26.04.2024

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Folge 02-22 vom 14. Januar 2022 / Hintergrund / Chaos in Kasachstan

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-22 vom 14. Januar 2022

Hintergrund
Chaos in Kasachstan
Bodo Bost

Die massiven Bürgerproteste, die in Kasachstan zu Neujahr begannen und binnen weniger Tage zum Rücktritt der gesamten Regierung und zum Sturz zahlreicher Denkmäler des Langzeitherrschers Nursultan Nasarbajew führten, kamen wahrscheinlich auch für Russlands Präsidenten Putin und seine Geheimdienste überraschend. Nachdem die Demonstranten die Standbilder von Nasarbajew in verschiedenen Städten gestürzt hatten, zündeten sie Regierungsgebäude an und besetzten den Flughafen von Almaty. Etwa 150 Demonstranten und 20 Sicherheitskräfte sollen getötet worden sein. Bislang hatte das zentralasiatische Land als das stabilste aus der Erbmasse der UdSSR gegolten.

Begonnen hatten die Proteste in der Stadt Schangaösen, der Öl- und Gasstadt im Westen Kasachstans. Hier war der Protest gegen die Verdoppelung des Preises für Flüssiggas (LPG), das die meisten Kasachen als Kraftstoff für ihre Autos verwenden, besonders stark. In den folgenden Tagen weiteten sich die Demonstrationen auf andere kasachische Städte aus. Obwohl die Regierung sofort ankündigte, die Kraftstoffpreise wieder zu senken, und Präsident Tokajew sein Kabinett entließ, gingen die Proteste weiter. Der Ruf „Shal ket!“ („Alte Männer müssen weg!“) wurden von Demonstranten in ganz Kasachstan skandiert. Sie meinten Nursultan Nasarbajew, den letzten kommunistischen Parteichef des Landes, der 1991 sein Land in die Unabhängigkeit geführt und es zu seinem Familienbetrieb umfunktioniert hatte. Dieser ist zwar 2019 als Präsident zurückgetreten und durch seinen damaligen Verbündeten Tokajew ersetzt worden. Doch behielt Nasarbajew den Vorsitz des Sicherheitsrats. Nun scheint dies Tokajew nicht mehr gereicht zu haben. 

Ende einer Erfolgsgeschichte

Seit seiner Unabhängigkeit war Kasachstan, anders als etwa Weißrussland, eine der wenigen Erfolgsgeschichten der postsowjetischen Transformation. Reich an Öl, Gas, Kupfer, Kohle und Uran war das Land in der Lage, auch ohne seinen ehemaligen sowjetischen Schutzherrn zu florieren. In den 1990er Jahren ließ Nasarbajew die Entwicklung privater Unternehmen zu, während er seine politische Kontrolle ausbaute und das Parlament dominierte. Nach der Öl- und Gasindustrie übernahm der Nasarbajew-Clan auch das Baugewerbe, das Bankwesen, die Telekommunikation und den Einzelhandel. 

In den letzten Jahren hat die Regierung damit begonnen, die individuellen Freiheiten und Bürgerrechte zu beschneiden. Journalisten und politische Gegner wurden zum Schweigen gebracht oder gar inhaftiert. Bei den Wahlen 2018 entpuppte sich die einzige zugelassene Oppositionspartei als vom Regime gekauft. Deshalb gibt es jetzt auch keine organisierte Bewegung hinter den Protesten.

Der schnelle Ruf nach ausländischen, hauptsächlich russischen Soldaten, durch Präsident Tokajew lässt darauf schließen, dass der Präsident seinen eigenen Sicherheitskräften nicht mehr traut und dass die Demonstranten über Rückhalt in den Sicherheitsorganen verfügen. Auch die Verhaftung des stellvertretenden Geheimdienstchefs lässt darauf schließen, dass eigentlich Nasarbajew ausgeschaltet werden soll. Wie Lukaschenko in Minsk spricht Tokajew jedoch von Terroristen und ausländischen Verschwörern im Zusammenhang mit den Demonstranten. Aber wie in Weißrussland glauben die Demonstranten in Kasachstan nicht mehr, dass ihr Präsident das Problem noch lösen kann, denn er ist Teil des Problems. 

Putin wird sich seine Hilfe jedenfalls teuer bezahlen lassen, wie zuletzt in Weißrussland und in Armenien. Im Norden Kasachstans leben noch viele Russen, auch der russische Weltraumbahnhof Baikonur liegt dort. Grund genug also, sich hier ähnlich einzubringen wie seit 2014 im Osten der Ukraine.