Wochenlang agierten die Medien nach dem Motto: Was wir nicht berichten, hat nicht stattgefunden. Mittlerweile kann es nicht mehr verschwiegen werden: Zehntausende Menschen sind am Montagabend auf den Straßen, überall im Land.
Und Berlin? Das fragte mich neulich ein Freund. Sollte sich wiederholen, was 1989 der Fall war, dass Berlin die letzte Stadt war, in der eine Kundgebung gegen das SED-Regime stattfand? Wieder sind Leipzig und Dresden führend, während es in der Hauptstadt still bleibt. In unserer kurzlebigen Zeit, in der wir mit Nachrichten so überschüttet werden, dass unser Gedächtnis für Ereignisse immer kürzer wird, musste ich ihn daran erinnern, dass Berlin 2020 der Ort zweier mächtiger Demos mit geschätzten bis zu einer Million Teilnehmern war. Die aus allen Landesteilen herbeigerufenen Polizeikräfte reagierten hart – mit Straßensperren, Prügeleien, Pfefferspray und Wasserwerfern. Im kalten November wurden Alte und Junge, darunter viele Kinder, „beregnet“, wie es verniedlichend in den öffentlichen Verlautbarungen hieß. Zuvor waren wie einst zu DDR-Zeiten viele Bahn- und Autofahrer daran gehindert worden, die Stadt zu erreichen.
Seitdem hat es einen Strategiewechsel gegeben. Statt Großdemos in einzelnen Städten zu organisieren, geht man zur selben Zeit in verschiedenen Städten los. Da Genehmigungen für Demonstrationen immer häufiger verweigert werden, weicht man auf unangemeldete Spaziergänge aus. Schließlich haben alle Deutschen nach wie vor das grundgesetzlich garantierte Recht, sich friedlich zu versammeln. Von einer Genehmigungspflicht steht übrigens in der Verfassung nichts. Auch in Berlin gingen am vergangenen Montag Hunderte Menschen auf die Straße – in allen zwölf Bezirken.Die größten Demonstrationen fanden laut Meldungen in Tegel und Pankow statt, wo jeweils etwa 600 bis 400 Menschen spazieren gingen. In Mitte formte sich ein Demonstrationszug zum ZDF-Hauptstadtstudio Unter den Linden. Das wurde von einer Polizeikette geschützt. Aber die Rufe der Demonstranten „Lügenpresse“ und „Ihr seid Schuld“ waren auch im angrenzenden Regierungsviertel zu hören.