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Folge 01-22 vom 07. Januar 2022 / Der Wochenrückblick / Die leidige Wirklichkeit / Wer sich der Realität verweigert, wer ihr aktiv entgegentritt, und wem sie einen Schock versetzt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-22 vom 07. Januar 2022

Der Wochenrückblick
Die leidige Wirklichkeit
Wer sich der Realität verweigert, wer ihr aktiv entgegentritt, und wem sie einen Schock versetzt
Erik Lommatzsch

Dafür, dass eigentlich „Böllerverbot“ verhängt worden war, zumindest was den Verkauf von Feuerwerk betraf, hat sich Deutschland vielerorts laut und leuchtstark-bunt ins neue Jahr geknallt. Inzwischen ist, ebenfalls vielerorts, eine Stimmung verbreitet, die dazu führte, dass nahezu jeder abgefeuerten Rakete Beifall gespendet wurde. Nicht etwa, weil es ein besonders gelungenes Spektakel in der dieses Mal sehr milden ersten Januarstunde gewesen wäre. 

Nein, die Pyrotechnik, deren Zünden auf eine etwas unklare Art und Weise illegal war oder empfunden wurde, stand dort als – wohlgemerkt friedliches – Symbol oppositionellen Handelns gegen die nunmehr fast zwei Jahre anhaltende Regierungspolitik mit all ihren restriktiven „Corona-Maßnahmen“.

Albern? Olaf Scholz können wir nicht fragen, der nimmt auch anderweitige, selbst argumentativ unterfütterte Kritik weniger zu Kenntnis. In der traditionellen Neujahrsansprache, mit der er am Abend des 31. Dezember erstmals das Volk – oder, je nach Sichtweise, die Bevölkerung – via Fernsehschirm beglückte, fielen unter anderen folgende bemerkenswerte Sätze: „Manche beklagen in diesen Tagen, unsere Gesellschaft sei ‚gespalten‘. Ich möchte hier mit aller Deutlichkeit sagen: Das Gegenteil ist richtig! Unser Land steht zusammen. Was ich überall wahrnehme, das ist eine riesige Solidarität, das ist überwältigende Hilfsbereitschaft, das ist ein neues Zusammenrücken und Unterhaken.“ 

Hatten wir nicht, vermittelt durch Myriaden von medizinisch-politischen Predigten, alle verinnerlicht, dass Abstand und Vereinzelung das A und O – nein, nicht das „Alpha“ und „Omega“, bloß nicht! – zur Abwehr der „Pandemie“ sind? Was denn nun? Nein, selbst als Metapher wäre die Formulierung ein tiefes Fettnäpfchen, heißt es doch, dass der eine oder andere die Freude am Auseinandertreiben nicht oder nicht mehr zu teilen vermag.

Vor allem aber dürfte sich so ziemlich jeder wache Beobachter, und zwar unabhängig davon, wie er zu den Dingen steht, bei der Kanzler-Sichtweise auf das Thema „Spaltung der Gesellschaft“ abermals die Augen gerieben beziehungsweise die Gehörgänge nachjustiert haben. Nicht nur bei diesem Teil der Verlautbarungen des neuen Regierungschefs. Besonders für die vom Sommer-Hochwasser Betroffenen, etwa an der Ahr, musste es seltsam klingen, wenn Scholz resümierte: „Nach der Flut haben wir alle zusammen angepackt. Gemeinsam haben wir geholfen, aufgeräumt und mit dem Wiederaufbau begonnen.“ Sind da wirklich alle Hausaufgaben seitens der Politik und der Behörden gut erledigt worden? Vielleicht mal vor Ort nachfragen? 

Entfernung von der Realität und eine von widerspruchsbereiten Geistern befreite Beraterumgebung – das war bisher ein Zeichen für das mitunter recht lang ausgedehnte Ende einer Kanzlerschaft. Dass Scholz schon jetzt in dieses Stadium eingetreten zu sein scheint, ist wenig verheißungsvoll. 

Bereits vor der Neujahrsansprache war der Neukanzler mit Unzugänglichkeit bezüglich ihm nicht genehmer Wirklichkeiten aufgefallen. Übrigens ein Charakterzug, der auch seiner Vorgängerin immer mehr eigen geworden war. Aber „Teflon der Erste“ hat sie hierbei schon jetzt um Längen geschlagen. 

Hauptsache höhere Zahlen

Probleme mit der Wirklichkeit hat auch der als Kabinettsmitglied ungebrochen kamera- und mikrofonaffine Karl Lauterbach. Allerdings versucht er, ihr aktiv entgegenzutreten. Die über die Zeit der Feiertage kontinuierlich sinkenden „Inzidenzzahlen“ erklärte er kurzerhand für falsch, sie seien in Wirklichkeit zwei- bis dreimal so hoch. Anstatt das bisherige Ausbleiben der prognostizierten „Omi­kron“-Katastrophe zu begrüßen, schien er enttäuscht zu sein. Es wird weiter gewarnt und vorhergesagt, in Superlativen. 

Vergessen ist, nicht nur bei Lauterbach, dass man der „Inzidenzzahl“, die allein Auskunft über positiv ausgefallene Tests gibt, die „Krankenhausinzidenz“ als Entscheidungsgrundlage zur Seite stellen oder diese sogar als maßgeblich betrachten wollte. Aber die sinkt ja trotz wieder leicht ansteigender Positiv-Tests weiter. Hat die Regierung an kleinen Zahlen aus Prinzip kein Interesse?

Dafür spräche auch, dass sich die „Ampel“ mehr Parlamentarische Staatssekretäre gönnt als jede andere Koalition seit der Institutionalisierung dieses Amtes. Waren es 1967 noch sieben, so sind es nun unter Scholz 37. 

Jeder Parlamentarische Staatssekretär schlägt in puncto Entlohnung und verfügbarem Budget jährlich mit weit über einer halben Million Euro zu Buche. Für einen praktisch weitgehend nutzlosen Posten, welcher der Belohnung und Einbindung von Parteifreunden des jeweiligen Ministers dient, die ohnehin bereits Inhaber von Bundestagsmandaten sind, eine stolze Summe auf der Rechnung des Steuerzahlers.

Mit höheren Zahlen hat es auch der neue Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. Lebensmittel seien zu billig, der Preis müsse „die ökologische Wahrheit stärker ausdrücken“. Er wolle „ein sicheres und gutes Einkommen für unsere Bauern, gesundes Essen für uns alle sowie mehr Tierwohl, Klima- und Umweltschutz“. Die Deutschen ernährten sich zu ungesund, so der Grünen-Minister. Keine Werbung für Süßkram und vor allem „keine Ramschpreise für Lebensmittel“ mehr! 

Ob es in Özdemirs Umgebung jemand über sich bringt, etwa eine seiner beiden Parlamentarischen Staatssekretärinnen, die neben der eigentlichen Staatssekretärin „Dienst“ tun, ihm wenigstens zu erklären, dass nicht jeder, der Lebensmittel zu „Ramschpreisen“ erwirbt, dies tut, weil ihm Bauern und Ökologie schnuppe sind, sondern möglicherweise, weil sich sein Nettolohn von dem eines Bundespolitikers leicht unterscheidet? Ein solcher Hinweis würde auch der Entfernung eines weiteren Ministers vom realen Leben entgegenwirken.

Einen diesbezüglichen Schock musste der Wirtschafts- und Klimaschutzminister, ebenfalls Grüner, ebenfalls frisch ernannt, erleiden. Sechs Atomkraftwerke taten in Deutschland bis zum Silvesterabend noch ihren Dienst, am Neujahrsmorgen waren es nur noch drei. In einem Jahr sollen auch diese abgeschaltet werden. Und nun sagt die EU-Kommission plötzlich „Atomkraft – ja bitte“? Von dort heißt es, es müsse anerkannt werden, dass „der fossile Gas- und der Kernenergiesektor zur Dekarbonisierung der Wirtschaft der Union beitragen können“. Habeck kann den damit verbundenen Klimaschutzgedanken nicht nachvollziehen, die Einstufung der „Hochrisikotechnologie“ als nachhaltig bezeichnet er kurzerhand als „falsch“. Zustimmung dafür gebe es nicht.

Passiert in der abgewählten CDU auch etwas? Aber ja. Auch hier Empörung, allerdings über ein Mitglied. Hans-Georg Maaßen hatte erklärt, einige Politiker wollten die „Corona-Pandemie“ als Vorwand nutzen, den Staat umzugestalten, „mit weniger Freiheiten, mit mehr Autorität“ und wo man den Menschen vorschreiben könne, „wie sie zu leben haben“. Man fragt sich, wie er auf so etwas kommt. Ebenfalls Realitätsverlust?