08.05.2024

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Folge 03-22 vom 21. Januar 2022 / Gesundheitspolitik / Doppelter Impfsalto rückwärts / Die Politik zögert die Impfpflicht hinaus – Sollte sie kommen, könnte sie ein Behördenchaos offenlegen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-22 vom 21. Januar 2022

Gesundheitspolitik
Doppelter Impfsalto rückwärts
Die Politik zögert die Impfpflicht hinaus – Sollte sie kommen, könnte sie ein Behördenchaos offenlegen
Hermann Müller

Politiker, die nach dem Wahltag Versprechen wieder einkassieren und frühere Aussagen relativieren, stellen für deutsche Wähler eigentlich keine Überraschung mehr dar. Beim Thema Impfpflicht agieren Bundeskanzler Olaf Scholz und sein Gesundheitsminister Karl Lauterbach nun aber sogar auf solch eine Weise, dass sich nicht nur Kritiker der Impfungen, sondern auch gleich noch die Befürworter verschaukelt fühlen können. Damit riskieren die beiden SPD-Politiker, dass der Glaubwürdigkeitsverlust von Politik eine völlig neue Dimension erreicht.

Eigentlich unmissverständlich hatte Lauterbach unter anderem im Mai 2020 über Twitter begründet, warum „eine Impfpflicht bei SARS-CoV-2 so wenig Sinn“ macht wie bei einer Grippe. Unter Missachtung der Komma- und Rechtschreibregeln twitterte er: „Wenn die Impfung gut wirkt wird sie auch freiwillig gemacht. Dann keine Impflicht nötig. Wenn sie viele Nebenwirkungen hat oder nicht so gut wirkt verbietet sich Impflicht. Daher nie sinnvoll.“ 

Lauterbachs „nie“ hatte offenbar eine gänzlich andere Bedeutung, als dies sonst im Deutschen üblich ist. Inzwischen zum Bundesgesundheitsminister aufgestiegen, vertritt er nämlich nun die Ansicht: „Eine vollständige Impfung besteht aus drei Dosen. Vollständig Geimpfte sind gegen alle Corona-Varianten – zumindest vor schwerer Krankheit und Tod – geschützt. Daran muss sich die Impfpflicht orientieren“.

Rhetorisch etwas geschickter hat sich Olaf Scholz angestellt. Noch als Kanzlerkandidat hatte Scholz am 7. September 2021 im Bundestag erklärt, seiner Meinung nach solle man die Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht nicht führen. Bei seinem ersten Auftritt als Kanzler hieß es in der Fragestunde im Bundestag nun vor Kurzem zur Impfpflicht: „Ich halte sie für notwendig und werde mich aktiv dafür einsetzen.“ 

Zumindest die Wähler, die einer allgemeinen Corona-Impfpflicht skeptisch gegenüberstehen, dürften sich damit getäuscht sehen. Scholz und Lauterbach bringen es nun allerdings auch noch fertig, ihr Umschwenken so halbherzig erscheinen zu lassen, dass auch bei den Befürwortern einer Impfpflicht Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit aufkommen können. Beide scheuen sich offenbar davor, die Impfpflicht nun als Chefsache in die eigene Hand zu nehmen. Beide wollen keinen eigenen Gesetzesentwurf vorlegen. 

Der Bundeskanzler setzt bei der Einführung einer Impfpflicht auf eine „offene Debatte“ der Bundestagsabgeordneten. Dies trage zur „Befriedung der politischen Diskussion“ bei und sei ein Beispiel für eine „demokratische Leadership“, so Scholz.

Der ebenfalls zum Impfpflichtbefürworter mutierte Lauterbach erklärte, dem Parlament einen eigenen Entwurf zu präsentieren, wäre „keine so kluge Idee“. „Ich habe mich entschieden, keinen eigenen Antrag zu präsentieren, sondern da neutral zu sein“; verkündete er.

Sowohl die „demokratische Leadership“ von Scholz als auch Lauterbachs Neutralitätsanspruch können als vorausschauende Distanzierungsversuche gedeutet werden. Schon jetzt ist die Einführung einer gesetzlichen Impfpflicht noch bis zum März nicht völlig auszuschließen, allerdings auch eine sehr unwahrscheinliche Variante.

Der Sitzungsplan des Bundestags sieht für Ende Januar lediglich noch eine „Orientierungsdebatte“ vor. Der Februar ist wegen der sogenannten Karnevalspause weitgehend ohne Sitzungstermine. Die Erfahrungen aus Südafrika und Großbritannien deuten wiederum darauf hin, dass die Omikron-Variante des Coronavirus auch in Deutschland relativ zügig das Ende der Corona-Pandemie bringen kann.

Möglicherweise haben Scholz und Lauterbach aber auch die aktuelle Entwicklung in Österreich zur Kenntnis genommen. Dort sind zum Entwurf eines Impfpflichtgesetzes über 106.000 Stellungnahmen von Bürgern, Wissenschaftlern, Juristen und Organisationen eingegangen. Deutlich wurde dabei, dass Länder und Justiz in Österreich durch eine Impfpflicht einen massiven personellen Aufwand erwarten, den die Regierung in Wien offenbar unterschätzt oder nicht wahrhaben will. Der Dachverband der Verwaltungsrichter geht beispielsweise davon aus, dass das Personal im Falle einer Impfpflicht mindestens verdoppelt werden müsste. Länder wie Tirol, die Steiermark, aber auch die Stadt Wien rechnen zudem mit einem massiven Verwaltungsaufwand.