26.04.2024

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Folge 02-22 vom 14. Januar 2022 / Memorial / Russland verbietet Erinnerungskultur / Vorwurf des Verstoßes gegen das Gesetz „Ausländischer Agent“ – Stalin darf nicht mehr kritisiert werden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-22 vom 14. Januar 2022

Memorial
Russland verbietet Erinnerungskultur
Vorwurf des Verstoßes gegen das Gesetz „Ausländischer Agent“ – Stalin darf nicht mehr kritisiert werden
Bodo Bost

Die älteste Menschenrechtsorganisation Russlands, Memorial, die von Andrej Sacharow mitgegründet worden war, wurde vom Obersten Gericht des Landes wegen Verstoßes gegen das Vereinsrecht verboten. Mit diesem Urteil droht Russland wieder in die Zeit der Sowjetunion zurückzufallen.

Seit Jahren geht der russische Staat massiv gegen andersdenkende und nicht-regierungstreue Medien sowie Oppositionelle vor. Die Liste der kritischen Geister, die gewaltsam ums Leben kamen oder per Gerichtsurteil verboten wurden, wird immer länger. „Memorial“ ist die stärkste und angesehenste Organisation in Russland, die sich für politische Gefangene einsetzt. Zugleich arbeitet die in der Glasnostzeit unter Michail Gorbatschow gegründete Organisation auch Menschenrechtsverbrechen aus der Sowjetzeit auf und hat dazu eine nach deutschem Muster funktionierende Erinnerungsarbeit entwickelt. Beides gefällt dem heutigen russischen Staat und seinen Machthabern nicht.

Unter Wladimir Putin hat sich eine neue Geschichtskonstruktion durchgesetzt, in der sich der ehemalige KGB- Mann und heutige Präsident selbst zum „obersten Historiker“ des Landes emporschwingt. Er möchte dem nach 1991 fast zerfallenem Land mit einer neuen Geschichtsideologie neuen Glanz und Nationalstolz verleihen, da passen die Verbrechen der Sowjetunion unter Lenin und Stalin nicht dazu. 

Ruhmreiche Sowjetunion

Während in einigen Nachfolgestaaten der UDSSR, wie der Ukraine, alles Sowjetische sogar im Namen getilgt wird, erlebt die Sowjetunion in Russland eine Renaissance. Putin erinnert an die „ruhmreiche Sowjetunion“, die Erinnerung an diese soll dazu dienen, den russischen Nationalstolz zu heben – immerhin hatte die Sowjetunion Deutschland besiegt. Dass beim Sieg über Deutschland die USA und Großbritannien einen wesentlichen Anteil hatten, wird verschwiegen. Dass vorher bereits Millionen Sowjetbürger Opfer der eigenen sowjetischen Regierung geworden waren, wie es Memorial dokumentiert, soll auch dem Nationalstolz zuliebe offenbar unter den Teppich gekehrt werden.  

Memorial hatte diesen Opfern wieder ein Gesicht gegeben. Die Erinnerung an diese Opfer der Repressionen war eine große Errungenschaft der Wende von 1989/90, aber heute dürfen die Täter und das System, dem sie dienten, nicht mehr angeprangert werden. Genauso wenig wie die Täter von heute, die Andersdenkende ermorden. Auch darauf weist Memorial hin. 

Schon seit Jahren hat die russische Justiz Memorial im Visier, seit 2015 gilt ein neues Vereinsgesetz, das Empfänger von Zahlungen aus dem Ausland verpflichtet, sich als „ausländischer Agent“  zu bezeichnen. Gegen dieses Gesetz soll laut dem Gericht Memorial mehrmals verstoßen haben. Nach dem Gesetz „Ausländischer Agent“ hätte die Organisation Memorial, die seit 2016 als „ausländischer Agent“ gilt, jede Veröffentlichung kennzeichnen müssen. Das lehnte Memorial jedoch ab.

Sogar der 91-jährige letzte sowjetische Präsident, Michail Gorbatschow, hatte sich wegen des Prozesses aus seinem Politikruhestand zurückgemeldet und die Einstellung des Verfahrens verlangt.

Der Prozess gegen die russische Menschenrechtsorganisation hat international große Beachtung gefunden. Russische Staatsmedien verschwiegen jedoch den Prozess, zu populär sind die Aktivisten von Memorial in weiten Kreisen der russischen Gesellschaft, immerhin hatte die Repression Stalins auch die kommunistische Elite des Landes zu großen Teilen vernichtet. Dass die Organisation jetzt verboten wurde, dürfte für viele ihrer Mitglieder einem Ritterschlag gleichkommen, denn es ist der Beweis, dass die Gesellschaft mit ihrer Erinnerungsarbeit richtig lag und dass die russische Führung dieser Erinnerungsarbeit durchaus zutraut, jenen Wandel einzuleiten, den Putin unbedingt verhindern will.

   Denn die russische Justiz stört sich vor allem daran, dass Memorial eine Liste mit mehr als 300 aktuellen politischen Gefangenen führt, darunter auch Alexej Nawalnyj. Die Angst, die unter Stalin alle Bereiche des Lebens dominierte und nur unter Gorbatschow und Boris Jelzin für 15 Jahre verschwand, sitzt heute wieder tief in den Menschen Russlands. Mit dem Verbot von Memorial hat der Massenmörder Stalin einen  neuen Sieg errungen. Dessen Terrorherrschaft von 1927 bis 1953 fielen nach Schätzung sowjetischer Forscher etwa 20 Millionen Sowjetbürger zum Opfer. An die Opfer, die es in fast jeder russischen Familie gab, darf ab jetzt nicht mehr öffentlich erinnert werden.