19.04.2024

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Folge 52-21 vom 31. Dezember 2021 / Hinterpommern / Poenichen – mehr als ein fiktiver Ort in Pommern / In der Trilogie der Schriftstellerin Christine Brückner um Maximiliane von Quindt findet sich eine ganze Generation wieder

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 52-21 vom 31. Dezember 2021

Hinterpommern
Poenichen – mehr als ein fiktiver Ort in Pommern
In der Trilogie der Schriftstellerin Christine Brückner um Maximiliane von Quindt findet sich eine ganze Generation wieder
Erik Lommatzsch

Keinen Geringeren als Theodor Fontane hatte sich die Schriftstellerin Christine Brückner sozusagen zum Paten ihrer über 900-seitigen Poenichen-Trilogie erwählt. Vorangestellt ist dem Werk ein Zitat aus einem Brief des großen Romanciers, den er im Juli 1887 in Seebad Rüdersdorf verfasst hatte: „Durch mein offenstehendes Fenster strömt der hier, und auch woanders, ständige Mischgeruch von Jauche und Levkojen ein, erstrer prävalirend, und giebt ein Bild aller Dinge. Das Leben ist nicht blos ein Levkojengarten.“ So erhielt denn auch der 1975 erschienene erste Band den leitmotivischen Titel „Jauche und Levkojen“, und begeisterte Leser wollen bei Brückner tatsächlich bezüglich ihrer Erzählweise Parallelen zu Fontane entdeckt haben.

Das Leben im alten Pommern

Ausgangspunkt der Trilogie Brückners ist das Gut Poenichen in Hinterpommern, im heutigen Polen. Es orientiert sich zwar an einem realen Vorbild, verdankt sich aber, nebst dem gleichnamigen Dorf, der Phantasie der Autorin. Allerdings lokalisiert sie den fiktiven Ort ziemlich genau. Zu finden sei er, wenn man auf einer Karte Dramburg, Arnswalde und Deutsch Krone, das allerdings schon zu Westpreußen zählt, wie sie korrekt anmerkt, mittels dreier Geraden zu einem Dreieck verbinde und dann den Mittelpunkt suche. 

Hauptperson aller drei Romane ist Maximiliane von Quindt, deren Lebensweg die Wechselfälle der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts widerspiegelt. Als sie geboren wird, wird eigentlich ein Stammhalter erwartet. Und genauso verkündet es die Hebamme, die Witwe Schmaltz, nach der Entbindung zunächst auch. Natürlich stellt man schnell fest, dass es nicht der „kleine Baron“ ist. Getauft wird Maximiliane bezeichnenderweise am 11. November 1918, dem Datum des Waffenstillstands. Davon sowie von der zwei Tage zuvor verkündeten Abdankung des Kaisers und der Ausrufung der Republik ist im abgelegenen Poenichen noch nichts bekannt. Da der Vater gefallen ist und die aus Berlin stammende Mutter wenig Bezug zu ihrem Kind und zum pommerschen Landleben hat, nimmt sich der Großvater, beharrlich als der alte Quindt bezeichnet, seiner Enkelin an, die er auf seine Nachfolge vorbereitet. 

Der alte Quindt ist ein Ausnahme-Landedelmann, einer, der die neue Zeit sieht und, gemessen an seinem Stand, schon fast linke Tendenzen zeigt. Dennoch bleibt er ein konservativer Realist. Brückner hat mit ihm einen bemerkenswerten Charakter geschaffen. Im Landtag, noch in der Zeit der Monarchie, lässt sie ihn sagen, die Deutschen, zumal die Preußen „müssen endlich lernen, daß auch ein Kornfeld ein Feld der Ehre ist!“ In einem etwas plakativen Wortspiel heißt es, derartige Aussprüche des Gutsherrn seien „Quindt-Essenzen“. In den Umbrüchen unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg äußert er sich über die Unterschiede, die „nun abgeschafft werden“ sollen: „Alle gleich reich, das geht nich, also alle gleich arm, darauf kommt es raus. Nur durch Teilen kommt keiner nach oben. Es muß auch in einem liegen.“ 

Auch wenn Maximiliane die eigentliche Leitfigur des Werkes ist – in „Jauche und Levkojen“ ist der Großvater, der alte Quindt, ebenso handlungstragend. Den Nationalsozialismus lehnt er dezidiert ab. Maximiliane heiratet Viktor Quint – entfernt verwandt, aus einer anderen Linie, daher auch die andere Schreibweise des Namens. Dieser wiederum ist Anhänger des NS-Regimes und wird den Krieg nicht überleben. Vor der anrückenden Roten Armee flieht Maximiliane mit dem Treck in Richtung Westen. Die Großeltern bringen es nicht über sich, Poenichen zu verlassen, sie bleiben zurück und nehmen sich das Leben. In einem der tragischsten Momente des Romans sagt die Frau des alten Quindt zu ihrem Mann: „Du wirst es tun müssen. Du weißt, ich kann nicht schießen.“

Die eindrücklichen Schilderungen der Provinz und des Lebens in Hinterpommern enden mit dem ersten Band der Poenichen-Trilogie, der äußerst erfolgreich war. Das Gut – als Symbol – bleibt auch weiterhin präsent. Die fünffache Mutter Maximiliane schlägt sich selbstbewusst durch, in der Nachkriegszeit, im Wirtschaftswunderland Bundesrepublik. Facettenreich sind die Handlungsstränge.

Im zweiten Band „Nirgendwo ist Poenichen“ macht sich Maximiliane auf den Weg zum ehemaligen Gut der Familie – und muss feststellen, dass diese Welt in jeder Hinsicht untergegangen ist. Im dritten Band „Die Quints“, erschienen 1985, ist dann bereits der Zeitgeist vorherrschend: Maximilianes Sohn kandidiert für die Grünen. In einem Nachwort ist, nicht zu Unrecht, von einem „alternativ-ökologischen“ Roman die Rede. Die große Bedeutung der Herkunft wird jedoch unterstrichen, wenn Maximiliane feststellt: „Es gibt Menschen, die haben nie ein Poenichen besessen.“

Autorin war gebürtige Hessin

In dem, was sich mit Poenichen verbindet und vielen, wenn sicher auch nicht allen Aspekten der davon ausgehenden Romanhandlung fand sich eine ganze Generation wieder, die ihre Heimat verloren hatte. Zur Popularisierung trug die mehrteilige Fernsehverfilmung der beiden ersten Bände der Trilogie bei. Dass die Autorin Brückner selbst gebürtige Hessin und vor allem mit Kassel verbunden war, erstaunt. Angesichts der einfühlsamen Schilderungen Pommerns hätte man mehr autobiographische Bezüge vermutet als einen kürzeren Aufenthalt auf einem der dortigen Güter in den Kriegsjahren. 

Für die Erinnerung an die Schriftstellerin, für deren umfangreiches Schaffen eine 20-bändige Werkausgabe steht, gab es im Dezember 2021 gleich zwei Anlässe: Der 10. wäre ihr 100. Geburtstag gewesen, der 21. ihr 25. Todestag. Davon, dass Christine Brückner auch immer überraschende Perspektiven aufzuzeigen wusste, zeugen Formulierungen wie die Umkehrung einer geläufigen Vermutung: „Das Leben hält sich oft eng an die Literatur und vermeidet dabei kein Klischee“.