23.04.2024

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Folge 05-22 vom 04. Februar 2022 / Parteienlandschaft / Die „Repräsentationslücke“ wird wieder ein Stück größer / Während AfD-Chef Jörg Meuthen seinen Rücktritt erklärt, steigt der Frust all jener, die sich im traditionellen Parteiengefüge nicht mehr zu Hause fühlen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-22 vom 04. Februar 2022

Parteienlandschaft
Die „Repräsentationslücke“ wird wieder ein Stück größer
Während AfD-Chef Jörg Meuthen seinen Rücktritt erklärt, steigt der Frust all jener, die sich im traditionellen Parteiengefüge nicht mehr zu Hause fühlen
Hans Heckel

Der Abgang von Jörg Meuthen, der nicht nur sein Amt als Co-Chef der AfD niederlegte, sondern gleich auch noch seinen Austritt aus der Partei erklärte, traf politische Freunde wie Gegenspieler wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Gegnern wie Anhängern seiner Partei galt der 60-Jährige lange als Galionsfigur des liberal-konservativen Lagers seiner Partei, die im Kontrast gesehen wird zum „sozial-patriotischen“, weiter rechts eingestuften Flügel, für den Björn Höcke als bekannteste Persönlichkeit steht.

Meuthens jäher Rückzug könnte nicht nur für das weitere Schicksal seiner (nunmehr ehemaligen) Partei spürbare Folgen haben. Mit seinen Äußerungen über rechtsextreme Bestrebungen innerhalb der AfD, die ihm nur die Wahl des Ausstiegs gelassen hätten, hat er sich zum Kronzeugen derer gemacht, welche die gesamte Alternative für Deutschland im extremistischen, verfassungsfeindlichen Feld verorten wollen. Sie werden sich auf Meuthen künftig berufen.

Dies wird auch bei den Wählern nicht ohne Wirkung bleiben, die in vier westdeutschen Bundesländern dieses Jahr neue Landtage küren. Unter dem Eindruck von Meuthens Abgang, dessen Begründung dafür und dem nicht nachlassenden Trommelfeuer aus dem etablierten Lager könnten sich bisherige Wähler von der AfD abwenden. 

Dass diese Wähler sämtlich zu den etablierten Partien zurückkehren, ist indes kaum anzunehmen. Damit vergrößert sich das Heer derjenigen Bundesbürger, die keine Partei finden, welcher sie ihr Kreuz anvertrauen wollen. Diese „Repräsentationslücke“, welche besorgte Politikwissenschaftler schon länger beklagen, war von der AfD in ihren Hochzeiten weitgehend geschlossen worden. Doch schon länger wächst sie wieder.

Essenzielles Demokratie-Problem 

Wenn sich aber immer mehr Bürger von keiner Parlamentspartei vertreten fühlen, bedeutet dies für die repräsentative Demokratie ein essentielles Problem, denn ein solcher Zustand nagt an ihrer Legitimität in der Praxis. Dessen ungeachtet konnte das linksgrüne Lager mit der Repräsentationslücke bislang recht gut leben, wenn man sie dort nicht sogar heimlich begrüßte, betraf sie doch bis dato nahezu ausschließlich das bürgerliche Spektrum.

Da war die Rechnung einfach: Schließlich ist es „Grünlinks“ oder „Rot-Grün“ nur in wenigen Ausnahmefällen, wie etwa 1998, gelungen, eine eigene Mehrheit gegen die „Bürgerlichen“ zu erlangen. Auch nach der Bundestagswahl 2021 reichten die Stimmen abermals nicht für eine reine Linksregierung aus SPD, Grünen und Linkspartei, sodass es zur Ampel mit der FDP kam. Fallen aber immer mehr bürgerliche Wähler ins Loch jener, die gar keine Partei mehr finden oder sich frustriert an eine parlamentarisch wegen der Fünf-Prozent-Hürde chancenlose Kleinstpartei hängen, so werden linke Mehrheiten in den Parlamenten möglich, obwohl es sie im Wahlvolk gar nicht gibt.

Nun jedoch hat der verbreitete Unmut über die Corona-Politik den Rahmen derer, die sich nicht mehr repräsentiert fühlen, nicht bloß erneut vergrößert. Er hat den generellen Verdruss über die etablierten Parteien vor allem weit ins traditionell linke Wählermilieu hinein erweitert. Die vergifteten Reaktionen von Politikern, die sogar linken Corona-Demonstranten den Vorwurf des Rechtsextremismus um die Ohren hauen, beschleunigen diese Erweiterung der Lücke noch. 

Zudem hat der lagerübergreifende Groll über eine oft als unzulässig autoritär empfundene Maßnahmenpolitik der Auflösung des tradierten Links-Rechts-Schemas neuen Schub gegeben: Der Entfremdung zu den einstigen Lieblingsparteien tritt die Annäherung an Menschen und Kreise hinzu, die man bis eben noch für „die Anderen“ gehalten hatte.

So wächst die Repräsentationslücke zu einem Problem heran, das alle Parteien mehr und mehr gleichermaßen betrifft. Und das sich in einer Weise entladen könnte, die kaum abzusehen ist.