16.04.2024

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Folge 05-22 vom 04. Februar 2022 / Meinungsbildung / Der inszenierte Bürgerwille / Konzerne und mächtige Lobbygruppen fälschen Initiativen „von unten“ oder kapern Vereine, um ihre Interessen als Volksmeinung zu tarnen – die Methode „Astroturfing“ ist ein weltweites Problem

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-22 vom 04. Februar 2022

Meinungsbildung
Der inszenierte Bürgerwille
Konzerne und mächtige Lobbygruppen fälschen Initiativen „von unten“ oder kapern Vereine, um ihre Interessen als Volksmeinung zu tarnen – die Methode „Astroturfing“ ist ein weltweites Problem
Wolfgang Kaufmann

Der Begriff „Graswurzelbewegung“ dient seit Anfang des 20. Jahrhunderts als Metapher für eine anfänglich vollkommen spontane politische oder gesellschaftliche Initiative, welche in aller Regel von Normalbürgern ausgeht und somit also quasi „ganz unten“ entsteht. Auf die Existenz einer solchen schienen auch die zahlreichen Briefe von Wählern hinzudeuten, die 1985 im Büro des texanischen Senators Lloyd Bentsen eingingen – allerdings erkannte der erfahrene Politiker sehr bald, dass die Schreiben samt und sonders von Versicherungsunternehmen kamen, die verdeckte Lobby-Arbeit im Eigeninteresse betreiben wollten, weshalb er ergrimmt polterte: „Ein Texaner kennt den Unterschied zwischen Graswurzeln und Astroturf. Das ist alles fabrizierte Post.“ Damit spielte Bentsen auf den populären künstlichen Rasen mit dem Markennamen „Astroturf“ im zentralen Sportstadion seiner Heimatstadt Houston an.

Seither kennzeichnet der Begriff „Astroturfing“ Kampagnen zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung, bei denen der Eindruck erweckt werden soll, dass man es hier mit einer Graswurzelbewegung zu tun habe. In Wirklichkeit freilich sind das alles Initiativen von Parteien, Unternehmen, Lobby-Gruppen oder verschwindend wenigen Aktivisten, welche die öffentliche Meinung zu manipulieren versuchen, indem sie breite Mehrheiten vorgaukeln. Zu diesem Zweck bombardieren sie Medien, Behörden oder politische Institutionen mit Zuschriften unter den verschiedensten Pseudonymen und nutzen heute darüber hinaus auch die vielfältigen Möglichkeiten im Internet beziehungsweise den sozialen Netzwerken, um Wortmeldungen von Wenigen im großen Stil zu verbreiten.

Zahlreiche Fälle aufgeflogen

Mit der Schaffung der Illusion einer unabhängigen Bürgerbewegung „von unten“ sollen die wahren Urheber des Ganzen, die vielfach eher „oben“ sitzen, und deren Absichten verschleiert werden. Das funktioniert umso besser, je konspirativer das Spielchen abläuft. Deshalb kommen manchmal sogar Geheimdienste zum Einsatz. Das zeigen unter anderem die von dem Whistleblower Edward Snowden offengelegten Dokumente des britischen Government Communications Headquarters (GCHQ).

Astroturfing-Kampagnen, die zwischenzeitlich aufflogen, wurden bereits aus zahlreichen Ländern gemeldet, darunter auch aus der Bundesrepublik. So ließ die Deutsche Bahn 2007 Diskussionsforen des „Spiegel“ und anderer Blätter mit bahnfreundlichen Zuschriften fluten. Als Handlanger des Konzerns, dem die vorgetäuschte Graswurzelbewegung immerhin knapp 1,3 Millionen Euro wert war, fungierten damals die Agenturen Berlinpolis und European Public Policy Advisors GmbH (EPPA). 2010 wiederum wurde bekannt, dass die Freien Demokraten positive Kommentare „aus der Bevölkerung“ über die FDP in Internetforen lanciert hatten.

Im Ausland machten in der Vergangenheit unter anderem die gezielte Stimmungsmache gegen eine Eidgenössische Volksinitiative in der Schweiz, fingierte Graswurzelbewegungen zur Unterstützung der Tabak- und Waffenindustrie in den USA sowie das mehrmalige Astroturfing des Microsoft-Konzerns von sich reden. Das Software-Unternehmen verschickte beispielsweise 2001 allerlei „Unterstützerbriefe“, welche ihm in einem Anti-Trust-Verfahren den Rücken stärken sollten und dabei blamablerweise sogar die „Unterschriften“ von Verstorbenen trugen.

Moralisch und juristisch noch bedenklicher ist indes das massive Astroturfing seitens der Pharmaindustrie. Dabei taten sich in der Vergangenheit oftmals auch Unternehmen wie Johnson & Johnson, Pfizer und AstraZeneca hervor, welche jetzt Corona-Impfstoffe herstellen. Pfizer hat nachweislich zahlreiche Tarnvereine, Arbeitskreise und „private“ Gruppierungen zum Zwecke der Beeinflussung der öffentlichen Meinung im Hinblick auf die vermeintlichen Segnungen von künstlichen Vitaminen gesponsert. Dadurch sollten subtile Ängste vor einem Vitaminmangel geschürt und immer neue „Risikogruppen“ rekrutiert werden, denen man dann spezielle Präparate verkaufen konnte.

Trump musste eingreifen

Nicht selten kommt die Pharma-Schleichwerbung aus Kreisen der Betroffenen, also Menschen mit bestimmten Leiden. Dazu kapern die Firmen Patienten-Initiativen, deren Zweck eigentlich darin besteht, die Lebensqualität von Kranken zu erhöhen. 2005 orchestrierte Johnson & Johnson gemeinsam mit Purdue Pharma das „Pain Care Forum“, welches sich dafür stark machte, dass opioidhaltige Schmerzmittel nicht nur im Zuge der Behandlung von Schwerstkranken und Sterbenden eingesetzt werden, sondern ebenso bei vergleichsweise banalen Alltagsschmerzen. Aus dieser „Graswurzelinitiative“ von angeblich inadäquat versorgten und dadurch gequälten Schmerzpatienten resultierten unzählige Todesfälle durch Überdosierung sowie Millionen von Suchterkrankungen, auf die US-Präsident Donald Trump schließlich im Oktober 2017 mit der Ausrufung des medizinischen Notstands reagierte. Johnson & Johnson wurde für seine Mitverantwortung an der Opioid-Krise im August 2019 zu einer Strafzahlung von 572 Millionen US-Dollar verurteilt.

Wie aus der Datenbank „Pre$cription for Power“ hervorgeht, erhalten mehr als 50 Prozent aller Patienteninitiativen in den USA Geld von Pharmakonzernen. Welche Summen dabei im Regelfall fließen, legte der Datendienstleister Bloomberg Government anhand der Steuererklärungen von sechs Firmen offen: Allein 2018 verteilten Pfizer, Johnson & Johnson, AstraZeneca sowie drei Mitbewerber aus der Branche zusammen 680 Millionen US-Dollar an „Graswurzelinitiativen“ zur vermeintlichen Unterstützung Erkrankter.

Solche Zahlen auch in Europa zu ermitteln ist wegen fehlender Transparenzvorgaben deutlich schwieriger. Dabei wäre es dringend notwendig offenzulegen, inwiefern beispielsweise während der Corona-Pandemie die Menschen hierzulande und in den anderen EU-Staaten mittels Astroturfing auf die Maßnahmen zur „Eindämmung“ des Virus SARS-CoV-2 eingeschworen wurden. Ebenso sollte eine baldige Klärung erfolgen, ob künstliche Graswurzelbewegungen zum Einsatz kommen, um die Bevölkerung zu spalten und die Impfbereitschaft zu fördern.