25.04.2024

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Folge 01-22 vom 07. Januar 2022 / Wenn Utopie auf Realitäten trifft / Die neue Bundesregierung plant mit dem Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter den größten Umbau der deutschen Wirtschaft seit Generationen. Im Wege stehen ihr dabei allerdings ein paar naturwissenschaftliche Probleme

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-22 vom 07. Januar 2022

Wenn Utopie auf Realitäten trifft
Die neue Bundesregierung plant mit dem Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter den größten Umbau der deutschen Wirtschaft seit Generationen. Im Wege stehen ihr dabei allerdings ein paar naturwissenschaftliche Probleme
Josef Kraus und Heinrich Zettler

Wenn es nach dem Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung geht, sind eine beschleunigte Energiewende, eine baldige CO₂-Neutralität, ein kompletter Verzicht auf fossile Brennstoffe, eine totale Dekarbonisierung ab 2030 sowie ein rasches Ende des Benzin- und Dieselmotors angesagt. Begründet wird all dies mit dem Kampf gegen den angeblich ausschließlich menschengemachten Klimawandel. Dass auf Deutschland nur rund 1,9 Prozent des globalen Primärenergiebedarfs entfallen, dass andere Industrienationen sich einen Teufel um den deutschen Sonderweg scheren und nuklearenergetisch sowie mit Kohlekraftwerken aufrüsten, spielt keine Rolle.

Wörtlich heißt es im Koalitionsvertrag der neuen Regierung: „Schritt für Schritt beenden wir das fossile Zeitalter, auch, indem wir den Kohleausstieg idealerweise auf 2030 vorziehen und die Technologie des Verbrennungsmotors hinter uns lassen … Wir wollen einen verlässlichen und kosteneffizienten Weg zur Klimaneutralität spätestens 2045 technologieoffen ausgestalten. Am deutschen Atomausstieg halten wir fest …“ 

Hybris und Sendungsbewusstsein

Damit atmet der Ampel-Vertrag den (Un-)Geist von Hybris, Sendungsbewusstsein und Ignoranz. Hybris heißt: Es wird übergangen, dass laut Wirtschaftsministerium die Primärenergieversorgung in Deutschland zuletzt zu 77 Prozent mit Hilfe fossiler Brennstoffe gedeckt wurde, sechs Prozent mittels Kernenergie und 17 Prozent mittels „Erneuerbarer“. Binnen kürzester Zeit will man nun diese 83 Prozent auch mit „Erneuerbaren“ ersetzen. 

Das wiederum hat mit deutschem Sendungsbewusstsein zu tun. Denn kein anderes Land der Welt folgt dem deutschen Weg. Im Gegenteil: Weltweit werden derzeit über hundert Reaktorblöcke neu gebaut, der Großteil in China und Indien. Selbst Japan plant neue AKW. Trotz „Fukushima“. Auch Frankreich setzt nach wie vor auf seine 56 Reaktorblöcke, die 70 Prozent der Stromversorgung garantieren. Weltweit sind zudem 1380 Kohlekraftwerke im Bau oder in Planung. In den Niederlanden diskutiert man den Neubau von AKW, in Finnland geht unter Befürwortung der dortigen Grünen Europas größte Nuklearenergieanlage ans Netz. Deutschland aber mit seinem weltweiten Zwei-Prozent-CO₂-Anteil will die Welt retten. … Als Rettungsanker bleibt ja immer noch der Ankauf von Atomstrom bei den Nachbarn.

Es ist zudem sehr viel Ignoranz im Spiel – nicht nur bei der „Ampel“, sondern auch im Weltklimarat und bei den Weltklimakonferenzen. In der Erdgeschichte gab es – bedingt durch Sonnenaktivitäten – immer Warm- und Kaltzyklen. Vor rund 8000 bis 5000 Jahren war die Erde etwa drei Grad Celsius wärmer. Es kam zu einer Abkühlung, ehe es 250 vor Christus bis 400 nach Christus wieder eine – die sogenannte Römische – Warmzeit gab. Auf die Jahre 1300 bis 1550 kann man eine kleine Eiszeit datieren, seitdem ist die Temperatur der Erde wieder um rund ein Grad Celsius gestiegen. All dies scheint in den Klimadebatten keine Rolle zu spielen. Womit keineswegs geleugnet werden soll, dass die Freisetzung des ursprünglich in Kohle und Erdöl gebundenen Kohlenstoffs als CO₂ auch klimarelevant ist. 

Die Altlasten des „grünen Stroms“

Zur Ignoranz gehört auch das Ausblenden der Frage, wie Solaranlagen, Akkus und Windräder eines Tages entsorgt werden sollen. Das ist eine gewaltige Last für zukünftige Generationen, deren selbsternannte „Fridays vor Future“-Exponenten dazu ebenso schweigen wie zur billionenfachen Staatsverschuldung. 

Auch dass Deutschland jetzt schon die höchsten Strompreise der Welt hat, dass nach der Abschaltung der letzten Kernkraftwerke und der Kohlekraftwerke „Blackouts“ drohen, dass gleichwohl aus dem Ausland Atomstrom bezogen werden muss, dass Deutschland die energiesparsamsten „Verbrenner“ produziert und zugleich die sichersten Atomkraftwerke hat beziehungsweise hatte, spielt in den deutschen Debatten keine Rolle 

Und doch gibt es naturwissenschaftliche Grundgesetze und Faktoren, die durch keine Hybris und Ignoranz außer Kraft gesetzt werden können. 

Naturwissenschaftliche Probleme

Kernproblem 1: Jedes Jahr gibt es in Deutschland hinsichtlich Wind und Sonnenstrahlung fünf- bis zehntägige Flauten. Von den kurzen Tagen im Winterhalbjahr ganz zu schweigen. In ihren Flauten liefern Windparks und Photovoltaikanlagen nahezu keinen Strom. Um Sturmschäden am Rotor zu vermeiden, drehen sich die Windräder auch nicht, wenn die Windgeschwindigkeit zu stark ist. Will sagen: Wenn die derzeit 29.700 Onshore- und die rund 1500 Offshore-Windräder stillstehen und deshalb keinen Strom produzieren, dann würde auch eine x-fache Menge an Windrädern an diesen Tagen keinen Strom liefern. Insofern geht das „Ampel“-Ziel einer Verdoppelung der Windparks am Problem vorbei. 

Trotzdem will die „Ampel“ zwei Prozent der Landesfläche für Windparks ausweisen. Das wäre etwas mehr als eine Verdoppelung der bisherigen Onshore-Windparkfläche von 0,9 Prozent der Gesamtfläche Deutschlands: Konkret sind es derzeit 3131 km² von 357.385 km² Gesamtfläche. Was dieser Flächen- und vor allem auch Waldfraß für die Kulturlandschaft bedeutet, muss man nicht erläutern. Aber er wird auch Hunderttausende Bürger belasten und deren Immobilien im Wert dezimieren. So steht etwa der geltende Mindestabstand eines Windrads zur nächsten Wohnbebauung zur Disposition. Die „10-H-Regel“ schreibt vor, dass die Entfernung eines Windrades zu einer Wohnsiedlung das Zehnfache der Höhe betragen muss; bei einem 200 Meter hohen Windrad wären das zwei Kilometer. Im „Ampel“-Vertrag heißt es dazu: „Wir werden sicherstellen, dass auch in weniger windhöffigen Regionen der Windenergieausbau deutlich vorankommt …“ 

Davon abgesehen: Wollte man auch nur ein Drittel des 2019 erforderlichen Energiebedarfs in Deutschland mit Onshore-Windkraftanlagen (WKA) decken, dann wären das 170.000 Anlagen bei einer noch nicht vorhandenen Einzelleistung von vier Megawatt und ein Flächenbedarf von 115.000 Quadratkilometern – rund ein Drittel von Deutschland! Denn der berechnete Mindestabstand ist der vier- bis fünffache Rotordurchmesser in Hauptwindrichtung und der dreifache in Nebenwindrichtung. Und wollte man ein Fünftel Energiebedarf mit Offshore-WKA decken, dann wären dazu 28.500 Sieben-Megawatt-Anlagen mit einem Flächenbedarf von 50.000 Quadratkilometern nötig. Das entspräche einem „WKA-Vorhang“ entlang der gesamten deutschen Küste mit einer Breite von zwölf Kilometern. Die restlichen 47 Prozent müssten aus Photovoltaik und Wärmepumpen gedeckt werden. Letztere brauchen wiederum im Schnitt eine Kilowattstunde Strom pro gelieferte drei Kilowattstunden Wärmeenergie.

Unüberwindbare Hindernisse 

Kernproblem 2: Deutschland verbrauchte 2019, vor Corona, umgerechnet durchschnittlich 3555 Milliarden Kilowattstunden Primärenergie. Für Flaute- und Wolkenzeiten müsste man mindestens eine Ein-Monats-Energiereserve haben, somit Speicherkapazität für rund 300 Milliarden kWh. Die derzeitigen Erdgasspeicher bieten uns für drei Monate Energiesicherheit. Pumpspeicherwerke helfen auch kaum weiter. Deutschlands größtes Pumpspeicherkraftwerk Goldisthal in Thüringen hat gerade einen Speicher für knapp eine Million kWh, dann ist er leer und müsste mit Strom wieder aufgepumpt werden. Für die Zeiten der Wind- und Sonnenscheinflaute bräuchte man aber Speicher ganz anderer Kapazität. Das gilt auch für galvanische Zellen (Akkus). Der derzeit stärkste Tesla Powerwall Lithium-Ionen-Akku (Kosten etwa 26.000 Eu­ro), zum Beispiel, müsste allein für Deutschland als dezentraler Stromspeicher in etwa 7,4 Billionen Exemplaren vorhanden sein.

Kernproblem 3: Die „Ampel“-Visionen sind nicht finanzierbar. So bräuchte man für eine komplette Stromversorgung Deutschlands mit Windkraft entweder 500.000 Windkraftanlagen „onshore“ (also auf Land) oder 140.000 Windkraftanlagen „offshore“ (auf See). Oder einen Mix daraus im Verbund mit Photovoltaik. Das ergibt für deren Bau ein Kostenvolumen von über drei Billionen Euro, wenn man einen Mix wie oben annimmt. Und für eine Speicherung des benötigten Stroms allein mittels Akkus wenigstens für einen 30-Tage-Vorrat bräuchte man rund 1,5 Millionen Akku-Speicheranlagen vom Tesla-Typ Hornsdale (wie sie mit knapp 200 MWh zum Stückpreis von 150 Millionen Euro in Südaustralien vorhanden sind); Kostenvolumen: rund 2,25 Billionen Euro. Zum Vergleich: Das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands betrug 2020 insgesamt 3,45 Billionen Euro.

Kernproblem 4: Auch die Vision von einer Stromspeicherung durch Elektrolyse von Wasser ist irreal. Denn in der Kette „Strom zu Wasserstoff – Speicherung – Rückverstromung durch Brennstoffzelle“ müsste man das 1,9-fache an Stromenergie einsetzen. Für die Rückverstromung über Gasturbinen das 2,2-fache – mindestens, wegen des Wirkungsgrads, physikalisch bedingt. Völlig ungeklärt ist dabei die Frage der Wasserstoffspeicherung. Für einen Ein-Monats-Bedarf wäre bei 100 Bar Speicherdruck ein Kavernen- und Leitungsvolumen von rund 2400 Kubikkilometern erforderlich. Die Erdgasspeicher in Deutschland haben gerade mal 23 Kubikmeter. Die zusätzliche Kompressionsenergie für 100 Bar gar nicht mitgerechnet. Dabei würde auch ein Mix aus Pumpspeicherkraftwerk, Batterien und Wasserstoff nicht weiterhelfen. Und der Hinweis auf Solaranlagen in Afrika ist ebenfalls Wunschdenken – die einst euphorisch proklamierten Wüstenstrom-Projekte Desertec 1.0 und 2.0 sind kläglich gescheitert. Ob Desertec 3.0 etwas wird, ist offen.  

Insofern ist folgender Passus aus dem „Ampel“-Vertrag Lyrik: „Wir wollen eine Elektrolysekapazität von rund zehn Gigawatt im Jahr 2030 erreichen.“ Auch dazu ein wenig Mathematik: Einer Leistung von zehn GW entspricht im 24-Stunden-Betrieb ein täglicher Stromverbrauch von 240 Millionen Kilowattstunden. Wegen des physikalisch bedingten Wirkungsgrads wäre davon gerade mal die Hälfte nutzbar. Den Energiebedarf für die proklamierte Wasserstoffverflüssigung und den Verdampfungsverlust nicht mitgerechnet. Und auch nicht berücksichtigt ist, dass nach einer Wirtschaftlichkeitsanalyse des Zentrums für Brennstoffzellentechnik die Kosten pro zehn Kilowatt Leistung bei 130.000 Euro liegen werden. Womit bei dem „Ampel“-Vorhaben also 1,3 Billionen Euro fällig wären. 

Realistische Alternativen

Die Menschheit muss den CO₂-Ausstoß gewiss reduzieren. Dies wird jedoch mit Wind- und Solarenergie allein nicht gelingen. Deshalb führt kein Weg vorbei an einer vergleichsweise klimaneutralen Gewinnung von Energie durch Atomkraft, ferner durch Geothermie und eines Tages durch Wasserstofftechnik. Mit den sicheren deutschen Atomkraftwerken wäre hier zumindest eine CO₂-neu­trale Basissicherung gewährleistet gewesen. Mehr noch durch die neuen Fluid-Reaktoren, die in Deutschland aber weder betrieben noch gebaut noch erforscht werden dürfen.

Mit den bisherigen „Ampel“-Plänen jedenfalls drohen in Deutschland künftig regelmäßig die Lichter auszugehen.






Josef Kraus war bis 2015 Gymnasialdirektor in Niederbayern sowie von 1987 bis 2017 Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Zuletzt erschien „Der deutsche Untertan. 

Vom Denken entwöhnt“ (Langen Müller). Heinrich Zettler ist promovierter Physikochemiker und erfolgreicher mittelständischer Unternehmer. Im Frühjahr 2022 erscheint sein Buch „Denkverbote. Die Diktatur des Postfaktischen“.