28.03.2024

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Folge 52-21 vom 31. Dezember 2021 / Wilhelm Busch / „Vor allem der Politikus / Gönnt sich der Rede Vollgenuß“ / Der Publizist Rolf Stolz zeigt, dass das Werk des Dichters wesentlich hintergründiger ist, als der oberflächliche Blick vermuten lässt. Vieles kann als Kommentar zu unserer Zeit gelesen werden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 52-21 vom 31. Dezember 2021

Wilhelm Busch
„Vor allem der Politikus / Gönnt sich der Rede Vollgenuß“
Der Publizist Rolf Stolz zeigt, dass das Werk des Dichters wesentlich hintergründiger ist, als der oberflächliche Blick vermuten lässt. Vieles kann als Kommentar zu unserer Zeit gelesen werden
Erik Lommatzsch

Selbst im Zeitalter einer sich immer weiter verflüchtigenden Allgemeinbildung dürfte es zumindest im deutschen Sprachraum kaum jemanden geben, der bei der Nennung des Namenspaares „Max und Moritz“ nicht sofort an die Bildergeschichte von Wilhelm Busch (1832–1908) denkt. Im besten Falle tritt das Wissen um das eine oder andere Zitat hinzu, etwa: „Also lautet ein Beschluß, / Daß der Mensch was lernen muß.“ Mit der Kenntnis einiger weiterer Titel aus der Feder Buschs – wie etwa „Die fromme Helene“ oder „Fipps, der Affe“ – hat es dann meist bereits sein Bewenden. 

Allerdings „ist er eben nicht der Kinderunterhalter, Moritatenreimer und Witzzeichner, als der er allzu lange missverstanden worden ist“. Dies zeigt der Publizist, Schriftsteller und PAZ-Autor Rolf Stolz in einem gerade erschienenen, äußerst aufschlussreichen kleinen Band („Die Schärfe des Lachens: Wilhelm Busch“, Edition BuchHaus Loschwitz, Dresden 2021, 152 Seiten, 17 Euro). Das Werk des Dichters erschöpft sich nicht in den Bildergeschichten, es umfasst auch heute wenig bekannte Arbeiten wie „Der Schmetterling“ oder „Eduards Traum“, Stolz zufolge „Meisterwerke der phantastischen Literatur“. 

Busch sei, über das historische Interesse, das dem „Schilderer“ seiner von Umbrüchen geprägten Epoche gelte, sowie über seine „geradezu klassische Widerspiegelung deutscher Nationalcharakteristika hinaus“ ein Humorist und Satiriker – einer, der mit den ganz Großen seines Fachs wie dem Franzosen François Rabelais („Gargantua und Pantagruel“) und dem Iren Jonathan Swift („Gullivers Reisen“) „bacchantisch tafelt und homerisch lacht“. 

Die Vorzüge der Einsamkeit

Auch wenn sicher so einiges aus seinen Werken dafür sprechen könnte, Busch habe die Menschen nicht leiden mögen, so meint Stolz, er sei eher „ein zwar nicht unkritischer, aber in der großen Linie gutmütiger Philosoph“ gewesen. Es gebe „keinen schärferen Beobachter“ des Bürgertums, zugleich sei er „der große Zweifler an der Vernunft der sich für vernünftig Haltenden“ gewesen. Über den letztlich verhinderten, aber von sich zunächst sehr eingenommenen Dichter Balduin Bählamm, dessen Annäherungsversuche weiblicherseits mit einer Ohrfeige quittiert werden, heißt es bei Busch: „So töricht ist der Mensch. – Er stutzt, / Schaut dämisch drein und ist verdutzt, / Anstatt sich erst mal solche Sachen / In aller Ruhe klarzumachen.“

Mit spürbarer Begeisterung und großer Kennerschaft gibt Stolz in einer Tour d’Horizon Einblick in Werk und Denken Buschs, in dessen Menschenbild und vor allem in das Bleibende. Der Dichter, dessen Geschichten heute wahrscheinlich nahezu jeder Verlag als politisch unkorrekt zurückweisen würde, kommt auch selbst reichlich zu Wort. Als zentrale Antriebe werden fünf Leitmotive präsentiert. Da wäre zunächst „Einsamkeit“. Busch habe „für sich und gegen fast alles“ gestanden. In den Worten des Dichters: „Wer einsam ist, der hat es gut, / Weil keiner da, der ihm was tut … Und niemand gibt ihm weise Lehren, / Die gut gemeint und bös zu hören.“ 

Nicht wegzudenken aus den Arbeiten ist die „Gewalt“, das „Infragestellen und Lächerlichmachen von Autoritäten“ und die „Rolle des Absurden“. Zuletzt wäre die „Bedeutung des Volkstümlichen, des Elementaren, des den instinktiven Gefühlen und naturhaften Reaktionen Nahen“ zu nennen. Die Unabdingbarkeit des Regelbruchs für den Schöpferischen brachte Busch in die Worte: „Dem Biedermanne wachsen keine Flügel.“

Verstanden haben ihn nicht immer alle, schon gar nicht die Nachwelt. Wenig Sinn für Busch hatte beispielsweise der in der Bundesrepublik hochgejubelte Heinrich Böll. Der – so Stolz – „allzu gutmenschlich biedere“ Schriftsteller, heute Namenspatron der den Grünen nahestehenden politischen Stiftung, erklärte 1958, bei Busch handle es sich um einen „nur scheinbar heiteren, unergründlich boshaften, menschenfeindlichen Humoristen“.

Scharfer Blick auf Weltverbesserer

„Sein Prinzip ist überhaupt: / Was beliebt ist auch erlaubt; / Denn der Mensch als Kreatur / Hat von Rücksicht keine Spur.“ Derartige Feststellungen Buschs sind sicher nicht als menschenfeindlich zu bezeichnen, als realistisch hingegen schon. Der Charakter von Kindern ist nicht nur durch die Figuren Max und Moritz wenig einnehmend. Bei „Plisch und Plum“ ist zu erfahren: „Peter und Paul, frech und kühl / Zeigen wenig Mitgefühl; / Fremder Leute Seelenschmerzen / Nehmen sie sich nicht zu Herzen.“ Und Busch zeigt die „harte und kalte Welt“, etwa wenn er das Schicksal des soeben erschlagenen Maulwurfs mit den Worten quittiert, „hinderlich, wie überall, / Ist hier der eigne Todesfall“. Es geht auch noch ein Stück drastischer: „Heißa! rufet Sauerbrot – / Heißa! meine Frau ist tot.“

Stolz zeigt auf, dass sich im Werk Buschs mitunter auf den zweiten Blick größere Dimensionen verbergen könnten. Den Kampf der „feindlichen Nachbarn“ – „Ein Maler und ein Musikus / So Wand an Wand, das gibt Verdruß“ – liest er als das Aufeinandertreffen zweier gleichstarker, in Expansion begriffener Reiche, in diesem Fall verkörpert durch die Künste. Oder er meint, Busch habe mittels der Geschichte über den Turner Hoppenstedt („mit einem Übermaß an kaum gezügelter Energie“) die Problematik des Kaiserreichs karikieren wollen.

Wilhelm Busch ist zudem erfrischend, vielleicht sogar erschreckend aktuell. Zu Recht meint Stolz, eine Strophe des Gedichts „Modern“ erscheine wie „ein Kommentar zum Geschrei der Cancel-Culture-Barbaren“ und der Fridays-for-Future-Schulschwänzer: „Hinweg mit diesen alten Herrn, / Sie sind zu nichts mehr nütz! / So rufen sie und nähmen gern / Das Erbe in Besitz.“ Das Problem von Politikern mit ambitionierten Zwangsplänen und Weltverbesserern am grünen Tisch war auch Busch schon geläufig – der Mensch ist ein eigenwilliges Wesen: „Nur leider kann man sich nicht einen, / Wie man das Ding am besten mache. / Das Bauen mit belebten Steinen / Ist eine höchst verzwickte Sache.“ 

Auf viel zu viele Zeitgenossen unserer Tage treffen folgende Verse zu: „Vor allem der Politikus / Gönnt sich der Rede Vollgenuß; / Und wenn er von was sagt, so sei’s, / Ist man auch sicher, daß er’s weiß.“ Zu hoffen wäre, dass sich der eine oder andere „Politikus“ ein Beispiel an einem kurzzeitigen Geistesblitz des Affen Fipps nimmt. Als dieser gerade erheblichen Schaden angerichtet hat, heißt es: „,Mir scheint, ich bin hier unbeliebt‘ / Denkt Fipps, der sich hinwegbegibt.“