29.03.2024

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Folge 05-22 vom 04. Februar 2022 / Schweden / Ein „Traumziel“ für Russland / Der Ukraine-Konflikt ist auch auf Gotland zu spüren – Die schwedische Ostseeinsel ist von großer strategischer Bedeutung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-22 vom 04. Februar 2022

Schweden
Ein „Traumziel“ für Russland
Der Ukraine-Konflikt ist auch auf Gotland zu spüren – Die schwedische Ostseeinsel ist von großer strategischer Bedeutung
Nils Aschenbeck

Auf der schwedischen Ostseeinsel Gotland hat die Regierung unlängst auffällig viele Panzer und Soldaten stationieren lassen. Die strategisch bedeutende Lage der Insel brachte ihr einst großen Reichtum, bedeutet heute aber eine Gefahr. Sie verfügt über eine aufregende Geschichte, in der die letzten Kriege allerdings Jahrhunderte zurückliegen. 

Als im Januar dieses Jahres die Schweden aus Angst vor einem russischen Angriff eine schnelle Eingreiftruppe auf Gotland stationierten – und dies sehr öffentlichkeitswirksam taten –, wurde einmal mehr deutlich, dass die zweitgrößte Ostseeinsel kein Eiland irgendwo am Rande der Welt ist, sondern in zentraler Lage im Norden Europas liegt und ihr deshalb eine strategische Bedeutung zukommt.

Schon in der Vergangenheit besaß Gotland diese Bedeutung. Im Mittelalter gehörte die Inselhauptstadt Visby zu den wichtigsten Städten der Hanse. Besonders der Handel mit Russland bis hin in den asiatischen Raum lief über Visby. Auf der Ostseeinsel trafen sich die Handelsrouten, hier unterhielten Kaufleute aus aller Welt ihre Kontore – auch und vor allem Deutsche.

Schon vor dem Aufblühen Visbys waren die Bauern der Insel reich geworden. Die Insulaner, die von Wikingern abstammten, führten eigene Geschäfte und unterhielten eigene Boote, mit denen sie das Festland ansteuerten. Die zentrale Lage der Insel hatte dazu geführt, dass der Handel schon im frühen Mittelalter florierte und dass die Bauern über Jahrzehnte und Jahrhunderte immer wohlhabender geworden waren. In der Legende hieß es, dass die Schweine der gotländischen Bauern aus silbernen Trögen fraßen. 

Fremde Invasoren auf der Insel

Der Reichtum der Insel weckte Begehrlichkeiten. Im Jahr 1361 schickte der dänische König Waldemar Atterdag seine Truppen auf die Insel und ließ diese ausplündern. Viele Insulaner starben im Kampf gegen die übermächtigen Dänen. Ihre vergrabenen Silberschätze werden immer wieder im gotländischen Boden entdeckt und im „Fornsal“, dem historischen Museum in Visby, ausgestellt. 

1525 beschossen die Lübecker die Konkurrenz-Hansestadt und zerstörten viele Gebäude. Von den Kirchen blieb allein die deutsche Kaufmannskirche verschont. Ein Wiederaufbau der anderen zerstörten Kirchen fand nicht mehr statt – von der Lübecker Invasion hat sich Visby nie erholt, der Ruhm der Insel verblasste, die Geschichte wurde ruhig und nun fast langweilig. Erst 1808 wurde Gotland wieder ein Ort der Weltgeschichte – die Russen besetzten die Insel im Finnischen Krieg, zogen aber bereits nach kurzer Zeit wieder ab. 

Der jahrhundertelange Stillstand ist heute das Kapital von Visby. Die gut erhaltenen Kaufmannshäuser, die erhaltene Stadtmauer und die vielen Kirchenruinen, die unverändert in der Stadt stehen, geben den Besuchern ein lebendiges Bild einer mittelalterlichen Stadt, die heute Weltkulturerbe ist. 

Den Zweiten Weltkrieg hat Schweden dank kluger Politik und mit Glück überstanden, ohne in den Krieg hineingezogen oder besetzt zu werden. Selbst das so zentral in der Ostsee liegende Gotland wurde weder von den Deutschen noch von den Russen besetzt. Während die Welt in Schutt und Asche versank, während Millionen Menschen ermordet wurden oder auf den Schlachtfeldern fielen, blieb in Schweden und auf Gotland das Leben friedlich. Fast muss es surreal gewesen sein, damals auf Gotland zu leben – nur 160 Kilometer von der ostpreußischen und baltischen Küste entfernt, an der sich in den letzten Kriegsmonaten die schrecklichsten Dinge ereigneten und von wo die Menschen nur flüchten wollten. 

Im November 1944 erreichte der Krieg dann doch noch die Insel: Das Passagierschiff „Hansa“, das zwischen dem neutralen schwedischen Festland und Gotland pendelte, wurde von einem russischen U-Boot mit Absicht versenkt – 84 Menschen starben, zwei überlebten. 

Sowjetisches U-Boot gestrandet

Nach 1945 begann der Kalte Krieg und eine Militarisierung der Insel. Ganz Fårö, die nördliche Teilinsel von Gotland, wurde militärisches Sperrgebiet. An der gesamten östlichen Küstenlinie entstanden Bunkeranlagen, von denen aus das Meer beobachtet wurde. Die Angst vor einem russischen Angriff blieb immer präsent und wurde noch angeheizt durch Meldungen, dass sowjetische U-Boote weit in die schwedischen Küstengewässer eingedrungen seien. 

Was man in den 1970er Jahren noch leichthin als Fata Morgana abtun konnte, wurde 1981 dramatisch bestätigt, als das sowjetische U-Boot S-363 nur 30 Kilometer vor der südschwedischen Stadt Karlskrona strandete – nahe einem Hauptquartier der schwedischen Marine. Die Schweden mussten schließlich helfen, das U-Boot freizubekommen. 

Erst der Zusammenbruch der Sowjetunion führte zu einem Ende der Angst. Gotland wurde komplett demilitarisiert, die Insel war nun vor allem Ferienziel, schnell zu erreichen von Stockholm. Die hier gedrehten Pippi-Langstrumpf-Filme wurden Symbol für eine Sommerinsel, auf der es scheinbar keine ernsten Themen mehr gab, auf der das Leben seinen gänzlich unbeschwerten Lauf nahm.

Das ging solange gut, bis Russland wieder expansive Ambitionen bekam. Doch weder der Georgien-Krieg 2008 noch die Annexion der Krim 2014 führte in Gotland zu einer neuen Gefahrenlage. Russland war, nachdem die baltischen Staaten in die Unabhängigkeit entlassen und sowohl der Europäischen Union als auch der NATO beigetreten waren, kein naher Nachbar mehr, sondern war – wäre da nicht die Königsberg/Kaliningrad-Enklave – in seinen Grenzen noch weiter in den Osten gerückt. 

Plötzlich wieder Militär stationiert

2015 machte ein ukrainischer Blogger in einem vielbeachteten Tweet darauf aufmerksam, dass Gotland eine ideale strategische Lage habe, dass eine russische Besetzung der Insel und vor allem eine Stationierung von Raketen mit 200 Kilometern Reichweite den Russen die Kontrolle über die gesamte Ostsee geben könne und dass sie von hier aus das Baltikum komplett abriegeln könnten. Gotland wäre, sollten die Russen im Ostseeraum eine aggressive geopolitische Strategie fahren, der Schlüsselpunkt für alle Bemühungen.

Natürlich schien und scheint es grotesk, eine Insel zu erobern, auf der es keinerlei Verbindungen zu Russland gibt, auf der auch nicht einmal der geringste Rückhalt für russische Okkupanten zu erwarten wäre. Dennoch beschloss Schweden Anfang 2018, wieder Militär auf der Insel zu stationieren. Offenbar gab es Geheimdienstinformation, die eine neue Gefahr aus dem Osten beschworen. 

Knapp vier Jahre später scheint die Lage nun zu eskalieren, Panzer wurden eiligst an den gotländischen Küsten stationiert, die Rohre auf den imaginären Feind gerichtet, Soldaten patrouillieren an einsamen Stränden. Gotland liegt in der Mitte – und wird jetzt unsanft daran erinnert. Aber, so die feste Überzeugung der Insulaner, es wird wohl bei einem kurzen Schrecken bleiben – einen Krieg auf Gotland kann sich kaum jemand vorstellen. 

Alles spricht dafür, dass Gotland auch zukünftig eine Sonneninsel und ein Naturparadies sein wird, ein stiller Rückzugsort von der Welt mit schwarzen Gotland-Schafen und den halbwilden Pferden, die hier ausgerechnet Russ heißen.