Anfang Juni 2019 berichtete der US-amerikanische Fernsehsender CNN unter Berufung auf Geheimdienste der Vereinigten Staaten, dass Saudi-Arabien ballistische Raketen mit einer Reichweite von mehreren tausend Kilometern entwickle und dabei mit der Volksrepublik China zusammenarbeite.
Allerdings unternahm die Regierung in Washington daraufhin keinerlei diplomatische Schritte gegenüber der Führung in Riad, um diese von ihrem Vorhaben abzubringen. Deshalb wurde das Raketenprogramm ganz offensichtlich fortgesetzt. Das belegen aktuelle Satellitenfotos aus der Zeit vom 26. Oktober bis zum 9. November 2021, die CNN am 23. Dezember veröffentlichte. Die Aufnahmen zeigen eine Fabrikanlage unweit der zentralsaudischen Stadt Ad-Dawadimi 300 Kilometer westlich von Riad.
Dass dort jetzt tatsächlich Raketen montiert werden, belegen die gut sichtbaren Brandgruben vor Ort. Darauf verwies der Waffenexperte Jeffrey Lewis vom James Martin Center for Nonproliferation Studies am Middlebury Institute of International Studies at Monterey im Interview mit dem Sender. Denn die charakteristischen Vertiefungen dienen dem Zweck, die hochgefährlichen Treibstoffüberreste, welche bei der Produktion von Feststoffraketen anfallen, durch kontrolliertes Abbrennen zu „entsorgen“.
Ebenso unzweifelhaft ist die chinesische Unterstützung für die Saudis. Auf die Frage, ob es einen Technologietransfer zwecks Erleichterung des Baus von Langstreckenraketen für die Royal Saudi Strategic Missile Force (RSSMF) gegeben habe, sagte ein Sprecher des Pekinger Außenministeriums, beide Länder seien „umfassende strategische Partner“ und kooperierten in vielen Bereichen. Darunter falle auch der Austausch militärischer Güter. „Eine solche Zusammenarbeit verstößt nicht gegen internationales Recht und beinhaltet nicht die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen.“
Das trifft insofern zu, als das im April 1987 von den G-7-Staaten, zu denen weder China noch Saudi-Arabien gehört, etablierte Raketentechnologie-Kontrollregime (MTCR) komplett auf Freiwilligkeit anstatt auf verbindlichen Staatsverträgen basiert und die Raketen im Prinzip auch konventionelle Sprengköpfe tragen können. Allerdings erhielt Saudi-Arabien von China bereits 60 CSS-2A-Mittelstreckenraketen mit 2800 Kilometern Reichweite, die sich mit nuklearen Gefechtsköpfen bestücken lassen. Daher steht der Verdacht im Raum, dass das Königreich Letztere jetzt ebenfalls besitzen will, um sowohl seine alten CSS-2A als auch die in Ad-Dawadimi gefertigten neuen Raketen zu Kernwaffenträgern umzuwandeln, wobei die Atommacht China heimlich Hilfestellung leistet.
Auf jeden Fall setzt die Enthüllung von CNN nun den Westen sowie Israel unter Druck, weil die saudischen Langstreckenraketen – egal ob mit oder ohne Nuklearsprengkopf – die Sicherheitslage im Nahen Osten deutlich zu destabilisieren drohen. Immerhin gehört die wahhabitische Monarchie zu den Todfeinden der schiitischen Republik Iran. Deshalb erschwert es die angestrengten Bemühungen der USA und deren Verbündeten, Teheran zu einer Beschränkung seines Atom- beziehungsweise Raketenprogramms zu bewegen, wenn Riad nach genau den Technologien zu greifen scheint, die der Iran nach Ansicht seiner Verhandlungspartner nicht besitzen darf.
Bislang bestand die Reaktion der Biden-Administration nur darin, Sanktionen gegen all jene anzukündigen, welche in den Technologietransfer zwischen China und Saudi-Arabien verwickelt sein sollen. Das wird jedoch kaum ausreichen, um die Wogen wieder zu glätten und den Mullah-Staat zu besänftigen.