26.04.2024

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Folge 51-21 vom 24. Dezember 2021 / Schwedische Weihnacht / Fensterlichter als Wegweiser / Wärme und Geborgenheit in Zeiten der Pandemie – Betrachtungen zur Weihnachtszeit in Schweden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-21 vom 24. Dezember 2021

Schwedische Weihnacht
Fensterlichter als Wegweiser
Wärme und Geborgenheit in Zeiten der Pandemie – Betrachtungen zur Weihnachtszeit in Schweden
Nils Aschenbeck

Mit Schweden verbinden die meisten Menschen seit Corona nicht mehr nur Bullerbü, IKEA und Volvo, sondern mittlerweile auch das vom Rest Europas abweichende Vorgehen gegen die Pandemie. In dem skandinavischen Staat blieben alle verhängten Maßnahmen zurückhaltender, überwiegend blieb es bei Empfehlungen für die Bevölkerung. Vor allem deutsche Politiker, die für strikte Maßnahmen verantwortlich sind, denken, dass Schweden einen falschen Weg beschreitet. Für andere bedeutet Schweden hingegen Hoffnung – Hoffnung, dass auch in Corona-Zeiten noch Normalität möglich ist und bürgerliche Freiheiten gewahrt werden können.

Jetzt in der Weihnachtszeit brennen in den meisten Fenstern schwedischer Holzhäuser Lampen oder große Sterne. In dem Land, in dem es im Winter viel früher dunkel und viel später hell wird als in Deutschland, hat das Licht seit jeher eine große Bedeutung. Die erleuchteten Fenster vermitteln Wärme und Geborgenheit. Der Überlieferung nach wurden die Lampen in die Fenster gestellt, damit einsame Wanderer, die von Ort zu Ort oder von Hof zu Hof marschieren, sich in der Dunkelheit orientieren können. 

Traditionen wie diese sind Teil des Alltags geblieben, und die Menschen leben trotz aller Modernität und trotz einer fast perfekten Digitalisierung des Landes in eigenartig enger Verbindung mit der Vergangenheit. Vielleicht ist das der Tatsache geschuldet, dass es seit mehr als zwei Jahrhunderten keinen Krieg gegeben hat und dass in dem Königreich die entsprechenden gesellschaftlichen Brüche und Umwertungen ausgeblieben sind. 

Skurrile Winterhobbys

Viele Schweden sammeln mit großer Leidenschaft alte Häuser – zumindest in Gedanken (das Immobilienportal Hemnet gehört zu den beliebtesten Internet-Seiten), Oldtimer vor allem US-amerikanischer Marken und darüber hinaus jede Art von altem Hausrat. „Loppis“-Läden, Geschäfte mit Dingen aus Haushaltsauflösungen, sind selbst in kleinen Orten zu finden, teilweise füllen sie riesige Hallen und Speicher. Vielleicht sind es die antiquierten Dinge, deren Gegenwart die Menschen an den langen Lauf der Zeit erinnert, die das Leben ruhiger machen. 

In der Weihnachtszeit ziehen sich die Bewohner mit ihren Familien in ihre Häuser zurück, um ausgiebig Fernsehserien zu schauen. Beliebt sind auch exotische Serien, in denen Hausexperten die Geschichte alter Häuser aufarbeiten und diese gleichzeitig mit alten Methoden restaurieren – jeweils 45 Minuten Expertise für ein einziges kleines Haus.

 Im Oktober wurde im TV eine Zweizimmer-Holzhütte vorgestellt und deren Geschichte bis in das 17. Jahrhundert anhand von Archivalien nachvollzogen. Eine andere Serie zeigt in zahlreichen Folgen, wie eine Designerin zusammen mit ihrem Mann eine Palastruine auf Sizilien gekauft hat und nun langsam fachgerecht renoviert. Wer wollte das in dieser Ausführlichkeit in Deutschland schon sehen? 

In den Wintermonaten gehen die Einheimischen auch ihren Hobbys nach, die für deutsche Verhältnisse oft auch exotisch sind. In nicht wenigen schwedischen Häusern stehen Webstühle oder Drehscheiben für Tonarbeiten, die gerade jetzt in der dunklen Jahreszeit eifrig genutzt werden. Wenn man sich die zum Verkauf stehenden Häuser auf dem Portal hemnet.se anschaut, bekommt man einen plastischen Eindruck der schwedischen Häuslichkeit: Fast alle Objekte werden in einem bewohnten Zustand fotografiert – inklusive aller privaten Bilder und aller Zeugnisse der persönlichen Leidenschaften. Nicht selten sieht man Zimmer voller selbstgetöpferter Vasen oder perfekt ausgestattete Werkstätten mit einem aufgebockten Oldtimer. Und die Webstuhl-Dichte ist weltweit vermutlich einmalig. Vielleicht sind es typisch schwedische Tugenden: Lange am Webstuhl sitzen oder unter dem Auto liegen und hier viele Stunden und Tage verbringen. 

Ausreiseziel vieler Deutscher

Zwar gibt es in den größeren Städten auch Weihnachtsmärkte, aber das hektische Weihnachtsgeschäft mit aufgeregten glühweintrinkenden Massen ist in Schweden nur in den Metropolen wie Göteborg oder Stockholm zu finden. Das Leben in Schweden, das deutlich geruhsamer funktioniert und das immer wieder durch Kaffeepausen – den „Fika“ – ausgebremst wird, bietet vielen Deutschen ein heilsames Bild. Die Schweden, so scheint es, leiden kaum unter Stress, hier kann es unmöglich einen Burnout geben. 

Auswandern nach Schweden – eine Therapie gegen Hektik und Stress? Für die ausgewanderten Deutschen – inzwischen sind sie zahlreich – ist es schwer, in den entspannten schwedischen Familienkreis einzudringen. Schweden sind immer nett und freundlich, aber auf private Einladungen warten selbst die in der Nachbarschaft lebenden zugewanderten Deutschen vergeblich. Schwedische Familien bleiben unter sich, sie beäugen aber mit großem Interesse und manchmal auch mit Verwunderung, was die Deutschen so treiben. 

Und doch bemerkt man bei den ausgewanderten Deutschen, dass sie von der schwedischen Entspanntheit ergriffen werden, dass sie den Tag langsamer angehen, dass sie auch mal Termine verschieben, wenn ihnen danach ist. Selbst ausgewanderte Deutsche basteln heute an ihren Oldtimern und haben sich in alten Scheunen oder Ställen Kunstateliers und manchmal sogar kleine Brauereien eingerichtet. Immerhin kehren deutsche Schweden-Auswanderer deutlich seltener frustriert zurück als solche, die in andere Länder ausgewandert sind.

Dieses individuelle und selbstbestimmte Leben spiegelt sich auch in der Corona-Politik. Es scheint kaum möglich, dass der schwedische Staat in das Privatleben der Menschen vordringt, diese mit Bestimmungen zu Kontaktbeschränkungen oder Quarantäne zwingt. Der Schwede vertraut dem Staat, erwartet aber auch, dass dieser ihn in Ruhe lässt. 

Viele Deutsche blicken inzwischen sehnsüchtig auf ein Land, in dem die Menschen offenbar glücklicher und freier leben. Nach der Verabschiedung des Gesetzes zur Impfpflicht in Gesundheitsberufen in Deutschland sind die Suchanfragen nach „Auswandern + Schweden“ bei Google massiv hochgegangen, wie man bei google trends nachsehen kann. Die Tag und Nacht brennenden Sterne in den Fenstern der schwedischen Holzhäuser scheinen auch manchen Deutschen den Weg zu weisen in eine andere, weniger von Panikmache bestimmte Zukunft.