20.04.2024

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Folge 05-22 vom 04. Februar 2022 / Taxonomie-liste / Planwirtschaft mit Spaltpotential / EU-Einstufung von Erdgas- und Atomstrom führt zur Glaubwürdigkeitskrise der Ampel-Koalition

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-22 vom 04. Februar 2022

Taxonomie-liste
Planwirtschaft mit Spaltpotential
EU-Einstufung von Erdgas- und Atomstrom führt zur Glaubwürdigkeitskrise der Ampel-Koalition

Mit einer Taxonomieliste will die EU-Kommission Investoren einen Leitfaden für nachhaltige Finanzierungen in die Hand geben. Für die Ampel-Koalition hat sich dieses Vorhaben zu einem Glaubwürdigkeitstest entwickelt. 

Ein Vorschlag, den die EU-Kommission Ende Dezember präsentiert hat, sieht vor, neben Erdgas auch Atomstrom zumindest befristet als „grüne“ Energie einzustufen. Der CSU-Europapolitiker Markus Ferber sieht in der Berücksichtigung von Kernkraft eine Niederlage von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gegen Präsident Emmanuel Macron. Frankreichs Führung hatte sich vehement für die Einstufung von Atomkraft als nachhaltige Energiequelle eingesetzt, während die deutsche Regierung dies abgelehnt hatte. Als Teilerfolg kann die Bundesregierung für sich die Aufnahme von Erdgas auf die Taxonomieliste verbuchen. Innerhalb der Ampel-Koalition haben sich damit SPD und FDP gegen die Vorstellungen der Grünen durchgesetzt. Ein Beharren der Grünen auf ihrer Position hätte sehr wahrscheinlich zu einem schweren Koalitionskrach geführt. 

Ein Problem droht den Grünen nun allerdings von anderer Seite. Ein Bündnis von Umwelt- und Naturschutzorganisationen hat die Bundesregierung aufgerufen, im EU-Ministerrat gegen den Vorschlag der Kommission zu stimmen. Zu dem Bündnis gehören unter anderem Greenpeace, Nabu, BUND und Deutsche Umwelthilfe. Beugen sich die Grünen bei den Brüsseler Taxonomieplänen weiterhin der Koalitionsdisziplin, dann riskieren sie einen Bruch mit diesen Verbänden, die teilweise seit Jahrzehnten wichtige Verbündete waren.

Angesichts der Mehrheitsverhältnisse ist zweifelhaft, dass ein „Nein“ im EU-Ministerrat die Taxonomieliste stoppen kann. Die Regierungen Österreichs und Luxemburgs haben inzwischen angekündigt, juristisch gegen die Aufnahme von Kernenergie und Erdgas in die EU-Taxonomie-Regeln vorgehen zu wollen.

Klagen könnten erfolgreich sein

Folgt man der Einschätzung des EU-Experten Götz Reichert, dann hätten entsprechende Klagen beim Europäischen Gerichtshof sogar gute Erfolgsaussichten. Reichert, der die Abteilung für europäisches Energierecht am Centrum für europäische Politik leitet, erklärte gegenüber dem „Tagesspiegel“, im Falle einer Klage müsse der Europäische Gerichtshof die Vorgaben der EU-Kommission für die Förderung von Atom- und Gaskraftwerken für nichtig erklären. Reichert verwies dabei auf den Europavertrag, der die Regelung „wesentlicher Aspekte“ durch einen delegierten Rechtsakt der EU-Kommission ausdrücklich verbietet. „Über derart wesentliche Grundsatzfragen darf, wenn überhaupt, allenfalls der EU-Gesetzgeber selbst – also Europäisches Parlament und Rat – befinden“, so Reichert.

Erstaunlich wenig diskutiert wird bislang, dass die Taxonomiepläne der EU-Kommission auch einen Glaubwürdigkeitstest für die FDP darstellen. Noch im Bundestagswahlprogramm 2021 hatten die Liberalen „die Rückkehr zu marktwirtschaftlichen Prinzipien“ gefordert. Eine Kommentatorin wies in der „Wirtschaftswoche“ unlängst darauf hin, dass die Taxonomieliste der EU-Kommission einen mit Planwirtschaft einhergehenden Versuch darstellt, „Wirtschaftsaktivitäten in gut und böse“ einzuteilen. Wie der Streit in der EU um die Einstufung von Erdgas und Atomstrom zeigt, spielen dabei weniger wissenschaftliche Kriterien eine Rolle als vielmehr politische. N.H.