeiter beim Bauamt in Heimarbeit. „Die Ärzteschaft und die Lokführer haben es vorgemacht, eine Spartengewerkschaft kann mehr erreichen“, merkt der Geschäftsführer an. Der Pflegeberuf habe an Attraktivität verloren, als Grund dafür benennt er neben der aktuellen Mehrbelastung die „Dokumentationspflicht und Statistikfütterung“. Dadurch seien die Pflegekräfte mittlerweile dermaßen beschäftigt, dass sie weniger als die Hälfte ihrer Arbeitszeit am Patienten verbringen. 

„Mein erster Wunsch“, führt David-Studt aus, „wäre natürlich das Ende der Pandemie, damit alle Pflegenden und alle übrigen Mitarbeitenden mit Patientenkontakt wieder in den ,Normalmodus‘ kommen. Jetzt sind alle körperlich und mental erschöpft. Diese Welle ist noch viel höher, als es die vorangegangenen Wellen waren. Dazu kommt, dass in diesem Winter in den Kinderkrankenhäusern früher als sonst und in größerer Anzahl die Atemwegserkrankungen zurückgekommen sind. Im vergangenen Winter gab es einen erheblichen Rückgang durch die Schließung von Kitas und Schulen, jetzt gibt es umso mehr erkrankte Kinder.“

So bleiben viele Wünsche – und zuoberst der Wunsch nach Gesundheit.