27.07.2024

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Folge 01-22 vom 07. Januar 2022 / Analyse / Lukrative Atomkraft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-22 vom 07. Januar 2022

Analyse
Lukrative Atomkraft
Bodo Bost

Während Deutschland zum Jahresende mit Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen drei seiner letzten sechs Atommeiler abgeschaltet hat, hat die Regierung Polens entschieden, dessen erstes Kernkraftwerk ab 2026 in Pommern, besser gesagt in Kaschubien, in der Nähe der 1300-Einwohner-Gemeinde Gotendorf/Chottschow [Choczewo], zu bauen. Auch Frankreich plant in Zukunft den Bau weiterer Atommeiler und hat sogar bei der EU-Kommission beantragt, die Kernenergie, aus der Deutschland trotz historisch hoher Energiepreise weiterhin aussteigen will, als grüne Energie anerkennen zu lassen. 

Sollte dieser Antrag genehmigt werden – und vieles sieht danach aus –, werden auch wieder Zuschüsse zum Bau neuer Kernkraftwerke von der EU, also auch und vor allem vom Nettozahler Deutschland, in die Kernkraft fließen, ob den Grünen das Recht ist oder nicht. Die Fronten der Energiepolitik könnten zu Beginn des Jahres 2022 innerhalb der EU nicht konträrer sein. 

Das erste polnische Kernkraftwerk wird nicht weit entfernt von der Ostsee entstehen. Deshalb können Baumaterialien und technische Ausrüstung für den Bau per Schiff angeliefert werden. Nach Gotendorf/Chottschow soll in der Republik Polen alle zwei bis drei Jahre ein neues Kernkraftwerk den Betrieb aufnehmen, bis 2043 werden es sechs sein. 

Atomstrom aus dem Ausland

Die neuen Atomreaktoren sollen allerdings nicht nur als Überbrückungsenergieerzeuger für die Kohlekraftwerke dienen, die abgeschaltet werden müssen, um die von der EU eingeforderten „Klimaziele“ zu erreichen. Alle sechs neuen Kernkraftwerke werden in den Oder-Neiße-Gebieten liegen, das heißt im Westteil der Republik Polen, also nicht weit von den Grenzen der Bundesrepublik entfernt. 

Ebenso wie die Franzosen, deren größtes Kernkraftwerk Cattenom/Kattenhofen in Lothringen in Sichtweite des Saarlandes liegt, werden auch die Polen auf den deutschen Markt spekulieren. Denn mit der waghalsigen deutschen Energiewende zugunsten Erneuerbarer Energien, die den Strompreis in die Höhe schnellen lässt, braucht Deutschland zusätzlich Stromlieferanten für die Zeiten, in denen Windräder stillstehen und die Sonne nicht scheint. Die Gasenergie, die Deutschland als Übergangsenergie ausgewählt hat, wird, wenn der Konflikt um die Ukraine und Nord Stream 2 weiter hochkocht, derart teuer werden, dass die Deutschen gerne auf die Kernkraft der Nachbarn zurückgreifen werden. Das wissen die Polen und die Franzosen. Deshalb bauen sie ihre Kernkraftwerke in der Nähe der Bundesrepublik, die bald nicht mehr über diese Energie verfügen wird, und die dafür umso mehr von ihren Grenznachbarn beziehen muss.

„Hässlich, aber reich“

Auch Polen hätte wie Deutschland seine Braunkohle-Kraftwerke sofort auf Erneuerbare Energiequellen umstellen können. Stattdessen plant man mit der Kernkraft. Dafür sind massive Investitionen von 30 Milliarden Euro notwendig. Die US-Firma Westinghouse hofft dabei auf einen Vertrag zum Bau der Kraftwerke in der Republik Polen. 

Neben der Republik Polen wird auch die Slowakei bald ihr erstes Kernkraftwerk in Betrieb nehmen. Durch den gemeinschaftlichen sogenannten Corona-Aufbaufonds, bei dem Deutschland größter Nettozahler ist, wird Deutschland am neuen Aufbau der Kernenergie in seinen östlichen Nachbarstaaten via EU finanziell kräftig teilhaben.

In Gotendorf/Chottschow soll Meerwasser zur Kühlung des Reaktors verwendet werden. Bisher nutzen vor allem wärmere Länder die Salzwasserkühlung. In Europa müssen im Sommer regelmäßig Kernkraftwerke gedrosselt werden, um die Flüsse, in die sie ihr Kühlwasser ablassen, nicht zu überhitzen. Das neue polnische Kernkraftwerk wird sein Wasser in der Danziger Bucht, in der es viele Strände gibt, und an der pommerschen Ostseeküste abkühlen und das dortige Meerwasser erwärmen.

Wiesław Gębka, Chottschows Bürgermeister, sagte im Fernsehsender TVN, er erwarte von dem Projekt, dass seine Gemeinde damit „hässlich, aber reich“ werde. Laut Regierungsangaben liegt die Zustimmung zu dem neuem Atomprogramm landesweit bei 74 Prozent. Das unabhängige Meinungsforschungsinstitut PBS stellte im Oktober fest, dass 63 Prozent der Bewohner der betroffenen Gemeinden für den Bau eines Kernkraftwerks in ihrer Region sind.