27.07.2024

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Folge 01-22 vom 07. Januar 2022 / Kulinarisches / Wer kennt Tollatsch? / Diese Spezialität aus Pommern wird auch heutzutage zur Schlachtezeit in einigen Fleischereien angeboten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-22 vom 07. Januar 2022

Kulinarisches
Wer kennt Tollatsch?
Diese Spezialität aus Pommern wird auch heutzutage zur Schlachtezeit in einigen Fleischereien angeboten
K.-H. Engel

Winterzeit war Schlachtezeit in den Dörfern Pommerns. Stellte sich kältere Witterung ein, wurde auf den Höfen das erste Schwein bereits Anfang Dezember geschlachtet, das zweite folgte meistens im Februar. Immer war das mit einer gewissen Feierlichkeit verbunden. Bei aller Vorfreude auf Karbonaden, Bratklopse und Apfelgriebenschmalz bedeutete das Ereignis aber mindestens drei, vier Tage lang reichlich Arbeit. Es brauchte eben seine Zeit, bis die letzten Würste im Rauch hingen. 

Zu dem, was aber alsbald in einer Schüssel auf dem Essenstisch stand, gehörte Tollatsch. Tollatsch, was soll das denn sein? So fragt man bis heute jenseits der Grenzen des Pommernlandes, denn die Spezialität ist dort unbekannt. Es handelt sich um in Fleischbrühe gegarte Klöße, die man aus Mehl, Zucker, Schmalz, Schweineblut, Lebkuchengewürz, Rosinen oder getrockneten Preiselbeeren formte. Die Zutaten variierten jedoch etwas in den verschiedenen Landstrichen. 

Die Klöße schmeckten Groß und Klein, auch wohl, weil es sie nur in der Schlachtezeit gab. Kinder bekamen sie schon gern mal mit auf die Faust, um damit gleich wieder nach draußen zu verschwinden. Stubenhockerei war damals nur bei schlechtem Wetter üblich. Auch mussten die Kinder ab und an helfen. Man rief sie während des Schlachtens zu Handreichungen. An Jungs, so sie denn schon fest auf den Beinen standen, erging zum Beispiel gleich zu Anfang die Bitte, die Seele des Schweins aufzufangen. Eine höchst verantwortungsvolle Angelegenheit, wie der Schlachter sie allen Ernstes belehrte, denn sie müssten aufpassen wie Schießhunde. Die Seelenfänger hatten die Aufgabe, wenn das betäubte Schwein am Boden lag und ausblutete, einen großen Sack gegen dessen Hinterteil zu drücken, bis die Seele eben drin war. Eigentlich einfach, doch rief der Schlachter: „Habt ihr sie?“, mussten die Jungs verblüfft feststellen, dass nichts drin war im Sack. Pfiffige Kinder durchschauten den Schabernack bald und ließen sich kein zweites Mal zum Narren halten. Doch fielen meist immer wieder jüngere darauf rein. Scheu vorm ersten Akt des Schweineschlachtens aber hatte niemand.

Hausschlachtungen sind inzwischen aus der Mode gekommen und damit auch Brauchtum und mancher „Spijök“. Tollatsch aber wird in Fleischereien zwischen der Halbinsel Darß und Randowbruch zur Schlachtezeit noch immer gern angeboten und gekauft. Auch Online ist diese Spezialität bei pommerschen Fleischereien zu bestellen.