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Folge 02-22 vom 14. Januar 2022 / Literatur / Das Lachen ist ein scharfes Schwert / Im Humor vereint: Molière und Grimmelshausen, die beide vor 400 Jahren geboren wurden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-22 vom 14. Januar 2022

Literatur
Das Lachen ist ein scharfes Schwert
Im Humor vereint: Molière und Grimmelshausen, die beide vor 400 Jahren geboren wurden
Harald Tews

Die großen europäischen Kulturnationen waren in den zurückliegenden Jahren im Jubiläumsrausch. Anlässlich runder Jahrestage hatten England, Spanien, Deutschland und Italien voller Stolz wegweisende Geistesgrößen auf den Schild gehoben und riefen 2016 das Shakespeare- und Cervantesjahr, 2017 das Lutherjahr oder zuletzt 2021 das Dantejahr aus.

Fehlte bloß noch Frankreich. Aber das hat sich mit dem 400. Geburtstag des Dramatikers Molière jetzt erledigt. Gefeiert wird ab 15. Januar, dem Tag seiner Taufe. In seiner Heimat genießt der Autor einen ähnlichen Kultstatus wie Shakespeare in Großbritannien: Beide sind identitätsstiftende Bindeglieder ihrer Nation. Und neben den Stücken von Shakespeare zählen Molières Komödien wie „Der Menschenfeind“, „Der Geizige“ oder „Der eingebildete Kranke“ zu den ältesten Klassikern, die sich noch in den Repertoires heutiger Theater halten – von denen antiker Dramatiker wie Aristophanes mal abgesehen.

Doch anders als sein Kollege von der britischen Insel, der auch Tragödien und Historienstücke verfasst hat, hinterließ Molière ausschließlich Komödien. Weil er über viel Humor verfügte? Nicht nur. Das Lachen kann auch ein scharfes Schwert sein, das tief in soziale Missstände sticht. Eines seiner bekanntesten Stücke, „Tartuffe“, traf so präzise die Scheinheiligkeit der französischen Hofgesellschaft, dass es nach der Premiere auf Schloss Versailles verboten wurde, obwohl Ludwig XIV. Gefallen daran fand. 

Molière zählte neben den Dramatikerkollegen Corneille und Racine, den Musikerfreunden Lully, Charpentier und Couperin sowie den Dichtern Boileau und La Fontaine zu den Künstlern, die der Sonnenkönig am Hof protegierte, weshalb man in Frankreich das 17. Jahrhundert auch als das Grand Siècle, das Große Jahrhundert, bezeichnet. Nach strapaziösen Wanderjahren mit einer Schauspieltruppe traf der aus einer Pariser Händlerfamilie stammende Molière als Hoftheaterdirektor, dessen Ensemble den Titel „Königliche Theatergruppe“ führen durfte und in dessen Stücken Ludwig XIV. höchstpersönlich in den Balletteinlagen mitwirkte, auch finanziell ideale Bedingungen an. Er nutzte sie, um mit Typensatiren die Hofgesellschaft aufs Korn zu nehmen. 

Anders als die Tragödie war die Komödie in der Französischen Klassik, wie die barocke Stilepoche Ludwigs XIV. genannt wird, nicht hoch angesehen. Molière schaffte den Umschwung. Aus seiner Theatergruppe erwuchs 1680 die Comédie-Française, die heute als eine von sechs Bühnen den Rang eines Nationaltheaters mit nationalem Kulturauftrag besitzt. Zu Molières Geburtstag stellt das Haus an der Pariser Place Colette alljährlich in einem Glaskasten vor dem Eingang jenen Stuhl aus, von dem aus Molière beim „Eingebildeten Kranken“ Regie führte.

1673 starb Molière in Paris. Und nur drei Jahre später starb im deutschen Renchen unweit der heutigen französischen Grenze nahe des Rheins ein gleichaltriges deutsches Schriftstellergenie, das mit Molière viel gemeinsam hatte: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, der Autor des barocken „Abenteuerlichen Simplicissimus Teutsch“. Auch er wurde vor 400 Jahren geboren. Da man aber weder sein genaues Geburts- noch Taufdatum weiß, fallen die Feiern viel geringer aus. Dabei fand auch er einen Weg, eine blutige Hölle, die des Dreißigjährigen Krieges, die er als Kind und als Soldat miterlebt hatte, auf satirische Weise literarisch zu verarbeiten. Das Lachen aus Verzweiflung – sowohl Grimmelshausen als auch Mo­lière haben es in schwierigen Zeiten perfekt beherrscht.

Molière-Ausstellung im Espace Richaud von Versailles (15. Januar bis 17. April) und viele weitere Jubiläumsveranstaltungen: www.moliere2022.org