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Folge 03-22 vom 21. Januar 2022 / Sicherheitspolitik / Ein gefährliches Spiel am Rande des Abgrunds / Anstatt im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland zu deeskalieren, ergehen sich die Regierungen in Ost und West in gegenseitigen Drohungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-22 vom 21. Januar 2022

Sicherheitspolitik
Ein gefährliches Spiel am Rande des Abgrunds
Anstatt im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland zu deeskalieren, ergehen sich die Regierungen in Ost und West in gegenseitigen Drohungen
René Nehring

Droht ein neuer Krieg im Osten Europas? Vor wenigen Tagen sprach NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg von umfangreichen russischen Truppenbewegungen im Grenzgebiet zur Ukraine. Und die „New York Times“ berichtete von der Zusammenziehung von über 100.000 russischen Soldaten im Grenzgebiet sowie von regelmäßigen „Aufklärungsflügen“ der US-Air Force entlang der Grenze zu Russland. 

Damit erreicht der seit 2014 schwelende, mal kalte, mal etwas heißere Konflikt zwischen der Ukraine und Russland einen neuen Höhepunkt. Seit der damaligen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland und der Aktivierung prorussischer Aufstände im Osten der Ukraine ist auch das Verhältnis von Europäischer Union und NATO zu Russland nachhaltig beschädigt. Neben Sanktionen gegen russische Firmen und hohe Repräsentanten des politischen Systems reagierten die westlichen Bündnisse auf das Verhalten Moskaus mit dem Einfrieren zahlreicher gegenseitiger Beziehungen. 

Acht Jahre kalter Krieg, beziehungsweise heißer Frieden haben ihre Spuren hinterlassen. Allerorten herrscht Misstrauen, schon kleinste Manöver beziehungsweise Verschiebungen von Truppen beschwören die Gefahr eines großen militärischen Konflikts herauf. Die jüngste Eskalation begann mit der Aussage des US-Präsidenten Joe Biden im Dezember 2021, dass seine Geheimdienste Erkenntnisse über Pläne für eine russische Invasion in die Ukraine hätten. Seitdem warnten zahlreiche westliche Regierungen und die EU-Kommission Russland vor einem militärischen Vorgehen und drohten für den Fall eines Einmarsches weitere Sanktionen an. Russland wiederum forderte die NATO auf, die 2008 für die Ukraine und Georgien eröffneten Beitrittsperspektiven zu widerrufen und jegliche Militärübungen in der Nähe seiner Grenzen zu unterlassen. 

Aufprall in der Realpolitik

Für die neue deutsche Regierung bedeutet der Konflikt die erste große sicherheitspolitische Herausforderung – und den harten Aufprall in der Realpolitik. Die bisherige Bundeskanzlerin Angela Merkel war in den vergangenen Jahren die Einzige, die trotz großer Meinungsunterschiede sowohl in Moskau als auch in Washington und in Kiew gehört wurde. Ansonsten haben die meisten deutschen Politiker – darunter die neue Außenministerin Annalena Baerbock – bei nahezu jedem Konflikt mit Moskau geradezu reflexhaft den Stopp der Ostseepipeline NordStream 2 gefordert. Diesem Ansinnen freilich hat Bundeskanzler Scholz mit der Aussage, dass es sich bei dem Projekt um eine privatwirtschaftliche Angelegenheit handele, eine Absage erteilt. 

Was fehlt ist eine Perspektive, die den legitimen Interessen aller Beteiligten Rechnung trägt. Russland wird akzeptieren müssen, dass der Kreml keinem Land untersagen kann, Mitglied der NATO zu werden, und dass jedes Agieren gegen einen Beitrittskandidaten andere Staaten noch näher an die NATO rückt. Der Westen wird im Gegenzug akzeptieren müssen, dass es klüger ist, die bestehenden Bündnisse nicht zu erweitern, um die Russen nicht zu provozieren – und stattdessen nach anderen Wegen zu suchen. 

Ein denkbarer Ausweg wäre eine Rückbesinnung auf die OSZE, in der alle Konfliktparteien gleichberechtigte Mitglieder sind. Und ein erster möglicher Schritt zum langen Wiederaufbau von Vertrauen wäre die Reaktivierung von Formaten wie dem NATO-Russland-Rat, der einst geschaffen worden war, um im Falle eines Konfliktes wenigstens auf der Fachebene einen Gesprächskanal zu haben – und dann seit 2014 weitestgehend auf Eis lag. 

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren hat gezeigt, in welche Katastrophe Europa und die Welt gleiten können, weil die Regierungen das gegenseitige Misstrauen nicht aus der Welt schaffen konnten. Dies sollte Warnung genug sein, das allseitige Geraune und Androhen von Sanktionen zu unterlassen – und stattdessen alle Bemühungen darauf zu richten, einen Konflikt, der niemandem nützt, endlich zu beenden.