20.04.2024

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Folge 04-22 vom 28. Januar 2022 / Wladimir Putin / Rückgriff auf Bewährtes / Hubert Seipel begleitete den Kremlherren mehrere Monate und liefert kenntnisreiche Einsichten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-22 vom 28. Januar 2022

Wladimir Putin
Rückgriff auf Bewährtes
Hubert Seipel begleitete den Kremlherren mehrere Monate und liefert kenntnisreiche Einsichten
M. Rosenthal-Kappi

Hubert Seipel ist einer der wenigen ausländischen Journalisten, denen es gelungen ist, nah an Wladimir Putin heranzukommen. Es zeugt von einem großen Vertrauensbeweis, dass der deutsche Journalist, der unter anderem für den „Spiegel“ tätig war, den Kremlherren über Monate begleiten durfte, um fürs deutsche  Fernsehen die Dokumentation „Ich Putin – ein Porträt“ anlässlich der Präsidentenwahl 2012 zu drehen. Seipel erhielt so Einblicke, die anderen verwehrt bleiben, und darf sich zu Recht als Putin-Kenner bezeichnen.

In seinem Buch „Putins Macht. Warum Europa Russland braucht“ beschreibt Seipel, wie sich die globalen Machtverhältnisse in den letzten Jahren verändert haben und Europa zunehmend in ein gefährliches Spannungsverhältnis zwischen den USA, China und Russland gerät. Die täglichen Warnungen vor einer drohenden Kriegsgefahr in der Ukraine zeugen von der Aktualität des Buches. 

Als Hauptursache für die gestörten Beziehungen sieht der Autor stereotype Vorurteile über Russland sowie generell ein Gefühl der Überlegenheit des Westens gegenüber den ehemaligen Ostblockländern. Diese Haltung schüre tiefes Misstrauen.  Vieles, was Berlin oder Brüssel dem Rest Europas als Rezept verschreibe, werde dort als Diktat verstanden und führe dazu, dass diese sich auf ihre nationale Identität zurückbesinnen. Seipel zeigt die Gräben auf, die diese rücksichtslose Politik geschaffen hat, und welche Schwierigkeiten bestehen, diese zu überwinden. 

Hauptverursacher von geopolitischen Spannungen sind die USA, deren Einfluss als Hüter der Weltordnung allmählich schwindet. Dennoch glaube fast jeder Amerikaner unerschütterlich daran, etwas Besonderes zu sein.  In der Realität machen seit Jahren China und Russland den USA ihre Rolle als Weltordnungsmacht streitig. Längst verfolgen die beiden eigene Interessen und haben sich auf ein strategisches Bündnis geeinigt.

Die USA beabsichtigen, die europäische Verständigung mit Russland zu torpedieren. Ein Beispiel ist Nord Stream 2. Die Sanktionen gegen das Wirtschaftsprojekt dienen in erster Linie der Umsetzung der „America First“-Linie, die Ex-Präsident Donald Trump sich auf die Fahne geschrieben hatte. Weltpolitisch verschleiert als Sorge um die Energiesicherheit der europäischen Partner werde sie von der Biden-Regierung fortgesetzt. Ziel sei es allerdings, US-Firmen zu neuen Absatzmärkten in Europa zu verhelfen. 

Seipel geht auch auf die Krisen in Libyen und Syrien sowie auf die Rolle der westlichen Medien ein, die neben Fakten auch viel Propaganda verbreiten, sodass es schwierig sei, zwischen Gut und Böse, Opfer und Täter zu unterscheiden.  

Für Putin sei ein Teil der westlichen Identitätspolitik reine Arroganz. Sein  Erfolg beruhe auf dem Rückgriff auf bewährte Muster, etwa bei der Wiedereinführung der sowjetischen Hymne. „Wenn Sie etwas Neues erreichen wollen, müssen Sie auf Bekanntes zurückgreifen, sonst kommen Sie nicht weit“, sagte Putin. Das mag auch die Re-Sowjetisierung weiter Teile des gesellschaftlichen Lebens in Russland begründen. 

Seipel macht an zahlreichen Beispielen deutlich, dass Russland auch künftig eine wichtige Rolle zur Lösung globaler Krisen zukommen wird, wie auch, dass die russische Regierung trotz aller Diskrepanzen an Deutschland als wichtigem EU-Staat interessiert bleibt.

Hubert Seipel: „Putins Macht. Warum Europa Russland braucht“, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2021, gebunden, 352 Seiten, 24 Euro