29.03.2024

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Folge 05-22 vom 04. Februar 2022 / Strommarktliberalisierung Sie hat Öko- wie Billigstromanbietern den Marktzugang ermöglicht. Erstere haben über die EEG-Umlage den Strompreis erhöht, Letztere teilweise ob der hohen Beschaffungskosten die Lieferung eingestellt / Wollen oder können sie nicht? / Viele Billigstromanbieter kommen ihren Lieferverpflichtungen nicht nach

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-22 vom 04. Februar 2022

Strommarktliberalisierung Sie hat Öko- wie Billigstromanbietern den Marktzugang ermöglicht. Erstere haben über die EEG-Umlage den Strompreis erhöht, Letztere teilweise ob der hohen Beschaffungskosten die Lieferung eingestellt
Wollen oder können sie nicht?
Viele Billigstromanbieter kommen ihren Lieferverpflichtungen nicht nach
Norman Hanert

Möglicherweise fühlt sich der ein oder andere Verbraucher, der aktuell seinen Energieversorger wechselt, an Jürgen Trittin erinnert. Als Bundesumweltminister hatte der Grünen-Politiker im Jahr 2004 vorausgesagt, „dass die Förderung Erneuerbarer Energien einen durchschnittlichen Haushalt nur rund einen Euro im Monat kostet – so viel wie eine Kugel Eis“. 

Etwas mehr, nämlich 1,07 Euro, hatten kurz vor Weihnachten die Stadtwerke Pforzheim zeitweise rund 1000 Neukunden in Rechnung gestellt – nicht als Mehrkosten für einen Monat, sondern pro verbrauchter Kilowattstunde. Dieser Höchstpreis für Neukunden, das 3,4-Fache dessen, was Bestandskunden des kommunalen Versorgers bezahlen, hat inzwischen das Interesse von Verbraucherschützern und auch der Landeskartellbehörde geweckt. Die Behörde kündigte ein Preisprüfungsverfahren an, bei dem nach „Anhaltspunkten für den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung“ gesucht wird.

Der Stromversorger selbst verweist auf rund 1200 Neukunden, die er am 22. Dezember aufnehmen musste. Bei diesen Verbrauchern hatten ihre bisherigen Anbieter Stromio und gas.de kurzfristig die Lieferungen eingestellt. Für diese gestrandeten Kunden musste „tagesaktuell Energie zu einem sehr hohen Tageskurs“ nachgeordert werden, so der Geschäftsführer der Stadtwerke Pforzheim.

Angesichts dieser drastisch gestiegenen Preise für Strom und Gas an den Energiebörsen sind inzwischen Dutzende sogenannte Billiganbieter in eine Zwickmühle geraten. Geschäftsmodell vieler Firmen war es, keine langjährigen Lieferverträge mit Stromproduzenten einzugehen, sondern den Bedarf über kurzfristige Beschaffungsverträge zu decken. Nachdem sich die Beschaffungspreise für Strom und Gas in nur wenigen Monaten vervierfacht haben, geht diese Kalkulation nun nicht mehr auf.

Windiges Geschäftsmodell

Bei der Bundesnetzagentur hatten bis Ende 2021 bereits 38 Anbieter angezeigt, ihren Kunden keinen Strom mehr liefern zu wollen. Diese gestrandeten Verbraucher landen automatisch bei ihrem jeweiligen regionalen Versorger, der ihnen eine Grundversorgung garantieren muss.

Umstritten ist, ob die Grundversorger die ihnen durch die Notkunden entstehenden hohen Kosten komplett an diese weitergeben dürfen oder aber auch die Bestandskunden über Preiserhöhungen mit zur Kasse bitten müssen. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen beispielsweise geht bereits juristisch gegen unterschiedliche Grundversorgungstarife bei Strom und Gas für Neu- und Bestandskunden vor. Inzwischen hat die Verbraucherzentrale NRW Abmahnungen an die Rheinenergie, die Stadtwerke Gütersloh und die Wuppertaler WSW Energie & Wasser AG verschickt.

Wolfgang Schuldzinski, Vorstand der Verbraucherzentrale NRW, zeigte zwar „Verständnis für die nicht ganz einfache Situation der Grundversorger“, mahnte aber auch: „Die Benachteiligung von Verbraucher:innen, die ohne eigenes Verschulden in die Grundversorgung zurückfallen, ist rechtswidrig und widerspricht dem eigentlichen Schutzzweck der Grundversorgung.“ Die Verbraucherzen-trale moniert insbesondere, dass die Aufspaltung der Grundversorgungstarife ihrer Ansicht nur „auf Grundlage eines willkürlich festgelegten Stichtags erfolgt“. 

Verdacht von Insolvenzbetrug

Die Bundesregierung kündigte inzwischen an, die Kunden von Energiediscountern vor den teuren Folgen einer einseitigen Vertragskündigung schützen zu wollen. Laut dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Oliver Krischer (Grüne) soll es künftig für Neukunden und Bestandskunden einheitliche Tarife in der Grundversorgung geben. „Gesplittete Grundversorgungstarife sind am Ende nur ein unnötiges Beschäftigungsprogramm für Gerichte, was wir vermeiden wollen“, so Krischer.

Für weitere Diskussionen wird sicherlich auch noch der Verdacht von Insolvenzbetrug durch einige Billiganbieter sorgen, der inzwischen in der Energiebranche aufgekommen ist. Tatsächlich fällt auf, dass einige Billiganbieter zwar die Belieferung ihrer Kunden einfach gestoppt und die Verträge gekündigt, allerdings bislang keinen Insolvenzantrag gestellt haben. Der EON-Vorstandschef Leonhard Birnbaum äußerte vor diesem Hintergrund die Vermutung, dass einige Anbieter „Kunden abwerfen“, um dann die vorhandenen Stromverträge mit ihren Lieferanten gewinnbringend zu verkaufen. „Da fragen wir uns, ob wir da de facto einem Insolvenzbetrug zum Opfer fallen“, so der EON-Chef auf einer Veranstaltung des „Handelsblatts“. 

Der Verdacht, dass Billiganbieter ihren Kunden den Stecker ziehen, um dann im börslichen Großhandel bereits georderte Stromkontingente weiterzuverkaufen, ist schwer zu überprüfen. Der Handel am größten Handelsplatz für Energie in Europa, der Leipziger Strombörse EEX (European Energy Exchange), erfolgt anonym. Zudem findet ein großer Teil des Stromhandels auch immer noch außerhalb der Strombörse statt als direkter Handel zwischen Stromverkäufern und Stromeinkäufern.