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Folge 03-22 vom 21. Januar 2022 / Deutsch-Tschechische Erklärung / „Es dauerte fast zwei Jahre, bis wir uns auf einen Text einigen konnten“ / Vor 25 Jahren unterzeichneten Václav Klaus und Helmut Kohl mit ihren Außenministern Josef Zieleniec und Klaus Kinkel das bilaterale Dokument in der tschechischen Hauptstadt Prag

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-22 vom 21. Januar 2022

Deutsch-Tschechische Erklärung
„Es dauerte fast zwei Jahre, bis wir uns auf einen Text einigen konnten“
Vor 25 Jahren unterzeichneten Václav Klaus und Helmut Kohl mit ihren Außenministern Josef Zieleniec und Klaus Kinkel das bilaterale Dokument in der tschechischen Hauptstadt Prag
Lydia Conrad

Es dauerte fast zwei Jahre, bis wir uns auf einen Text einigen konnten. Wir, also Helmut Kohl und ich, haben damals die Sache in die eigenen Hände nehmen müssen. Denn die Außenministerien waren nicht imstande, Formulierungen zu vereinbaren, die einen realistischen Blick auf die Geschichte ausgedrückt hätten.“ Václav Klaus’ Worte beziehen sich auf den Entstehungsprozess der Deutsch-Tschechischen Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung, die er am 21. Januar 1997 als damaliger Ministerpräsident der  Tschechei mit seinem Außenminister Josef Zieleniec sowie dem Bundeskanzler Helmut Kohl und dem Bundesaußenminister Klaus Kinkel von der deutschen Seite in Prag unterzeichnete. 

In den Punkten II und III dieser bilateralen Erklärung drücken beide Seiten ihr Bedauern über das Leid der jeweils anderen Seite aus. Punkt II lautet: „Die deutsche Seite bekennt sich zur Verantwortung Deutschlands für seine Rolle in einer historischen Entwicklung, die zum Münchner Abkommen von 1938, der Flucht und Vertreibung von Menschen aus dem tschechoslowakischen Grenzgebiet sowie zur Zerschlagung und Besetzung der Tschechoslowakischen Republik geführt hat. Sie bedauert das Leid und das Unrecht, das dem tschechischen Volk durch die nationalsozialistischen Verbrechen von Deutschen angetan worden ist. Die deutsche Seite würdigt die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft und diejenigen, die dieser Gewaltherrschaft Widerstand geleistet haben. Die deutsche Seite ist sich auch bewußt, daß die nationalsozialistische Gewaltpolitik gegenüber dem tschechischen Volk dazu beigetragen hat, den Boden für Flucht, Vertreibung und zwangsweise Aussiedlung nach Kriegsende zu bereiten.“

Bekenntnis zur EU-Osterweiterung

Punkt III lautet: „Die tschechische Seite bedauert, daß durch die nach dem Kriegsende erfolgte Vertreibung sowie zwangsweise Aussiedlung der Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei, die Enteignung und Ausbürgerung unschuldigen Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt wurde, und dies auch angesichts des kollektiven Charakters der Schuldzuweisung. Sie bedauert insbesondere die Exzesse, die im Widerspruch zu elementaren humanitären Grundsätzen und auch den damals geltenden rechtlichen Normen gestanden haben, und bedauert darüber hinaus, daß es aufgrund des Gesetzes Nr. 115 vom 8. Mai 1946 ermöglicht wurde, diese Exzesse als nicht widerrechtlich anzusehen, und daß infolge dessen diese Taten nicht bestraft wurden.“

Damit wird der übliche politisch korrekte Zusammenhang suggeriert, dass Flucht und Vertreibung eine Folge nationalsozialistischer Gewaltpolitik gewesen seien. Dass es eine Diskriminierung der Deutschen in der Tschechoslowakei und tschechische Pläne zur Vertreibung der Deutschen bereits vor der nationalsozialistischen Gewaltpolitik gegeben hat, bleibt unerwähnt. Dass die tschechische Seite nicht die Vertreibung und Enteignung bedauert, sondern dass dadurch unschuldigen Menschen zugefügte Leid und Unrecht, ist ebenso bemerkenswert wie, dass sie es nicht etwa bedauert, dass Vertreibung und Enteignung straffrei geblieben sind, sondern dass sich dieses Bedauern nur auf die „Exzesse“ bezieht.

Ganz im Sinne der Tschechei, die damals in die EU drängte und dabei von Deutschlands Zustimmung abhing, war auch, dass im Punkt VI beide Seiten ihre Überzeugung bekundeten, „daß der Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union und die Freizügigkeit in diesem Raum das Zusammenleben von Deutschen und Tschechen weiter erleichtern wird“. Von einem Junktim zwischen einer Außerkraftsetzung der Benesch-Dekrete und einer deutschen Zustimmung zu einem tschechischen EU-Beitritt ist keine Rede. 

Vielmehr heißt es in Punkt IV, beide Seiten seien entschlossen, „in der Gestaltung ihrer Beziehungen weiterhin der Verständigung und dem gegenseitigen Einvernehmen Vorrang einzuräumen, wobei jede Seite ihrer Rechtsordnung verpflichtet bleibt und respektiert, daß die andere Seite eine andere Rechtsauffassung hat. Beide Seiten erklären deshalb, daß sie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden“. So blieb die Entschädigungsfrage erneut ungelöst.

Der Bundestag ratifizierte die Übereinkunft am 30. Januar 1997, nachdem Kohl die Abgeordneten beschworen hatte: „Die Erklärung soll uns dabei helfen, den Teufelskreis gegenseitiger Aufrechnung und Schuldzuweisung zu durchbrechen.“ Immerhin gab es 20 Gegenstimmen in der CDU/CSU-Fraktion. 23 Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion und der PDS enthielten sich.

Bilateraler Zukunftsfonds

Auch im Prager Parlament fand das Papier nicht nur Befürworter. Dort äußerten insbesondere die Kommunisten und die rechtsextremen Republikaner (SPR-RSČ) Vorbehalte. Trotz allem meinten sie, Ansatzpunktpunkte für Revisions- und Entschädigungsforderungen der deutschen Seite zu sehen. Nach langer kontroverser Debatte beschloss jedoch auch das tschechische Parlament am Abend des 14. Februar 1997 die Annahme der Erklärung. Das Stimmenverhältnis fiel 131 zu 59 aus.

Sudentendeutsche gingen leer aus

Die 59 Gegenstimmen sind umso erstaunlicher, als in Punkt VIII der Erklärung die Errichtung eines deutsch-tschechischen Zukunftsfonds angekündigt wird, dessen Ziel es ist, Geld aus Deutschland in die Tschechei zu transferieren, lautet der zweite und letzte Absatz des Punktes VII doch: „Dieser gemeinsame Fonds wird der Finanzierung von Projekten gemeinsamen Interesses dienen … Die deutsche Seite bekennt sich zu ihrer Verpflichtung und Verantwortung gegenüber all jenen, die Opfer nationalsozialistischer Gewalt geworden sind. Daher sollen die hierfür in Frage kommenden Projekte insbesondere Opfern nationalsozialistischer Gewalt zugute kommen.“

Von 1998 bis 2007 flossen Gelder in Höhe von umgerechnet 46 Millionen Euro, die einen Großteil des Stiftungsvermögens ausmachten. Darüber hinaus agierte der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds als Partnerorganisation der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft (EVZ). Die war zu dem Zweck geschaffen worden, Ausländer zu entschädigen, die zugunsten des Dritten Reiches Zwangsarbeit verrichten mussten. Eine spezielle Arbeitsstelle des Zukunftsfonds koordinierte die Auszahlung von fast 217 Millionen Euro an tschechische Antragsteller.

Dahingegen gingen die Sudetendeutschen in den vergangenen 25 Jahren leer aus. Das lag abgesehen von der Erklärung auch daran, dass Tschechien eine Ausnahmeregelung im EU-Grundlagenvertrag von Lissabon hinsichtlich der Geltung der Grundrechtecharta durchsetzte, um auch künftig Regressansprüche der Vertriebenen abwehren zu können.

Obwohl Tschechien von der Deutsch-Tschechischen Erklärung also deutlich mehr profitierte als die Bundesrepublik, hegt oder zumindest hegte man in Prag weiterhin Vorbehalte. So äußerte der Mitunterzeichner Klaus 2017: „Deutschland ist ein dominantes Land. Es hat nun die Rolle, die es in den beiden Weltkriegen vergeblich erreichen wollte. Ein kleines Land in seiner Nachbarschaft muss vorsichtig sein in seinem Verhältnis zum Riesen nebenan.“